Keine Angst! Jesus lebt!
Predigt am 2. Februar 2020 zu Offenbarung 1,9-18
9 Ich, Johannes, euer Bruder und Gefährte in der Bedrängnis, in der Königsherrschaft und im standhaften Ausharren in Jesus, war auf der Insel, die Patmos heißt, um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses für Jesus. 10 Am Tag des Herrn wurde ich vom Geist ergriffen und hörte hinter mir eine Stimme, laut wie eine Posaune. 11 Sie sprach: Schreib das, was du siehst, in ein Buch und schick es an die sieben Gemeinden: nach Ephesus, nach Smyrna, nach Pergamon, nach Thyatira, nach Sardes, nach Philadelphia und nach Laodizea!
12 Da wandte ich mich um, weil ich die Stimme erblicken wollte, die zu mir sprach. Als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter 13 und mitten unter den Leuchtern einen gleich einem Menschensohn; er war bekleidet mit einem Gewand bis auf die Füße und um die Brust trug er einen Gürtel aus Gold. 14 Sein Haupt und seine Haare waren weiß wie weiße Wolle, wie Schnee, und seine Augen wie Feuerflammen; 15 seine Beine glänzten wie Golderz, das im Schmelzofen glüht, und seine Stimme war wie das Rauschen von Wassermassen. 16 In seiner Rechten hielt er sieben Sterne und aus seinem Mund kam ein scharfes, zweischneidiges Schwert und sein Gesicht leuchtete wie die machtvoll strahlende Sonne.
17 Als ich ihn sah, fiel ich wie tot vor seinen Füßen nieder. Er aber legte seine rechte Hand auf mich und sagte: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte 18 und der Lebendige. Ich war tot, doch siehe, ich lebe in alle Ewigkeit und ich habe die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt.
Das ist einer von den Augenblicken, in denen der Vorhang zur Seite weicht und wir einen Blick in den Hintergrund der Welt tun können. In der Lesung vorhin (Matth. 17,1-9) haben wir von einem ähnlichen Moment gehört, von der Verklärung Jesu, als er vor den Augen der drei vertrautesten Jünger für kurze Zeit in seiner wahren Gestalt erschien, in strahlendem göttlichen Glanz, der die Jünger an die Grenze dessen brachte, was sie ertragen konnten. Auch Johannes bekommt diesen Glanz zu sehen, und auch er kann das kaum aushalten, er stürzt wie tot zu Boden, und Jesus muss ihn erst wieder zurückholen und aufrichten.
Der Wirklichkeit Gottes in ihrer Fülle zu begegnen, das überfordert einen Menschen, und normalerweise bewahrt uns Gott davor, um uns zu schützen. Deshalb gibt es nicht viele Augenblicke dieser Art, auch in der Bibel nicht, aber jedes Mal sind es Wendepunkte in der Geschichte Gottes mit der Menschheit. Mose hat einige dieser Momente erlebt, zuerst, als Gott aus dem brennenden Dornbusch zu ihm sprach, und dann natürlich später am Sinai, als er 40 Tage lang Gott nahe war und hinterher selbst so leuchtete, dass ihn niemand ansehen konnte. Es sind seltene, kostbare Momente, und nur wenige Menschen haben so etwas erlebt.
Aber Gott wollte eben doch, dass wir eine Ahnung davon bekommen, wie die Welt in Wirklichkeit aussieht, auf der Seite der Schöpfung, die für uns seit dem Verlust des Paradieses verschlossen und verloren ist. Deshalb dürfen manchmal prophetische Menschen wie Johannes einen kurzen Blick in die für uns unsichtbare Welt hinein werfen. Und was sieht er da?
Er sieht die wahre Bedeutung des Jesus von Nazareth, der den meisten als Mensch erschien, wenn auch als ganz besonderer Mensch. Aber in Wirklichkeit verbirgt sich in ihm die Macht und die Herrlichkeit Gottes. Die meisten Menschen erlebten seine ungewöhnliche Vollmacht, seine Freundlichkeit und Freiheit, aber am Ende blieb er für sie doch ein Mensch. In Wirklichkeit war er aber Gott in quasi abgemilderter Form, übersetzt in eine Intensität, die wir verstehen können, die uns zugänglich ist. Nur in einigen ganz besonderen Momenten sorgt Gott dafür, dass einige die ganze Realität sehen, die sich im Menschen Jesus verbirgt.
Hier in der Johannesoffenbarung sollen wir etwas erfahren von der welterschütternden Macht des auferstanden Jesus. Er steht hinter den Zerreißproben, die unsere Welt nicht zur Ruhe kommen lassen. Er kommt, um die Welt zu Gott zurückzuholen, und das treibt die menschliche Geschichte an. Er ist das Zentrum der Geschichte. Er ist die Krise aller Krisen. Er ist das Licht, das endlich und zuletzt alle Dunkelheit vertreiben wird. Und Gott will, dass wir die Kräfte verstehen, die hinter den Erschütterungen der Welt stecken, die wir erleben. Deshalb soll Johannes den auferstandenen, himmlischen Jesus sehen, und deswegen wird ihm dann in einer langen Vision enthüllt, in welche Konflikte wir in Wirklichkeit verwickelt sind und wie die Fronten verlaufen.
Johannes steht damit in einer Linie mit dem Propheten Daniel aus dem Alten Testament. Bei Daniel gibt es eine damals sehr bekannte Szene, in der jemand »wie ein Menschensohn« »mit den Wolken des Himmels« zu einem »Uralten« kommt, also zu Gott. Und dieser Uralte wird bei Daniel genauso beschrieben wie die Gestalt, die Johannes hier zu sehen bekommt: mit einem weißen Gewand und Haar, das weiß wie Wolle ist, und um ihn herum ist Feuer. Wenn aber in der Johannesoffenbarung diese Gestalt sagt: »Ich war tot, und jetzt lebe ich in alle Ewigkeit«, dann ist klar, dass das Jesus sein muss, denn nur er ist gestorben und auferstanden. Jesus wird hier also ähnlich geschildert wie bei Daniel Gott. Er hat die gleiche Herrlichkeit wie Gott.
Johannes macht Theologie mit Bildern, nicht mit Begriffen wie z.B. Paulus. Er lebt in den prophetischen Bildern des Alten Testaments, und der Heilige Geist nimmt diese Bilder und kombiniert sie neu. Sie entwickeln sich weiter. Sie sind nicht so eindeutig wie Begriffe, aber sie wenden sich direkt an unsere Vorstellungskraft. Sie sagen etwas, was wir erst nach und nach in klare Gedanken umsetzen können.
So auch, wenn Jesus sagt: ich habe die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt! Auch da greift die Vision ein Bild auf, diesmal aus der griechischen Mythologie: Hades, der Gott der Unterwelt, wird auf antiken Darstellungen mit einem Schlüssel dargestellt, als Zeichen dafür, dass er Macht über das Totenreich hat und die Toten nicht wieder hergibt. Es gibt Geschichten darüber, wie Menschen versuchen, einen geliebten Toten zurückzuholen, z.B. der Sänger Orpheus, der seine Frau Eurydike ins Leben zurückholen will, aber das hat nie Erfolg. Gegen den Tod, heißt das, sind wir alle machtlos. Der Tod ist endgültig. Wer gestorben ist, mit dem ist es vorbei, für immer.
Das ist die bittere Seite unserer Existenz, dass du nichts festhalten kannst. Alles entgleitet dir, irgendwann ist es vorbei, und du kannst es nicht zurückholen, du kannst nichts mehr ändern. Am Ende entgleitet dir auch dein eigenes Leben, und keiner kann es festhalten.
Aber mit Jesus wird dieser Mythos neu geschrieben. Er ist nicht mehr resignativ, sondern hoffnungsvoll. Jesus ist »hinabgestiegen in das Reich des Todes« und hat dort dem Hades die Schlüssel des Totenreichs abgenommen. Und das ändert alles. Der Tod hat nicht mehr das letzte Wort. Das göttliche Leben hat gesiegt. Und es ist, als ob wir in einem Kerker säßen, und es kommt jemand und ruft: »Ich habe den Schlüssel! Hier! Es gibt einen Ausgang! Ihr seid frei!« Wer sogar den Tod besiegt, der hat die wahre Macht.
Ganz am Anfang der Offenbarung wird uns Jesus so vorgestellt: als der Überwinder des Todes. In der Offenbarung wird noch viel Schreckliches erzählt werden, Katastrophen, zerstörte Umwelten, massenhaftes Sterben. Aber hier gleich am Anfang sollen wir von Jesus hören: »Ich habe den Schlüssel! Ich habe den Tod besiegt! Habt keine Angst, seid nicht traurig, resigniert nicht! Ich bringe alles wieder, was gut, heilsam und segensreich war.«
Das ist Jesus, der in Wirklichkeit die Macht in der Welt hat, dessen Glanz so stark ist, dass wir ihn nicht ertragen können, aber der auch als Herr der Welt Johannes freundlich und sanft anrührt und sagt: »Keine Angst! Steh auf, ich bin es, du kennst mich doch!«
Und Johannes sieht, wie dieser Weltherrscher Jesus zwischen sieben goldenen Leuchtern steht und sieben Sterne in seiner Hand hält. Ein paar Verse später erfährt er, was es damit auf sich hat: die Leuchter sind die sieben Gemeinden in Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia und Laodizea; sieben Gemeinden in kleinasiatischen Städten, heute ist das die Westküste der Türkei. Johannes kennt diese Gemeinden, vielleicht hat er sie betreut und besucht, und jetzt soll er für sie seine Vision aufschreiben, damit sie ihre Rolle verstehen und sich nicht einschüchtern lassen, wenn sie in Konflikte und Gefahren geraten. Wenn wir in Spannungen hineingeraten, dann ist es wichtig, dass wir verstehen, worum es geht. Sonst reagieren wir irgendwie, handeln aus Angst oder Gewohnheit heraus und richten mehr Schaden als Nutzen an. Das ist ja bis heute das Schlimme, dass Menschen unter Stress reagieren ohne nachzudenken, irgendwelchen Impulsen nachgeben, ohne eine Gesamtsicht zu haben.
Deswegen beginnt die Offenbarung nach dieser Einleitung mit sieben Sendschreiben an die sieben Gemeinden, und Jesus hat ihnen durch Johannes nicht nur Erfreuliches zu sagen. Einige muss er regelrecht aufrütteln, damit sie sich noch im letzten Augenblick wieder an ihre Berufung erinnern. Aber hier am Anfang werden sie alle im Bild eines Leuchters beschrieben. Sie sind Lichter in einer dunklen Welt. Mitten unter ihnen steht Jesus, und sie reflektieren sein Licht in die Welt hinein. So groß, so wichtig sind die christlichen Gemeinschaften. Sie erleuchten die Welt.
Das waren damals winzige Gruppen in einer übermächtigen heidnischen Umwelt. Man könnte fragen: was sollen die schon erreichen? So wie heute manche die Zahlen der Kirchenmitglieder zählen, sich dabei fühlen wie ein langsam aussterbender Indianerstamm und sich fragen: wie sollen wir etwas erreichen, wenn nur noch 50 % der Menschen oder noch weniger zu uns gehören?
Ja, damals hätten sie Grund gehabt, so zu fragen. In Städten mit Tausenden oder Hunderttausenden von Einwohnern gab es christliche Gemeinschaften von vielleicht 50 oder 100 oder vielleicht auch mal 150 Personen, winzige Gruppen, ohne Macht, mit wenig Geld, und wenn sie mal öffentlich bekannt wurden, dann kriegten sie eher Probleme wie Johannes, den man auf eine Insel verbannt hat, damit er keine Unruhe mehr stiften konnte.
Aber genau von dort aus hat er ein Buch aufgeschrieben, das bis heute Teil der Bibel ist und bis heute die Welt bewegt. Und darin sagt Jesus zu diesen winzigen Gemeinschaften: ihr seid Leuchter! Auf euch kommt es an in dieser dunklen Welt! Es ist wichtig, dass ihr euren Auftrag erfüllt! Denn ich bin bei euch, ich schaue auf euch, ich bewege mich unter euch, und so erschüttere ich die Welt. Ich habe die Schlüssel der Unterwelt, und deshalb sollt ihr dem Tod in jeder Gestalt entgegentreten. Ich bevollmächtige euch, und dann spielt es keine Rolle, wie viele oder wie wenige ihr seid.
Und Jesus hat recht behalten. Diese kleinen Gemeinden haben standgehalten, auch unter Druck und Drohung, auch in Gefahren und Verfolgungen. Durch sie hat sich die Welt verwandelt, und sie bewegt sich immer noch unter dem Eindruck der Botschaft, die diese Gemeinden verkörpern. Wenn die nicht durchgehalten hätten, dann sähe unsere Welt heute völlig anders aus.
Im Rückblick können wir sehen: die Offenbarung hatte Recht! Diese winzigen Gruppen haben die Welt bewegt, weil der auferstandene Jesus mit seinem Glanz unter ihnen und in ihnen war. Man muss tiefer schauen, hinter die Dinge, auf die verborgene Seite der Welt. Sonst lässt man sich vom ersten Eindruck täuschen. Im Vordergrund machen sich die Mächte der Welt groß und sagen: wir sind systemrelevant! Wir sind alternativlos! An uns kommt keiner vorbei!
Aber im Hintergrund regiert der auferstandene Jesus, er regiert mit dem Evangelium, durch seine Leute und mit seinen Leuten. Die Offenbarung wird noch davon sprechen, wie all diese finsteren Mächte besiegt werden, die unsere Welt zerstören wollen. Aber hier am Anfang zeigt sie die entscheidende Voraussetzung: den auferstandenen Jesus, seine göttliche Herrlichkeit und seine Botschaft: Ich habe den Schlüssel des Totenreiches! Ihr seid frei, und ihr sollt es wissen, damit ihr mutig werdet, euch nicht einschüchtern lasst und euch etwas traut!