Wem schaudert’s beim Gedanken an Gott?
Predigt am 27. Januar 2019 zu Psalm 46,1-46
1 Für den Chormeister. Von den Korachitern. Nach der Weise »Mädchen«. Ein Lied.
2 Gott ist uns Zuflucht und Stärke, als mächtig erfahren, als Helfer in allen Nöten.
3 Darum fürchten wir uns nicht, wenn die Erde auch wankt, wenn Berge stürzen in die Tiefe des Meeres;
4 mögen seine Wasser tosen und schäumen und vor seinem Ungestüm Berge erzittern. [Sela]
5 Eines Stromes Arme erfreuen die Gottesstadt, des Höchsten heilige Wohnung.
6 Gott ist in ihrer Mitte, sie wird nicht wanken. Gott hilft ihr, wenn der Morgen anbricht.
7 Völker tobten, Reiche wankten; seine Stimme erscholl, da muss die Erde schmelzen.
8 Mit uns ist der HERR der Heerscharen, der Gott Jakobs ist unsre Burg. [Sela]
9 Kommt und schaut die Taten des HERRN, der Schauder erregt auf der Erde.
10 Er setzt den Kriegen ein Ende bis an die Grenzen der Erde.
Den Bogen zerbricht er, die Lanze zerschlägt er; Streitwagen verbrennt er im Feuer.
11 Lasst ab und erkennt, dass ich Gott bin, erhaben über die Völker, erhaben auf Erden!
12 Mit uns ist der HERR der Heerscharen, der Gott Jakobs ist unsre Burg. [Sela]
Da soll keiner sagen, die Bibel sei alt und längst überholt, und bei uns heute ginge es doch um die aktuelleren Sachen. Nicht nur, weil Martin Luther vor knapp 500 Jahren nach diesem Psalm sein bekanntestes Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ gedichtet hat. Erst recht wir leben heute in einer Welt, die gar nicht so viel anders ist als das, was dieser Psalm beschreibt, obwohl der wahrscheinlich 2500 Jahre alt oder älter ist.
Die Welt ist in Aufruhr, Völker sind in großer Unruhe, lange Zeit stabile Ordnungen geraten ins Wanken. Überall fliehen die Menschen vor Kriegen, und auf einmal ist auch die Natur nicht mehr die stabile Bühne, auf der wir das merkwürdige Theaterstück der menschlichen Weltgeschichte aufführen. Wir erleben gerade, wie tatsächlich auch die Schöpfung anfängt, sich einzumischen in das Drama der menschlichen Geschichte. Erst haben wir alles Mögliche getan, um die Erde zu beschädigen und zu vergiften, und jetzt setzt sie uns deutliche Grenzen. Der Meeresspiegel steigt, die Landkarte des Planeten verändert sich. Sie müssen nicht in die Kirche gehen, um das zu erfahren – in allen Medien kann man Tag für Tag neue Einzelheiten erfahren. Und das alles hat gerade erst angefangen.
Trotzdem haben das noch nicht alle wirklich realisiert, aber gerade hören wir, wie Schüler freitags anfangen zu streiken und zu protestieren, weil sie verstanden haben, dass ihnen da ihre Zukunft gestohlen wird. Ich glaube, jetzt auch schon in Braunschweig. Und wenn wir Kinder und Enkel haben, die wir lieben, und auf die vielleicht eine drei Grad wärmere Erde wartet, dann sollten wir ihnen den Rücken stärken und uns daran ein Beispiel nehmen.
Bilder, stark über zweieinhalb Jahrtausende
Und irgendwie hat ein prophetischer Mensch schon vor 2500 Jahren oder mehr etwas davon gespürt, was sich im Untergrund unserer Welt vorbereitet. Er konnte das nur in seiner Sprache sagen, er wusste nichts vom arktischen Eis und seiner Rolle für die Gestaltung unseres Klimas und die Folgen, wenn es anfängt zu schmelzen. Aber er war inspiriert genug, um Bilder zu beschreiben, die uns auch heute noch zugänglich sind, und die uns etwas sagen über die Konditionen, unter denen wir bis heute leben. Und über die Machtverhältnisse, die in Wirklichkeit unsere Welt gestalten.
Und wenn jemand es geschafft hat, eine Botschaft zu formulieren, die sich auch nach mehr als 2500 Jahre für uns dermaßen aktuell und treffend erweist, dann ist diese Botschaft es wohl wert, dass wir uns intensiv damit beschäftigen und sie intensiv studieren. Denn sie erklärt uns die Welt, wie sie wirklich ist und spricht gerade deshalb von Hoffnung und nicht vom Weltuntergang.
Es geht gerade nicht um Mauern
Denn das immer wieder auftauchende Motiv im Psalm spricht von der Zuflucht, die Gott ist. Gott wird tatsächlich mit einer Burg verglichen, einer Festung, wo man in Gefahr Zuflucht findet. Man muss allerdings bei diesem Bild immer daran denken, dass es ein Gleichnis ist, ein Bild, sonst kommt man auf die Idee, dass man sich heute mit Mauern gegen die Unruhe in der Welt abschotten könnte. Aber die Pointe ist ja gerade, dass es nicht Mauern sind, sondern Gott, der uns einen Schutz gewährt, den Mauern nicht geben können.
Man könnte also mit diesem Psalm geradezu sagen: »Du denkst vielleicht, du könntest eine Befestigung bauen, um dich abzuschotten von all den Gefahren und der Unruhe da draußen, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko oder einen Sperrgürtel um Europa oder einen stabilen Zaun um dein Grundstück, aber das wird nicht funktionieren. Wenn du Schutz suchst, dann such ihn beim lebendigen Gott, der Herr ist über die Mächte, die unsere Erde erschüttern, beunruhigen und manchmal verwüsten. Du Narr, lies lieber in diesem Psalm, wie da einer versucht, ganz deutlich zu machen, dass nicht Mauern eine Stadt oder ein Land oder einen Menschen beschützen, sondern Gott wenn er in ihrer Mitte ist: in der Mitte der Stadt oder in der Kultur eines Landes oder im Herzen eines Menschen.«
Die wirkliche Gefahr sitzt nämlich nicht irgendwo da draußen bei irgendwelchen finsteren Mächten, sondern sie sitzt gerade drinnen, im Herzen von Einzelnen, in der Seele ganzer Völker und in der Art, wie wir mit der Erde umgehen. Martin Luther, der aus diesem Psalm sein Lied »Ein feste Burg ist unser Gott« gedichtet hat, der kannte ja diese Alternative: er hat einige Monate auf der Wartburg zugebracht und dort Zuflucht gefunden, aber ihm war immer klar, dass sein Schutz nicht in den dicken Mauern dieser Festung bestand, sondern dass es Gott war, der ihn lebend durch diese gefährliche Zeit gebracht hat.
Eine Stimme der Hoffnung
Als wir vor ein paar Tagen im Kirchenvorstand über diesen Psalm gesprochen haben, da ist uns dann auch aufgefallen, dass die Schilderung der Gefahren von Vers zu Vers immer mehr von einer Stimme der Hoffnung überboten wird: die Erinnerung an die Gottesstadt, die von den Strömen des Paradieses durchflossen wird, und der schon am frühen Morgen Gott zu Hilfe eilt. Die Erinnerung, dass es Gott ist, der über die sichtbaren und die unsichtbaren Mächte in der Welt triumphieren wird, der es nicht zulassen wird, dass sie den Sieg behalten über seine Schöpfung und sein Leben.
Das ist aber nicht so gemeint, dass wir uns jetzt beruhigt zurücklehnen und sagen: ach, es wird schon nicht so schlimm kommen, Gott zieht bestimmt noch rechtzeitig die Notbremse! So gerade nicht. Gott übt seine Macht gerade durch schwache Menschen wie uns aus, wenn er in unserer Mitte wohnt. Und dieser Psalm ist ja gerade deswegen gedichtet, aufgeschrieben und über Jahrtausende überliefert worden, damit er Menschen mutig macht. Überall werden die Leute von Angst getrieben, von der Angst vor der Zukunft, von der Angst vor irgendwelchen finsteren Fremden mit Messern zwischen den Zähnen, von der Angst abgehängt zu werden, von der Angst, ihren Status zu verlieren, von der Angst, die falsche Kleidung zu tragen, und, und, und. Manche Ängste haben einen realen Kern, andere sind Phantasiegespinste, aber ein guter Ratgeber ist Angst nie. Angst macht dumm. Ängstliche Leute sind nicht nur keine Hilfe, sondern sie sind Teil des Problems.
Wir können mutig sein!
Und deshalb wiederholt es dieser Psalm immer wieder: Wir haben einen Schutz und einen Helfer, von dem andere nichts wissen! Wir können mutig sein. Christen sind keine Angsthasen. Wir können den Tatsachen ins Auge sehen. Wir müssen uns nicht mit billigem Trost ablenken, wir sagen nicht »Nach uns die Sintflut!«, wir lieben diese Erde, weil Gott uns das vormacht, wir leiden mit allen Menschen, die durch die Erschütterungen in der Welt bedroht sind, wir machen nicht die Augen zu, wenn die ersten Inseln im steigenden Meer versinken, wir leiden mit, wenn die Schönheit unseres Planeten durch Plastik und Dreck besudelt wird, aber wir wählen dann hoffentlich auch so, dass die Wahrscheinlichkeit steigt für mutige Entscheidungen und Gesetze, die diesen Missbrauch verbieten und eingrenzen.
Die normalen und die hoffnungsvollen Erschütterungen
Im Hintergrund der Welt, wie sie hier beschrieben wird, gibt es verschiedene Quellen für Unruhe und Erschütterungen. Da ist einmal der sozusagen »normale« Streit und Ärger, den es eben in einer Welt gibt, die sich nicht an die Gebote und Ordnungen ihres Schöpfers hält. Menschen sind gierig und ängstlich, sie sind unreif und schnell beleidigt, sie sind kurzsichtig und wenig einfühlsam.
Aber dann gibt es noch eine zweite Quelle der Beunruhigung: wenn nämlich Gott kommt, um sich seine Welt zurück zu holen, wenn Gott redet durch seine Propheten und durch sein Volk, durch die Bibel und alles, was sie angestoßen hat, durch Jesus und den Heiligen Geist. Und das erschüttert die Welt, die dachte, sie hätte Gott erfolgreich ausgesperrt, und es versetzt die Herrscher in Panik, die dachten, ihnen gehöre die Welt. Und sie wehren sich mit allen Mitteln, sie schlagen um sich in ihrer Panik, so wie Herodes alle Kinder in Bethlehem töten ließ, um Jesus auszulöschen und Hitler die Juden auslöschen wollte, um endlich die Stimme Gottes in der Welt zum Schweigen zu bringen. Aber aus welcher Quelle die Erschütterungen und Gefahren kommen, Gott will seine Leute beschützen und sicher hindurchgeleiten. Und es gibt die Erfahrung wunderbarer Hilfe ebenso wie die dunkle Nacht, in der Menschen sich von allen verlassen fühlen, auch von Gott. Wir wissen nicht, warum es manchmal so ist und manchmal so, aber diese Erfahrungen wunderbarer Bewahrung sind gar nicht so selten, jedenfalls häufiger, als wir meistens denken.
Wen schaudert es vor Gott?
Erinnert euch an den Vers 9:
Ungeschützt spricht der Psalm es aus: Gott hat Macht. Sie ist so gewaltig, dass Menschen davor erschrecken. Und man fragt sich: was ist da so toll dran, wenn Gott Schauder erregt? Wieso sollen wir uns darüber freuen? Aber wenn man dann den nächsten Vers liest, dann hört man dort:
Ja, das ist doch toll! Wie werden sich die Menschen in Syrien freuen, wenn endlich jemand dieser Zerstörungsorgie dort ein Ende setzt! Wie haben sich die Menschen in Deutschland gefreut, als endlich der Dreißigjährigen Krieg mit all seinen Schrecken zu Ende war! Werden die Menschen im Jemen traurig sein, wenn sie nicht mehr bombardiert und ausgehungert werden? Wieso also »Schauder«?
Aber da gibt es tatsächlich welche, denen schaudert es bei dem Gedanken, dass Gott den Kriegen ein Ende machen könnte. All die Söldner und Kriegsspezialisten, die Warlords und Waffenhändler, die politischen Strippenzieher, denen die Menschen egal sind, die Firmen, die Wachboote nach Saudi-Arabien liefern, Gewehre an die mexikanischen Drogenkartelle und Panzer in die Türkei, für all die und viele andere wäre es schauderhaft, wenn es keine Kriege mehr gäbe. Oder wenn der Amazonas-Regenwald einfach weiter blühen und wachsen könnte zu Gottes Ehre und zum Schutz unserer Atmosphäre, wenn da die Ureinwohner weiter so leben dürften wie seit Tausenden von Jahren, wenn da nicht abgeholzt würde für kurzfristigen Vorteil – ja, bei dem Gedanken würde es viele schaudern, weil sie dann kein schnelles Geld mehr abgreifen könnten. Weil sich dann so viel ändern müsste.
Wo gehören wir hin?
Und wenn jetzt Gott kommt um all dem ein Ende zu setzen, dann wehren die sich alle. Und sie sind mächtig, und sie haben ihre Pistoleros und andere Tricks, und man könnte da genauso Angst kriegen wie Martin Luther, als er vor fast 500 Jahren vom deutschen Kaiser zum Staatsfeind Nr. 1 erklärt wurde. Und wir haben ja auch keine Garantie dafür, dass wir immer heil durchkommen. Es gibt genügend christliche Märtyrer in Geschichte und Gegenwart. Aber dafür ist dieser Psalm da, dass wir uns im kritischen Moment immer wieder daran erinnern, dass wir in allem unter dem Schutz Gottes stehen, dass Gott in unserer Mitte der Schutz ist, den Mauern nicht geben können.
Nicht wir sind es, denen schaudern sollte, sondern alle, ob klein oder groß, die den Schöpfer gern heraushalten würden aus seiner Welt.
Das geht nicht an die Menschen Gottes, sondern an alle, die es auf eine Machtprobe mit Gott ankommen lassen wollen.
Aber, natürlich, auch wir müssen wissen, wo wir hingehören, wo wir hingehören wollen: zu denen, in deren Mitte Gott wohnt, in der Mitte des Herzens oder der Mitte seines Volkes, die sich von ihm die Hilfe erhoffen und von keinem anderen, oder zu denen, denen es davor schaudert, wenn sie sich nicht mehr an der Schöpfung und den Menschen bedienen könnten wie in einem großen Billigmarkt.
Dieser Psalm ist eine große Einladung zur wirklichen Hilfe, die besser ist als Mauern und Grenzen, eine Einladung in die Gewissheit: