Am Anfang war Begegnung
Predigt am 29. April 2018 zu Psalm 16
EIN MIKTAM. EIN DAVIDSLIED.
Behüte mich, Gott, denn ich flüchte zu dir. / 2 Ich sage zum HERRN: »Mein Herr bist du,*
mein ganzes Glück bist du allein.«
3 Über die >HeiligenHerrlichen<, die mir so gefielen *
4 »Wer einem andern Gott nachläuft, dessen Schmerzen mehren sich.
Nie mehr will ich ihnen Opferblut spenden,*
und nie mehr nehm ich ihre Namen auf die Lippen.«
5 HERR, du bist mein Anteil und Becher,*
du selber hältst mein Los in der Hand.
6 Die Messschnur fiel mir auf liebliches Land:*
ja, mein Erbe gefällt mir.
7 Ich preise den HERRN, der mir Rat erteilt:*
selbst zur Nacht ermahnt mich mein Gewissen.
8 Ich stelle mir den HERRN beständig vor Augen;*
er steht mir zur Rechten: — ich werde nicht wanken!
9 Darum freut sich mein Herz, meine Seele ist fröhlich,*
sorglos ruht auch mein Leib.
10 Denn du gibst mich nicht preis der Unterwelt,*
deinen Frommen lässt du nicht schauen die Grube.
11 Du zeigst mir den Weg zum Leben. / Vor deinem Angesicht ist Freude in Fülle‚*
zu deiner Rechten ist Wonne auf ewig.
Dieser Psalm stammt vermutlich ursprünglich von einem Priester. Wenn es in Vers 4 heißt »Nie mehr will ich ihnen Opferblut spenden und nie mehr nehme ich ihre Namen auf die Lippen«, dann ist wahrscheinlich gemeint, dass diesem Priester nahegelegt wurde, heidnischen Gottheiten Opfer zu bringen. Aber das hat er nicht getan, obwohl er vielleicht eine Zeitlang dieser Möglichkeit nahestand.
Die Vorgeschichte
Es gab nämlich mal eine Zeit, als im Jerusalemer Tempel alle möglichen Gottheiten Opferaltäre hatten. Der König Josia hat später damit aufgeräumt. Aber wo Religion ist, da gibt es auch immer die Gefahr, dass sich neben dem wahren, befreienden Gott die unterdrückerischen Götzen einschleichen. Manchmal übernehmen sie sogar den Namen Gottes und missbrauchen die Menschen in seinem Namen.
Aber es ist schwierig, da Genaueres herauszubekommen, denn der Text von einigen Versen ist leider ganz schlecht überliefert, er gibt eigentlich keinen Sinn, und in den Versen 3 und 4 muss man rekonstruieren, was da wohl gemeint sein könnte. Wenn Sie verschiedene Übersetzungen vergleichen, dann können Sie sehen, dass die das durchaus unterschiedlich verstanden haben. Aber trotz aller Unterschiede im Einzelnen: die Gesamttendenz ist schon deutlich.
Der Wortlaut dieses Psalms ist vermutlich auch deshalb an einigen Stellen unklar, weil er eine lange Geschichte hat: was vermutlich ursprünglich mal ein Priester formuliert hat, das haben dann andere in ganz anderen Zusammenhängen nachgesprochen, vielleicht auch eigene Gedanken angefügt, und so ist es ein Text geworden, in dem die Erlebnisse und Erfahrungen von vielen Generationen von Glaubenden drinstecken.
… auch im Neuen Testament
Vorhin in der Lesung (Apostelgeschichte 2,22-32) haben wir gehört, wie Petrus zu Pfingsten in Jerusalem dann diesen Psalm zitiert, um den Menschen die Auferstehung Jesu begreiflich zu machen. Der ursprüngliche Verfasser hat wahrscheinlich gar nicht an eine Auferstehung von den Toten gedacht, sondern war vielleicht schwer krank, aber er hat fest darauf vertraut, dass Gott sein Leben retten würde. Man kann das aus den Versen 10 und 11 heraushören.
Aber, wie meistens in den Psalmen, spielt diese ursprüngliche Situation gar keine große Rolle mehr. Sie wird nur angedeutet, und es ist alles so offen, dass viele späteren Generationen diese Worte auch für sich selbst und ihren Weg hören konnten – wie z.B. auch Petrus am Pfingsttag, als der heilige Geist zum ersten Mal auf die Jünger kam. Die Psalmen geben uns Formulierungen, damit wir selbst Worte für das jeweils aktuelle Wirken Gottes haben.
Was können wir also hier heraushören darüber, wie Gott mit seinen Menschen umgeht?
Ein Ereignis mit Folgen – Gott ist von nun an dabei
Am deutlichsten wird das vielleicht in Vers 7: Gott hat dem Menschen, dessen Stimme wir hier hören, einen Rat gegeben. Und das war wohl nicht bloß ein einmaliger guter Tipp, sondern das ist weitergegangen. Gott hat sozusagen bei einer Gelegenheit im Innersten dieses Menschen einen Platz gefunden und redet nun in seinen Gedanken immer mit. Der muss sich nicht mühsam daran erinnern, sondern Gott hat sich so mit dem Innersten – seinem Unterbewusstsein würden wie heute vielleicht sagen – verbunden, dass er selbst in der Nacht ganz natürlich in den Nachtgedanken mitredet. So wie es in einem Lied heißt, das wir manchmal singen: »Regier‘ in mir in deiner Kraft, über jeden Traum auch in tiefster Nacht!«
In der Nacht, wenn wir vielleicht im Halbschlaf sind und unser Verstand seine Kontrollfunktion etwas nachlässiger ausübt, dann steigen die Nachtgedanken auf: wir erinnern uns an Situationen des vergangenen Tages, die wir schnell zur Seite geschoben haben, die aber doch für unsere Stimmung Bedeutung hatten, oft, ohne dass es uns bewusst ist. Vielleicht fallen uns Dinge ein, die noch zu tun sind, aber auch Konflikte, die nicht ausgestanden sind. Auch schöne Dinge, über die uns zu freuen wir am Tag gar keine Zeit hatten, weil gleich darauf das Nächste anstand. All solche Dinge, die am Tag nicht den nötigen Raum hatten, melden sich in der Nacht wieder.
Und es ist wunderbar, wenn dann nicht nur die Stimmen der Sorgen und Probleme zu hören sind, sondern wenn sich auch ganz selbstverständlich Gottes Stimme meldet, Zuversicht verbreitet, vor Irrwegen und Gefahren warnt und gute, lebensfördernde Lösungen zeigt. Man merkt, wie hier jemand einfach glücklich darüber ist, dass Gott ihn oder sie so engmaschig begleitet. Gott ist in seinem Innersten so präsent, dass sie noch nicht einmal mit einer Willensanstrengung Gott erst ins Spiel bringen muss, sondern Gottes Stimme ist einfach da.
Vom Glück des ersten Gebots
Das ist das Zentrum von allem. In der Nacht genau so wie am Tag. So wie es ganz am Anfang in Vers 2 heißt: Mein Herr bist du, mein ganzes Glück bist du allein. Das ist ein Anklang an das erste Gebot, wo es heißt, dass wir außer Gott keinen anderen Gott haben sollen. Aber es ist ganz deutlich, dass das hier kein Gebot ist, das einem von außen auferlegt wird, und das man nur widerwillig akzeptiert. Sondern es heißt ja: du bist mein Glück! Mir fällt es überhaupt nicht schwer, das erste Gebot zu halten. Und ganz am Ende des Psalms noch einmal: Freude und Wonne in Fülle! Der ganze Psalm strahlt Freude aus, er ist im Grunde ein begeistertes Liebeslied: von dir kommt mir so viel Gutes zu, du beschützt mich, du öffnest mir den Weg des Lebens, du hast mir meinen Platz in der Welt gegeben, die Sorgen bekommen keine Macht über mich. Wieso sollte ich mich nach jemand anderem umsehen? Du bist mein Glück und meine Freude, und etwas Besseres werde ich nicht finden.
Im Gegenteil, die Götter und himmlischen Mächte, die die anderen hochhalten, die bringen mehr Schmerzen mit sich, mehr Sorgen, mehr Unruhe, mehr Angst. Du schenkst Leben, aber die anderen Mächte rauben Lebenskraft, auch wenn sie so tun, als ob bei ihnen alles großartig wäre. Die heißen »heilig« und »herrlich«, sie haben eine Faszination, es gibt genug Leute, die darauf hereinfallen, aber ich kenne etwas Besseres, und das macht mich immun gegen diese Propaganda.
Es gibt ja zu allen Zeiten viele Menschen, die offene Türen haben für die Propaganda der gesellschaftsbeherrschenden Mächte. Für manche ist es schon empörend, wenn jemand etwas anders macht oder anders sieht als alle anderen, so nach dem Motto: du kannst doch nicht einfach so tun, als wärst du schlauer als der ganze Rest der Menschheit. Wenn Menschen nicht gelernt haben, vorauszudenken und die Folgen zu bedenken, dann fallen sie auf oberflächliche Slogans herein.
Nähe ist der Schlüssel
Aber noch wirkungsvoller und tiefer als Nachdenken ist dieses Erlebnis der Gottesnähe, von dem hier im Psalm erzählt wird. Im Kontrast dazu sind die herrlichen und heiligen Idole überhaupt nicht mehr attraktiv. Man bekommt einen großen Abstand dazu, und dieser Abstand gibt einem dann den Raum, den man zum Nachdenken braucht. Die vernünftigen Argumente brauchen erst einmal einen Raum, wo sie gehört werden und nicht vom Lärm der Propaganda geschluckt werden.
Das alles ergibt sich aus der Gottesbegegnung, die im Psalm nur angedeutet wird. Die legt einem einfach die Messlatte für das, was man Glück nennt, ziemlich hoch. Wie so eine Gottesbegegnung genau ausgesehen hat, das hat sich im Lauf der Zeit verändert, und auch schon von Mensch zu Mensch ist es unterschiedlich, schon in der Bibel. Der Heilige Geist stellt sich gut auf unseren Verständnisrahmen ein.
Aber er arbeitet nie mit Druck und Drohung. Diesen ganzen Versuche, uns ein schlechtes Gewissen zu machen, die richten nur Schaden an, die sind nicht von Gott, sondern da versuchen Menschen Macht über uns zu gewinnen. Gott hat das nicht nötig. Gott überzeugt durch Freude und Freiheit. Nur manchmal weist er uns darauf hin: da ist etwas, das dir diese Freiheit kaputt macht, und deshalb sag Nein dazu, mach kaputt, was dich sonst am Ende kaputt macht. Aber die Grundlage dafür ist immer das Positive, die Freude an der Verbindung mit Gott.
Vertrauen gegen den Tod
Aus dieser engen Vertrautheit mit Gott kommt nun auch die Gewissheit: du wirst mich vom Tod erretten! Du wirst nicht zulassen, dass ich das Grab von innen sehe! Da spürt jemand genau, dass Gott und Tod nicht zusammenpassen. Und die Konsequenz ist ganz einfach: solange ich mit Gott zusammen bin, bin ich vor dem Tod sicher.
Wir wissen natürlich, dass da eine logische Inkonsequenz drin ist: wer auch immer zum ersten Mal diesen Psalm formuliert hat, er ist inzwischen gestorben wie alle anderen. Gott hat ihn die schwere Krankheit überleben lassen, aber irgendwann war auch sein Leben zu Ende. Und das ist tatsächlich die Grenze, die im Alten Testament bleibt: sie wissen, dass Gott und der Tod überhaupt nicht zusammenpassen, aber sie erleben natürlich, dass auch die Menschen sterben, die mit Gott ganz eng verbunden sind. Und dieser Widerspruch treibt das Nachdenken immer wieder an. Sie leben im Diesseits mit Gott, sie vertrauen auf seine Gerechtigkeit und seine Treue, aber wenn die Zeiten besonders hart sind, dann fragen sie immer wieder, wie Gott das machen wird, dass er am Ende auch des Todes mächtig wird.
Und da konnten dann Jesusanhänger wie Petrus anknüpfen und sagen: ihr habt schon in die richtige Richtung gefragt. Gott ist stärker als der Tod, und jetzt hat es sich definitiv gezeigt: Gott hat um Jesus herum ansteckendes Leben verbreitet, vor dem der Tod in jeder Gestalt fliehen musste, und am Ende hat er Jesus auferweckt! In den alten Formulierungen, z.B. von Psalm 16, da steckt verborgen schon die Lösung drin. Wenn Gott sich mit einem Menschen verbunden hat, dann kann der Tod dem nichts anhaben. Die Nähe Gottes vertreibt am Ende den Tod endgültig und schafft eine neue Welt, in der er keinen Platz mehr hat.