Jesus stellt die Machtfrage
Predigt am 14. April 2019 mit Johannes 12,12-19
Dieser Abschnitt und dieser ganze Palmsonntag, die geben heute ganz deutlich das Thema »König« vor. Jesus wird hier von den Menschen, die aus Jerusalem herauskommen, als »König von Israel« bejubelt. Und das ist kein Zufall – Jesus selbst hat sein Kommen nach Jerusalem so inszeniert, dass sich dieses Thema das »Königs« sofort aufdrängt:
• Er geht nicht – wie sonst immer – zu Fuß, sondern er reitet.
• Wir wissen aus den anderen Evangelien, dass er mit einem Gefolge von vielen Menschen kommt, nämlich Pilgern, die mit ihm aus Galiläa kommen, so wie damals sonst ein König an der Spitze seiner Truppen in eine Stadt einzog.
• So machten das Könige, wenn sie eine Schlacht gewonnen hatten; Jesus hat gerade Lazarus von den Toten zurückgeholt und hat eine Schlacht gegen den Tod gewonnen.
• Und das muss sich auch in Jerusalem herumgesprochen haben, denn die Menschen kommen ihm entgegen und begleiten ihn jubelnd, sie schwenken Palmzweige wie Fähnchen, und – auch das wissen wir aus den anderen Evangelien – sie breiten ihre Kleider auf dem Weg aus, so dass er auf einer Art von rotem Teppich reitet.
Jesus setzt das Thema »König«
Alles zusammengenommen, so wie es in allen Evangelien erzählt wird, ist damit klar, dass Jesus selbst hier dafür gesorgt hat, dass das Thema »König« unübersehbar auf der Tagesordnung steht.
Und nun müssen wir für uns kurz klarkriegen, was mit diesem Thema »König« gemeint ist. Wir kennen heute Könige und Königinnen fast nur noch als unpolitische Repräsentationsfiguren: die dürfen Bahnhöfe und Brücken einweihen, sie sind Schirmherren von unzähligen Wohltätigkeitsorganisationen, und die Regenbogenpresse schreibt über ihre neuesten Ehekrisen, über ihre mehr oder weniger wohlgeratenen Sprösslinge und spekuliert über mögliche Schwangerschaften. Die Royals sind so etwas wie die »First Family«, also so eine Art Projektionsfläche, wo Menschen sich selbst mit ihren Familienproblemen wiedererkennen und denken: wie schön, dass die auch solche Eheprobleme haben wie wir! Aber mit Politik haben Könige heute nicht mehr viel zu tun. Dass die Queen sich vermutlich privat die Haare rauft, wenn sie sieht, was ihre Regierung in Sachen Brexit für ein Chaos anrichtet, das spielt politisch keine Rolle. Da, wo es um echte Macht geht, ist sie außen vor.
Die politische Zentralfigur
In der alten Zeit war das völlig anders. Wenn irgendwer mit Macht zu tun hatte, dann war es der König. Der hatte zwar keine unbegrenzte Macht, weil er natürlich durch seine Finanzen begrenzt war und auf seine Adligen Rücksicht nehmen musste, aber er war die politische Zentralfigur. Manchmal war er auch gleich noch oberster Heerführer, er erließ Gesetze und Verordnungen, aber dass er sich an seine eigenen Gesetze auch halten muss, war gar nicht selbstverständlich. Im König konzentrierte sich die politische Macht. Und als Jesus seinen Einzug in Jerusalem so inszenierte, da war ihm klar, dass er damit die Machtfrage auf die Tagesordnung setzte.
Bisher hatte Jesus eher an den Rändern gewirkt: Galiläa war weit weg vom Zentrum, schon halb Ausland, mit starken nichtjüdischen Einflüssen. Da war es gar nicht so schwer, mit den örtlichen Vertretern der Macht fertigzuwerden. Die Synagogenvorsteher und Schriftgelehrten, mit denen er es da zu tun bekam, hatten nicht viel gegen ihn in der Hand, solange das Volk von ihm begeistert war.
Vom Rand ins Machtzentrum
Jerusalem war anders. Jerusalem war das Machtzentrum des Landes. Da war der Tempel mit seinem Reichtum, da war der Oberste Priester, der Träger der politischen und ideologischen Macht, und da war während der großen Feste auch der römische Gouverneur, der Repräsentant des Imperiums mit dem Cäsar, dem Kaiser, an der Spitze. Sie alle forderte Jesus heraus, als er mit seinem spektakulären Einzug das Thema »König« unübersehbar auf die Tagesordnung setzte.
Man kann an dieser Stelle sehen, wie sich der Einflussbereich Jesu kontinuierlich ausweitet: erst ging es nur um ihn und ein paar Jünger, dann gab es die ersten Heilungen, er wurde bekannter, man hörte ihm zu, es wurden immer mehr, die zu ihm kamen, und jetzt verlässt er endgültig den Raum der Privatheit und inszeniert sich für die breite Öffentlichkeit.
Nicht anders ist es später den frühen Christen gegangen: die fingen an in Privathäusern, irgendwo in einer Nische, wo es wenig Kontrolle gab, wo es vielleicht mal Ärger in der Familie gab, wenn einer Christ wurde, aber die politischen Machtträger hielten sich raus aus solchen Konflikten. Lange Zeit sind die Christen sozusagen unter dem Radar der Politik gesegelt, weil es viel zu wenige waren. Erst als sie nicht mehr zu übersehen waren, wurden sie für die Vertreter der Macht ein Thema.
Eine klare Herausforderung
Deshalb haben viele oft gedacht, Christentum und Politik hätte wenig miteinander zu tun. Nichts könnte falscher sein. Jesu Mission zielt immer ins Zentrum, dahin, wo die Entscheidungen fallen. Bei einzelnen Menschen ist das Zentrum das Herz, die Steuerungszentrale, die darüber entscheidet, wer wir sind. Und wenn es um Zusammenschlüsse von Menschen geht, egal ob die groß oder klein sind, eine Familie, ein Betrieb oder ein Weltreich, Jesus hat immer das Zentrum im Blick, den Ort, wo die Entscheidungen fallen, den zentralen Sitz der Macht. Damit hat er nicht angefangen, aber irgendwann merkte er: jetzt ist es soweit, jetzt muss ich die Auseinandersetzung mit dem Machtzentrum in Jerusalem suchen. Seinen Jünger wurde sofort mulmig, weil sie wussten: das wird richtig gefährlich.
Und jetzt kommt er also nach Jerusalem und fordert mit seinem spektakulären Einzug gleich das Machtzentrum heraus. Um diesen Konflikt ging es von Anfang an. Jerusalem war schon immer das Ziel, und bei Johannes wird an ein paar Stellen deutlich, dass Jesus auch schon weiter sieht und dahinter schon die ganze Welt im Blick hat.
Aber Esel statt Pferd
Nun gibt es aber bei der Szene, die Jesus so sorgfältig gestaltet hat, eine nicht zu übersehende Irritation. Ein König müsste auf einem Pferd reiten. Pferde waren damals der Inbegriff militärischer Macht. Obwohl die Militärtechnologie inzwischen schon weiter war und die Römer mehr durch ihre gepanzerten Fußsoldaten und ihre Geschosse siegten als durch ihre Reiterei. Aber als Symbole waren immer noch Pferde das Zeichen der Stärke. Könige reiten auf Pferden. Jesus nimmt den Esel.
Das heißt, Jesus thematisiert deutlich die politische Sphäre, aber er distanziert sich sofort wieder von allen bekannten Symbolen politischer und militärischer Macht. Ein echter König auf einem störrischen Esel ist eigentlich eine Lachnummer. Aber Jesus nimmt den Esel, weil der das Arbeitstier der kleinen Leute ist. Auf einem Esel reitet man zum Markt und verkauft seine Melonen. Jesus zeigt so, dass seine Macht anderer Art ist. Er ist bei den einfachen Leuten verankert, in ihrem täglichen Leben, in ihrer Mühe und Arbeit. Er hat selbst viele Jahre mit körperlicher Arbeit seinen Lebensunterhalt verdient. Jesus ist kein Kind der politisch-militärischen Machtsphäre, er ist kein politischer Akteur wie alle anderen, sondern er verändert die ganze Art, wie Macht ausgeübt wird.
Die Konditionen ändern sich
Bisher spielten die normalen Leute im politischen Spiel so gut wie keine Rolle. Sie zahlten Steuern und ihre Kinder wurden Soldaten, aber an der Macht, die daraus entstand, hatten sie keinen Anteil. Jetzt, durch Jesus, werden sie wichtig. Nicht durch Propaganda oder Anbiederung, nicht durch billiges Wertschätzungsgerede von oben, sondern sie werden tatsächlich eine Macht, weil Jesus sie stärker werden lässt. Sie kennen jetzt Gott. Nicht als drohenden Richter, vor dem sie sich fürchten. Nicht als Schutzpatron der Obrigkeit, sondern als ihren Verbündeten gegen Unrecht und Unterdrückung, als ihren Freund und Beistand. Sie hören auf, sich gegenseitig fertig zu machen. Sie versuchen nicht mehr, selbst kleine Königsdarsteller zu sein. Sie orientieren sich nicht mehr an ihren Herrschern und deren Machtstil, sondern sie schauen zu Gott und auf seinen Repräsentanten, auf Gottes Verkörperung, nämlich Jesus. Ihre Ideale und Ziele wandeln sich. Sie lassen sich nicht mehr blenden von herrschaftlichem Prunk. Sie werden gesund und freundlich in ihrem Denken. Sie sind nicht mehr süchtig nach einem Zipfelchen Macht und Anerkennung. Sie sind nicht mehr aus demselben Holz geschnitzt wie die Machthaber.
Und das verändert die Spielregeln, nach denen Politik funktioniert. Denn keine Regierung kann auf die Dauer gegen die Werte und Gedanken ihres Volkes regieren. Eine Regierung kann noch nicht einmal gegen eine starke, sichtbare, bessere Alternative regieren, auch wenn sie nur von einer Minderheit gelebt wird.
Das ist der Weg Jesu. Durch ihn wird eine Möglichkeit menschlichen Lebens sichtbar, gegen die die ganzen Machtspiele und Intrigen alt aussehen. Die sind im Vergleich dazu nicht mehr attraktiv.
Die entscheidende Bewährungsprobe
Aber Jesu Weg hat noch eine Bewährungsprobe vor sich. Er muss sich bewähren in der direkten Konfrontation mit der herkömmlichen politisch-militärischen Macht. Der Weg Jesu muss sich auch dann als tragfähig erweisen, wenn die Macht zu ihrem stärksten Mittel greift, zu Folter und Tod. Deshalb geht Jesus in diese Konfrontation mit der Macht hinein, in vollem Wissen, dass es ihn das Leben kosten wird. Jesus muss seinen Weg einmal bis zum bitteren Ende gehen, damit Gott sein endgültiges Ja dazu sprechen kann. Denn ein König, sagt Jesus, ist nicht dazu da, sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen. Ein König muss vorangehen, dahin wo die Schlacht am heftigsten ist, und eine Bresche für seine Leute schlagen. Ein König muss den Kopf hinhalten für sein Volk. Er muss in die Ungewissheit hinein, ob Gott wirklich treu sein wird, ob Gott wirklich Ja sagen wird zu diesem neuen Weg, ob er wirklich stärker ist als der Tod und die Hölle der Kreuzigung.
Vorhin in der Lesung aus Jesaja (50,4-9) haben wir von dem Knecht Gottes gehört, der sich auch durch Anfeindungen jeder Art nicht abbringen lässt von seinem Weg, der sein Gesicht hart macht wie einen Kieselstein. Jesus hat sich wahrscheinlich in ihm wiedererkannt, als er unter Drohungen, Folter und Todesangst trotzdem an seinem Weg festgehalten hat.
Die wirkliche Machtfrage
Das ist die wirkliche Machtfrage: ob der Weg Jesu im Angesicht der Macht und der Zerstörung besteht. Jesus hat diese Machtfrage erst im Kleinen gestellt, bei den Kranken und Dämonisierten in Galiläa, aber dann ist er aufgebrochen ins Zentrum der Macht, nach Jerusalem. Und er stellt die Machtfrage bis heute, weltweit: ob diese Welt Gottes Welt wird, oder ob sie zur Wüste wird. Er stellt die Frage im Herzen von jedem Einzelnen: wo wir hingehören und worauf wir vertrauen. Und wir wären froh, wenn es bei einer Frage in unserem Inneren bliebe. Aber irgendwann bricht Jesus auf nach Jerusalem, ins Zentrum der Macht, dahin, wo es gefährlich wird. Und vielleicht kommen wir mit, zitternd und zagend, weil wir wissen, dass es jetzt ernst wird. Vielleicht bleiben wir auch lieber da, wo wir sind, da, wo es angeblich weniger gefährlich ist, aber wer weiß das schon?
Aber Jesus kannst du nur behalten, wenn du mit ihm mitgehst. Immer wieder bricht er auf, und wenn wir ihn behalten wollen, müssen wir mitgehen. Er bricht auf und bahnt uns den Weg, weil er der König ist. Mitten in Konflikten finden wir ihn und lassen uns, wenn es gut geht, von ihm seinen Weg zeigen.