Nicht nach Schema F
Predigt am 9. Juni 2019 (Pfingsten I) zu Johannes 14,15-27
Eine andere Predigt zum Text finden Sie hier.
Jesus sprach zu seinen Jüngern: 15 Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten.16 Und ich werde den Vater bitten und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll, 17 den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt. Ihr aber kennt ihn, weil er bei euch bleibt und in euch sein wird. 18 Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, ich komme zu euch.
19 Nur noch kurze Zeit und die Welt sieht mich nicht mehr; ihr aber seht mich, weil ich lebe und auch ihr leben werdet. 20 An jenem Tag werdet ihr erkennen: Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir und ich bin in euch. 21 Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer mich aber liebt, wird von meinem Vater geliebt werden und auch ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren.
22 Judas – nicht der Iskariot – fragte ihn: Herr, wie kommt es, dass du dich nur uns offenbaren willst und nicht der Welt? 23 Jesus antwortete ihm: Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen. 24 Wer mich nicht liebt, hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat.
25 Das habe ich zu euch gesagt, während ich noch bei euch bin. 26 Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. 27 Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.
Pfingsten passiert richtig was: die Jünger kommen in einen Ausnahmezustand, sie überschreiten die Grenzen von Furcht und Normalität. Sie kommen in eine mitreißende Bewegung, Petrus wird zum ersten christlichen Prediger, und am Ende des Tages sind 3000 Menschen getauft.
Manchmal heute auch noch …
So etwas hat sich in der Kirchengeschichte nicht oft wiederholt, aber am Anfang des 20 Jahrhunderts ist in Amerika, in San Francisco, die Pfingstbewegung entstanden, wo Menschen die Gegenwart des Heiligen Geistes auch sehr heftig erfahren haben, beinahe chaotisch, mit Eingebungen und Prophetien, mit Kraftwirkungen, Zungenreden und Wundern. Das war ein sehr dramatischer Aufbruch, und daraus ist im Lauf der Zeit eine christliche Bewegung geworden, zu der man heute zwischen 200 und 600 Millionen Menschen rechnet.
Viele christliche Aufbrüche sind aber ganz anders verlaufen. Gott arbeitet nicht nach Schema F. Schon in der Bibel steht die Pfingstgeschichte ziemlich einmalig da. Und später hat es immer wieder anders ausgesehen, wenn der Heilige Geist Menschen dynamisch in Bewegung gebracht hat.
… aber oft auch anders
Eine ganz kleine Auswahl: Die irischen Mönche, die im frühen Mittelalter zu Fuß durch Europa gezogen sind, und mit eiserner Disziplin Hunger und Kälte ertragen haben, um im verwüsteten Europa das Licht des Evangeliums neu zu entzünden.
Franz von Assisi, der nach 1200 die Erfahrung der überwältigenden Liebe Gottes machte, als er einen Aussätzigen umarmte, vor dem er sich vorher geekelt hatte, und der einen Bewegung anstieß, die bis heute fasziniert und wirksam ist. Und er ist Teil eines breiteren Stroms der Armutsfrömmigkeit, die damals in Norditalien entstand und sich durch ganz Europa ausbreitete, trotz aller Verfolgungen durch die offiziellen Kircheninstitutionen.
In den Jahrhunderten danach erlebten besonders in den Klöstern immer wieder Männer und Frauen direkte Begegnungen mit Gott. Für Frauen war das ein Freiraum, wie es ihn in der patriarchalischen alteuropäischen Gesellschaft sonst nirgendwo gab. Menschen wie Mechthild von Magdeburg (1207/10–1282/94) oder Meister Eckhart (1260–1328) haben zur Gottesnähe gefunden auf äußerlich wenig spektakuläre Weise, sie haben gesagt: du musst still werden und in dir suchen, und sie haben dort Gott gefunden, viele lasen ihre Schriften, und auch so haben sie große Wirkung entfaltet und viele Menschen beeinflusst.
Wir sollten also nicht diese starre Erwartung haben, dass der Heilige Geist sich immer genau so meldet, wie er es damals in der biblischen Pfingstgeschichte getan hat. Stattdessen passt er sich den Zeiten und Verhältnissen an, er sucht sich seine Freiräume, und mal ist es das zerstörte Europa nach den dunklen Jahrhunderten der Völkerwanderung, wo es noch wenig Kontrolle gab, und dann wieder dieser Freiraum der Klöster, wo Menschen rausgebrochen waren aus den Zwängen der mittelalterlichen Gesellschaft, in der jeder seinen vorgegebenen Platz hatte, den er nicht verlassen konnte.
Und irgendwann war es eben das San Francisco am Anfang des 20. Jahrhunderts, übrigens benannt nach Franz von Assisi: ein ungeordnetes Durcheinander von Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Hautfarbe, wo der Heilige Geist Menschen quer zu allen Einteilungen zusammenbrachte und sie frei machte von Rassenvorurteilen und Statusdenken.
Worum es immer wieder geht
Der Abschnitt aus dem Johannesevangelium, auf den wir heute hören, der hat den Vorzug, dass er hinter die vordergründige Oberfläche schaut, auf das, was der Sache nach eigentlich in all diesen Aufbrüchen passiert, egal, ob sie in biblischen Zeiten, im Mittelalter oder in der modernen Zeit stattfinden.
Und Jesus beschreibt das so: Mein himmlischer Vater und ich, wir kommen und wohnen in den Menschen, die mich lieben und nach meinen Geboten leben. Ich werde in euch wohnen, und mit mir kommt mein Vater.
Viele sprechen in unser Leben hinein
Das klingt für unsere Ohren vielleicht merkwürdig – wie kann das sein, dass Jesus in uns wohnt? Wie müssen wir uns das vorstellen? Aber das ist grundsätzlich gar nicht so ungewöhnlich. In uns allen »wohnen« gewissermaßen ziemlich viele Menschen, die uns im Lauf unseres Lebens begegnet sind und uns beeinflusst haben. Eltern, Lehrer, Freunde, Lebensgefährten – sie alle haben in uns die Spuren ihrer Person hinterlassen und sprechen immer noch in unser Leben hinein. Wir sind als Menschen keine abgeschotteten Kästen, deren Eingänge sorgfältig bewacht werden. Wir sind eher wie ein Netz oder ein Geflecht mit vielen Maschen, wir sind offen für alle möglichen Einflüsse, und wir können die gar nicht alle kontrollieren.
Aber wir haben eine ganze Menge Einfluss darauf, welche Stimmen sich bei uns immer wieder melden, und welche in Vergessenheit geraten. Manche Stimmen müssen wir auch bewusst zum Schweigen verdonnern, z.B. wenn uns da irgendjemand oder irgendetwas immer wieder sagt, wie klein, dumm, böse und unwichtig wir doch sind. In manchen Menschen mischen sich solche destruktiven Stimmen Tag für Tag ins Leben ein und verderben ihnen immer wieder die Freude am Dasein.
Und wodurch treffen wir eine Auswahl unter den Stimmen, die in uns mitreden wollen? Wir entscheiden über ihre Stärke dadurch, dass wir auf sie hören und ihnen Raum geben – oder nicht. Alle Impulse, auf die wir hören und reagieren, werden stärker. Sogar wenn wir immer wieder dagegen sind, ist das Nahrung für solche Einflüsse. Wer dauernd gegen alle möglichen Sünden ist, der erlaubt der Sünde, einen großen Raum in seinem Leben einzunehmen. So hat Paulus das immer wieder beschrieben.
Geist und Gehorsam
Aber diesen Zusammenhang kann man auch positiv nutzen, und davon redet Jesus hier: wer mich liebt, dem werde ich mich offenbaren. Und »Jesus lieben« ist nur in zweiter oder dritter Linie eine Gefühlsregung, es besteht zuerst darin, dass wir seine Gebote halten, sie also festhalten und einhalten. Deswegen spricht Jesus hier immer wieder vom Tun seiner Weisungen, mit dem der Heilige Geist untrennbar verbunden ist. Man soll sich nicht darüber streiten, was zuerst kommen muss, Geist oder Gehorsam, das ist nicht endgültig zu klären, aber auf jeden Fall gehört es zusammen.
Das wird endgültig klar durch die Frage des Jüngers Judas, den man nicht mit dem Verräter Judas verwechseln soll: warum willst du dich nur uns offenbaren und nicht der ganzen Welt? Warum diese Beschränkung auf die christlichen Leute? Wäre es nicht viel schöner, wenn Jesus zu allen käme und alle direkt von sich überzeugen würde?
Und das ist scheinbar keine dumme Frage, sondern eine wichtige. Jesus beantwortet sie so: Gott, sagt er, kommt nur zu Menschen, die ihn lieben, nicht zu Menschen, die seine Gebote missachten. Äußerlich kann das ganz unterschiedlich aussehen. Die einen springen unter dem Einfluss des Heiligen Geistes vor Freude durch die Gegend und die anderen sind von einem stillen Glück erfüllt. Aber beide Male bringt der Geist sie in Bewegung, und er verschwindet, wenn sie sich nicht mehr bewegen lassen. Der Geist Gottes ist kein Vogel, den man in einen Käfig sperrt, damit man ihn unter Kontrolle hat und seine Gesänge genießen kann. Wer ihn kontrollieren will, verliert ihn. Die meisten Kirchen und Gemeinden, auch die meisten Christen kommen irgendwann in die Phase, wo man den Vogel gerne singen hört, aber dem Ruf der Freiheit nicht mehr folgt, weil es zu riskant scheint.
Ein System der Gottesablehnung
Der Heilige Geist kommt nur zu denen, die Jesus lieben, nicht zur Welt. Und »Welt« bedeutet im Johannesevangelium nicht einfach »alles, was es gibt«, sondern »Welt« ist die Menschenwelt, die sich aktiv gegen Gott verschließt. »Welt« ist das System aktiver Gottesablehnung, das die Menschen taub macht gegen den göttlichen Ruf der Freiheit. »Welt« ist die Welt des Mammon, der Sicherheit und Macht will und nicht glaubt, dass man das Leben und das Beste im Leben geschenkt bekommt.
Es ist das Wunder Gottes, wenn er Menschen herausbricht aus der Welt des Mammon, der Gier und der Angst. Jesus hat das immer getan, das war seine Mission, und der Heilige Geist setzt das fort. Das ist der Frieden, den Jesus uns verspricht: rausgebrochen zu sein aus den Ängsten und Kämpfen, in die uns der Mammon verstrickt. Aber du kannst den Frieden nicht behalten, wenn du weiter Wurzeln im Mammon behalten willst. Gott sorgt dafür, dass du diese Verwurzelung in Angst und/oder Gier – vielleicht zum ersten Mal – deutlich bemerkst. Wenn der Geist in dir lebt, kannst du schmerzhaft spüren, wie stark diese Wurzeln dich zurückhalten wollen. Kappen musst du sie selbst.
Bindungen kappen
Menschen spüren das beispielsweise, wenn sie aufhören möchten, mit unserem zerstörerischen Lebensstil verbunden zu bleiben, der den Planeten ruiniert. Mülltrennen geht ja noch ganz gut, aber auf Flugreisen zu verzichten ist für manche schon schwieriger, und die resignative Grundhaltung des »ich kann ja doch nichts tun, und was sagen die Leute« hinter sich zu lassen, ist noch einmal härter. Und so sind wir auf viele Arten mit dem Mammon verbunden, und Gott arbeitet daran, dass wir immer mehr von dieser Komplizenschaft erkennen und uns daraus befreien, damit wir in den Frieden Jesu finden.
Das ist kein einmaliger Akt, und danach bist du raus aus dem System, sondern das ist ein Geflecht, das nachwächst, es ist viel komplexer, als wir überschauen können, und wir werden ein Leben lang damit zu tun haben, immer wieder neu die Verbindungen zu kappen, die uns in diesem System namens »Welt« festhalten. Da hilft es auch nicht, als Asket zu leben oder ins Kloster zu gehen. Du musst in diesem Prozess der Befreiung drinbleiben, weil du Jesus liebst, dann bleibt sein Geist bei dir.
Wenn ein Mensch oder eine Gemeinde da rausfällt, dann kommt der Augenblick, wo man sich fragt: warum ist es nicht mehr so wie früher? Wo ist die Freude hin, wo ist die Aufbruchstimmung hin, wo ist der mitreißende Mut hin, der uns früher mal erfüllt hat? Und die Antwort ist immer: irgendwo haben wir die Spur verloren, haben uns im Bequemen und Vertrauten eingerichtet, und dann verschwindet der Geist aus unserem Leben oder unserer Gemeinde.
Er kommt wieder!
Aber die gute Nachricht ist: er kommt zurück! Irgendwie werden wir daran erinnert: da war doch etwas! Ich kannte doch mal eine Alternative! Immer wieder hat sich das innerhalb und außerhalb der Christenheit ereignet, dass Menschen neu ihre Liebe zum Leben entdeckt haben und sich herausholen ließen aus der Verstrickung in die gottlosen Bindungen dieser Welt.
Der Geist Jesu macht die Welt unberechenbar. Jederzeit kann er Menschen aufwecken, die bis dahin fest im Griff der Todesmächte zu sein schienen. Und dann bleibt die Welt nicht, wie sie war. Wir erleben uns auf eine Art wie nie zuvor. Jesus und sein Leben brechen sich Bahn, auch in Menschen, die das alles vorher gar nicht gekannt haben. Die versteinerten Verhältnisse kommen zum Tanzen, und wir sind hoffentlich dabei!