Legt euch nicht mit dem Chef an!
Predigt am 11. Februar 2018 zu Psalm 2
1 Warum toben die Völker,*
warum ersinnen die Nationen nichtige Pläne?
2 Die Könige der Erde stehen auf,/
die Großen tun sich zusammen*
gegen den HERRN und seinen Gesalbten:
3 Lasst uns ihre Fesseln zerreißen*
und von uns werfen ihre Stricke!
4 Er, der im Himmel thront, lacht,*
der HERR verspottet sie.
5 Dann spricht er in seinem Zorn zu ihnen,*
in seinem Grimm wird er sie erschrecken:
6 Ich selber habe meinen König eingesetzt*
auf Zion, meinem heiligen Berg.
7 Den Beschluss des HERRN will ich kundtun./
Er sprach zu mir: Mein Sohn bist du.*
Ich selber habe dich heute gezeugt.
8 Fordere von mir und ich gebe dir die Völker zum Erbe*
und zum Eigentum die Enden der Erde.
9 Du wirst sie zerschlagen mit eisernem Stab,*
wie Krüge aus Ton wirst du sie zertrümmern.
10 Nun denn, ihr Könige, kommt zur Einsicht,*
lasst euch warnen, ihr Richter der Erde!
11 Mit Furcht dient dem HERRN,/
jubelt ihm zu mit Beben,*
12 küsst den Sohn [oder: seine Füße],
damit er nicht zürnt*
und euer Weg sich nicht verliert,
denn wenig nur und sein Zorn ist entbrannt.*
Selig alle, die bei ihm sich bergen!
Das ist vermutlich ein Text, den der König in Jerusalem früher bei seiner Thronbesteigung rezitiert hat: Könige und Mächtige der Erde, passt auf, rebelliert nicht gegen Gott, und nicht gegen seinen Gealbten, das geht nicht gut aus, ich warne euch!
Auf den ersten Blick klingt das ziemlich anmaßend: der König eines doch ziemlich bescheidenen Ländchens nimmt sich das Recht, seinen Kollegen auf der ganzen Welt Ratschläge oder gar Befehle zu geben. Aber es hat mal eine Zeit gegeben, in der Israel wirklich ein Großreich war, das immerhin über das ganze Land zwischen dem Mittelmeer und der arabischen Wüste geherrscht hat: das war in der Zeit von König David. Schon unter seinem Nachfolger Salomo ging das halb verloren, und sein Enkel Rehabeam verspielte durch seine Arroganz fast den ganzen Rest. Aber für einen Moment war andeutungsweise sichtbar geworden, dass Gott sich ein Volk berufen hatte, durch das er die Welt regieren will. Und die folgenden Könige sollten sich erinnern, was mal möglich gewesen war.
Das Problem an der Konstruktion war, dass sie nur mit einem König wie David funktionierte, der ein Genie war, wenn es darum ging, Menschen zu motivieren, sich im komplizierten Gewebe der Mächte zurechtzufinden und auch Kriege zu gewinnen. Davids Problem wiederum war, dass er sich in der Politik wesentlich besser zurechtfand als in der Patchwork-Landschaft seiner vielen Frauen und Kinder. Und deswegen waren seine Kinder nicht gut vorbereitet auf ihre Rolle als Davids Nachfolger. Dieser menschliche Faktor ließ es nicht zu, dass Gott einfach durch einen beauftragten König die Welt regiert. Aber aus dieser Zeit ist die Erkenntnis geblieben, dass Gott durch ein kleines Volk die ganze Welt lenken will. Ja, vielleicht sogar nur durch einen einzigen Menschen.
Gott als Unterdrücker?
Und es klingt für uns zunächst merkwürdig, wenn Gott hier plötzlich in die Rolle des Unterdrückers zu geraten scheint, über den die anderen Könige sagen: Lasst uns endlich die Stricke und Fesseln abwerfen, mit denen sie uns gebunden haben! Wir wollen endlich frei sein und tun, was wir wollen, ohne diese lästige Oberherrschaft!
Ist Gott denn nicht ein Gott der Freiheit?
Ja, niemand mag es gern, wenn ihm Vorschriften gemacht werden, aber am wenigsten mögen das die Mächtigen. Wer die Macht hat, braucht keine Gesetze, die ihn schützen. Wer die Macht hat, möchte sie auch in völliger Freiheit einsetzen. Aber die Machtlosen, die brauchen unbedingt Gesetze, die ihre Rechte festlegen, und ihnen Schutz geben gegen die Willkür der Mächtigen. Deswegen ist Freiheit so eine zweischneidige Sache. Freiheit, die nicht begrenzt wird, nützt immer den Starken und bringt die Schutzlosen in Gefahr. Deswegen sind in unserem Grundgesetz die Menschenrechte festgeschrieben, die jeden Menschen schützen, auch wenn er schwach und machtlos ist. Es ist ausdrücklich Aufgabe des Staates, auch seine Menschenwürde zu schützen.
Macht wird begrenzt
Und das ist ein Echo der Weltregierung Gottes. Nicht in religiöser Sprache, sondern juristisch formuliert, aber auch unser Grundgesetz ist eine Begrenzung der Macht der Mächtigen, wie Gott sie im Auge hatte, als er uns die Gebote gab: Macht muss sich immer verantworten, ob sie dem Leben dient. Macht muss sich immer verantworten vor dem Willen Gottes, wie er in seinen Geboten zum Ausdruck kommt. Und da gehört zentral der Schutz der Schwachen dazu, der Schutz ihres Lebensrechtes.
Und man kann es schon verstehen, dass alle, die Macht in der Hand haben, das als Fessel empfinden, als unangemessene Einschränkung ihrer Möglichkeiten: Warum kann da irgend so ein Nobody vor Gericht ziehen und mich verklagen, wenn ich ihn geschädigt habe? Wie kann es sein, dass mir ein Staat vorschreibt, wo ich meinen Dreck hinkippen darf und wo nicht? Was für ein Unsinn, dass mein Flieger nachts nicht landen darf, bloß weil die Faulpelze am Boden nachts schlafen wollen! Was für bescheuerte Vorschriften, die mich zwingen, in meine Autos teure Katalysatoren einzubauen und den Schadstoffausstoß zu begrenzen, nur weil die Atmosphäre oder irgendwelche Leute sonst krank werden könnten! Hey, Vorschriften sind dazu da, dass man sie trickreich umgeht!
»Lasst uns ihre Fesseln zerreißen und von uns werfen ihre Stricke!«
Und dann die Steuern! Da verdient man einen Haufen Geld und soll davon auch noch Steuern zahlen, damit die Straßen repariert werden und Kinder lernen können. Oder damit irgendwelche überflüssige Prolls nicht verhungern. Wir sollen Geld zahlen, damit Leute, die uns völlig egal sind, eine gute Gesundheitsversorgung bekommen? Das ist ja wohl die Höhe! Dann ist uns ein Idiot als Präsident viel lieber, weil der wenigstens unsere Steuern senkt. Am besten schafft man die Steuern ganz ab, oder bezahlt nur die Sicherheitskräfte davon, die uns vor dem Mob schützen.
»Lasst uns ihre Fesseln zerreißen und von uns werfen ihre Stricke!«
Und erst der Datenschutz in Europa! Da könnte man ohne Probleme weltweit den gläsernen Menschen schaffen, und dann kommen die uns mit ihren kleinlichen Datenschutzbestimmungen! »Informationelle Selbstbestimmung« – wenn man so was schon hören muss!
Was aus der Sicht der Einen ein Schutz der Schwachen, ein Schutz der Schöpfung und des Lebens ist, das ist aus der Sicht der anderen ein unzulässiger Eingriff in ihre Freiheit. Gott ist immer derselbe, aber wie Menschen ihn erleben, das hängt auch davon ab, wie mächtig oder wie schutzbedürftig sie sind.
»Lasst uns ihre Fesseln zerreißen und von uns werfen ihre Stricke!«
Auch am Anfang unserer Neuzeit in Europa stand so ein Aufbruch: wir wollen uns nichts mehr vorschreiben lassen, am wenigsten von dieser unterdrückerischen Kirche, die keine geistliche Autorität mehr hat, sondern ganz auf weltliche Macht gesetzt hat. Und in der Tat ist das ein Problem, wenn Gottes Beauftragte ihren Job schlecht machen und selbst nicht auf Gott hören. David hat Gott gut gekannt, aber seine Nachfolger nicht, und auch die mittelalterliche Kirche hat sich da nur selten mit Ruhm bekleckert. Die Kirche war hochmütig, und im Gegenzug ist in Europa ein hochmütiger Atheismus entstanden. Immer sind Gottes Beauftragte der Schwachpunkt! Deshalb hat Gott dann selbst dafür gesorgt, dass es einen König gibt, der in seinem Sinn regiert.
Bei Jesus passt der Psalm
Ich stelle mir gelegentlich vor, wie Gott seufzt: alles muss ich selber machen! Ich muss nicht nur gute Gesetze geben, sondern auch noch dafür sorgen, dass es einen gibt, der sie einhält. Und dann schickt er Jesus, damit endlich einer so lebt und regiert, wie Gott es gut findet. Auch die Nachfolger Jesu kriegen es nicht immer hin, aber da gibt es wenigstens den einen, der ihnen gezeigt hat, wie es sein soll. An dem können sich alle anderen messen. Wenigstens an einer Stelle, bei einem Menschen muss Gott nicht seufzen, zum ersten Mal seit Erschaffung der Welt. Das ist die Revolution!
Und wenn man sich Jesus vorstellt, wie der den Psalm 2 zitieren würde, dann bekommt dieser Psalm einen ganz anderen Klang. »Du bist mein Sohn« sagt Gott zu Jesus wirklich bei seiner Taufe. Die Taufe ist sozusagen die Thronbesteigung Jesu, da bekommt er von Gott seine Vollmacht, von da ab bewegt er die Menschen und die Welt, und wieder sind die Herrscher der Erde wütend über diese Einmischung. Deswegen versuchen sie erst, ihn unglaubwürdig zu machen, und dann ermorden sie ihn.
»Lasst uns ihre Fesseln zerreißen und von uns werfen ihre Stricke!«
Aber er, der im Himmel thront, lacht über sie und lässt Jesus auferstehen. Der Herr verspottet sie. Den einen Jesus haben sie gekreuzigt, aber stattdessen haben sie es jetzt mit vielen Jüngern und Jüngerinnen Jesu zu tun, die einfach weitermachen, wo ihr Meister aufgehört hat. Aus der Sicht von Herodes, Pilatus und so weiter ist es ein Alptraum, dass die weiter in Jesu Namen reden. Und im Konfliktfall holen sie sich ihre Kraft direkt aus dem 2. Psalm. Man kann das in der Apostelgeschichte (4,23-31) nachlesen:
»Als die Christen in Jerusalem das hörten, erhoben sie ihre Stimme einmütig zu Gott und sprachen: Herr, du hast Himmel und Erde und das Meer und alles, was darin ist, gemacht, 25 du hast durch den Mund unseres Vaters David, deines Knechtes, durch den Heiligen Geist gesagt (Psalm 2,1-2): »Warum toben die Heiden, und die Völker nehmen sich vor, was vergeblich ist? 26 Die Könige der Erde treten zusammen, und die Fürsten versammeln sich wider den Herrn und seinen Christus.« 27 Wahrhaftig, sie haben sich versammelt in dieser Stadt gegen deinen heiligen Knecht Jesus, den du gesalbt hast, Herodes und Pontius Pilatus mit den Heiden und den Stämmen Israels.«
Auf einmal ist Psalm 2 ganz aktuell. Und dann bitten sie Gott um Mut, und der Heilige Geist kommt und erfüllt sie mit Furchtlosigkeit, und sie reden trotz aller Verboten laut weiter von Jesus. Also vergesst die Weltherrschaftsgedanken der alten Könige, das war nur ein erster Versuch Gottes, seinen Menschen so ungefähr die Richtung zu zeigen, wo es hingehen soll. Hier in der Apostelgeschichte sieht man, wie es wirklich gemeint ist: Menschen, die in der Kraft des Heiligen Geistes die Wahrheit aussprechen, die sich nicht mehr fürchten, und bei denen die neue Welt, die Auferstehungswelt schon präsent ist.
Furchtlose Liebe
So freundlich sie sind, gerade so sind sie eine Bedrohung, vor der die Mächtigen zu Recht Angst haben sollten. Wer Gottes Gebot der Liebe und Solidarität als Zwang und Unterdrückung empfindet, wer Gott am liebsten heraushalten möchte aus seiner privaten Welt, der hat am meisten solche Menschen zu fürchten, die Gottes Gebote als hilfreich und segensreich ansehen und sie von sich aus freiwillig befolgen.
In der sichtbaren Welt wird Gott zur Seite gedrängt, er soll draußen gehalten werden, man will sich nicht reinreden lassen. Aber es gibt immer wieder Zeichen, dass das nicht so einfach ist: da sind Gottes furchtlose Beauftragte, die sich den Mund nicht verbieten lassen, und die sich nicht korrumpieren lassen. Die sind Zeichen für die jetzt noch verborgene Macht Gottes. Auf dieser verborgenen Seite der Welt, da triumphiert Gott jetzt schon, er weiß, dass er sich am Ende die ganze Welt zurückholen wird, er spottet über alle, die glauben, sie könnten die Gesetze seiner Welt aus den Angeln heben.
Wenigstens ein bisschen von dieser Siegeszuversicht soll aus dem 2. Psalm zu uns kommen. Das ist viel besser als das Gejammer über den Mitgliederverlust der Kirche oder gar den Untergang des Abendlandes: ihr Mächtigen auf Erden, legt euch nicht mit unserem Chef an. Der kann ganz schnell richtig böse werden.
Aber selig sind alle, die sich bei ihm bergen.