Ein freundliches Land ohne Sorge
Predigt 13. September 2015 zu 1. Petrus 5,5b-11
Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. 6 So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. 7 Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch. 8 Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. 9 Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, dass ebendieselben Leiden über eure Brüder in der Welt gehen.
10 Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen und auf festen Grund stellen. 11 Ihm gehört die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
Demut – das Wort, das hier gleich von Anfang an im Mittelpunkt des Nachdenkens steht, ist aus unserem Sprachgebrauch heute ziemlich verschwunden. Und das ist in gewisser Weise gut, weil wir dann auch wieder freier sind von den schiefen Bedeutungen des Wortes, bei denen man das Gefühl hat, dass es dabei um eine falsche Untertänigkeit geht: also ein Sich-Unterwerfen unter die jeweiligen Machthaber, was dann noch zur gottgewollten Tugend erhoben wird. Weil heute aber keiner mehr das Wort noch benutzt, sind wir frei, zu entdecken, was da wirklich gemeint ist.
Eine Zeit, um die Bibel neu zu begreifen
Wir sollen uns demütig der gewaltigen Hand Gottes anvertrauen, damit wir den Respekt vor der Macht von Menschen und allen angeblichen Sachzwängen verlieren. Es ist ein riesiger Unterschied, ob man gegenüber Gott demütig wird oder gegenüber Machthabern. Und wir sollen unterscheiden lernen, ob Gottes Hand uns führt, möglicherweise an einen Ort, den wir uns nicht ausgesucht hätten, oder ob einfach Menschen versuchen, uns das Leben schwer zu machen oder uns auszunutzen.
Und in diesen Wochen und Monaten, wo wir Tag für Tag Bilder sehen von Menschen, die auf vielen gefährlichen Wegen hier zu uns nach Europa kommen, wird es wieder leichter zu verstehen, was mit der gewaltigen Hand Gottes gemeint ist, der wir nicht widerstehen sollen, sondern der wir uns anvertrauen sollen: niemand hier bei uns hat sich gewünscht, dass das Unglück in der Welt uns jetzt so nahe kommt. Niemand hat das vorausgesehen, dass noch einmal in unseren Städten große Zahlen von Menschen ankommen, die fast alles verloren haben, weil ihr Land vom Krieg unbewohnbar gemacht worden ist. Viele kannten das nur noch aus den Geschichten der Eltern und Großeltern und Urgroßeltern und wir hielten das für eine ferne Vergangenheit. Vor 70 Jahren sind hier bei uns zum letzten Mal Züge angekommen, die vollgestopft waren mit Menschen, die unter die Räder der Geschichte gekommen waren und nur noch das besaßen, was sie auf dem Leib trugen und im Handgepäck dabei hatten. Jetzt passiert das wieder.
Und wenn wir heute hören, dass wir uns demütig der gewaltigen Hand Gottes anvertrauen sollen, dann ist damit vor allem gemeint, dass wir diese Realität annehmen. Dass wir nicht versuchen, uns davor abzuschirmen durch irgendwelche Zäune in Gedanken oder an Landesgrenzen, sondern einfach verstehen: So ist das. Es ist nicht toll, wir würden wünschen, dass all die Menschen in Frieden in ihrem Land leben könnten, aber es ist real. Und es ist die Hand Gottes, die uns in diese Situation bringt. Gott mutet uns zu, dass wir auch ein Teil von dem Unglück auf uns nehmen, von dem die Welt voll ist.
Gott traut uns (wieder) was zu
Man kann das auch viel positiver formulieren: Gott traut uns zu, dass wir das können. Gott hat uns nach dem Desaster von zwei Weltkriegen und Gewaltherrschaft 70 Jahre geschenkt, 70 Jahre Frieden, um wieder heil zu werden, und jetzt ist es so weit: jetzt traut er uns zu, dass wir ein freundliches Land geworden sind, das die Kraft hat, einen Teil des Unglücks in der Welt mitzutragen und zur Heilung beizutragen.
Und dann sieht man auch, warum gleich anschließend hier im Petrusbrief steht, wir sollten unsere Sorge auf Gott werfen: wenn Gott uns an diese Aufgabe stellt, dann sorgt er auch dafür, dass wir es schaffen können. Natürlich hätten wir genügend Gründe zur Sorge, wohin das alles noch führt. Natürlich überfordert das jetzt die Behörden und die Entscheidungsträger, und es kann sein, dass wir alle noch ganz schön ran müssen bei der Aufgabe, für all die Menschen einen Platz zu finden, wo sie gut leben können. Es kann sein, dass unser Land sich noch ganz schön verändern wird.
Sorgen sind vom Teufel
Aber da sagt Petrus eben: Gott sorgt für euch. Gebt ihm die Sorgen. Er bringt euch in diese Situation, akzeptiert es, dass das von ihm ist, dann wird er auch für Lösungen sorgen. Also tut, was nötig ist, und macht euch keine Sorgen. Sorgen sind Gift. Sorgen sind vom Teufel. Sie nützen nichts, sie drücken nur aufs Gemüt, aber nichts wird davon besser. Schon Jesus hat gesagt: du kannst dir Sorgen machen so viel du willst, aber davon wird dein Leben keinen Tag länger. Und wir können heute dazusetzen: eher wird das Leben kürzer, wenn man sich Sorgen macht. Auf jeden Fall wird es mühsamer. Aber wenn du dich demütig der gewaltigen Hand Gottes anvertraust, dann kannst du ruhig schlafen, auch wenn Morgen wieder eine Menge Aufgaben warten. Aber was Morgen sein wird, das kannst du Gott überlassen.
Wenn wir das lernen, dann nützt uns das nicht bloß in diesen Tagen, sondern das kann man immer brauchen. Wir sollen den Versuch aufgeben, auch die Zukunft im Griff haben zu wollen. Das kostet viel zu viel von der Energie, die wir für heute brauchen. Und im Grunde wissen wir alle, dass die Zukunft außerhalb unserer Kontrolle ist. Wir haben unsere Pläne und Bilder von der Zukunft, und dann kommt eine Finanzkrise oder eine Krankheit oder noch Schlimmeres, oder auch Besseres, und bringt alles durcheinander. Wir sollen in das Heute investieren, wir sollen in Menschen investieren, und die Sorge um die Zukunft Gott überlassen.
Gott ist stärker
Der christliche Glaube kommt ja her von der Grunderfahrung, dass Jesus auferstanden ist. Gott hat sogar auf die Kreuzigung Jesu eine Antwort gehabt. Eigentlich wäre das die ultimative Niederlage Jesu gewesen, aber Gott hat sogar auf diese Katastrophe eine Antwort gefunden. Wenn er das konnte, dann ist ihm nichts unmöglich. Hauptsache, es sind Menschen da, die sich ihm anvertrauen, so wie es Jesus getan hat. Hauptsache, es sind Menschen da, die darauf bauen, dass das Leben Gottes stärker ist als alle Mächte des Todes und der Unterdrückung.
Das alles ist natürlich auch schon zusammengefasst im Taufspruch von Luna, den wir vorhin gehört haben: »Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohl machen (Psalm 37,5)!« Trau Gott zu, dass er deine Wege richtig lenkt, achte auf seine Weisung, und mach dir keine Sorgen. Dann wird sein Segen in deinem Leben zum Zuge kommen.
Natürlich liegt das alles nicht einfach auf der Hand. Da geht es um Glauben. Aber Glauben ist eben nicht Augenzumachen und Vernunftausschalten, sondern Glauben bedeutet: daran festhalten, dass diese Welt zur Solidarität geschaffen ist, dass Liebe eingeschrieben ist in ihre Fundamente, und dass sie am besten funktioniert, wenn wir liebevoll und freundlich bleiben, unseren Verstand benutzen und alles, was wir noch nicht übersehen können, Gott anvertrauen.
Ein Kampf darum, was die Wahrheit ist
Dadurch kann man durchaus in Konflikt mit anderen kommen, die sich viel lieber sorgen möchten. Diese Sorge, dass man zu kurz kommen könnte, wenn man mit anderen verbunden ist, die macht ja das Herz ziemlich hart. Und ob diese Welt mit Liebe und Solidarität funktioniert, oder ob man eben doch vor allem an sich selbst denken sollte, um diese Frage gibt es einen harten Kampf. Misstrauen und Sorgen sichern sich ab mit Regeln und Gesetzen, aber manchmal bricht eben auch die spontane Freundlichkeit durch und die Welt ist nicht mehr festgelegt und verrammelt, sondern offen und frei.
Wenn ich daran denke, wie oft wir hier gebetet haben, dass wir ein freundliches, gastfreundliches Land werden, und mir war es manchmal schon peinlich, immer wieder das Gleiche zu beten, als ob es nichts anderes gäbe. Aber dann ist vor einer Woche irgendetwas gekippt, und viele im Land sind zu den Bahnhöfen gegangen und haben in großer Zahl »Ja« zu den Menschen gesagt, die jetzt zu uns kommen.
Die Vision von einem guten Land
Und auf einmal sind die Flüchtlingsheimanzünder und Hassprediger nicht mehr in der Offensive. Und wir können die Vision sehen von einem Land, das stark und gesund und freundlich ist, weil es freiwillig den Teil am Unglück dieser Welt auf sich nimmt, den Gott uns zumutet. Ein Land, das sich der mächtigen Hand Gottes anvertraut und akzeptiert, was diese Hand uns gibt, und so gesegnet wird. Wenn wir davon bewegt sind, müssen wir uns keine Sorgen um die Zukunft machen.
Natürlich kann es sein, dass irgendwann die Stimmung wieder kippt, und dass irgendwann Menschen und Regierungen verzagen vor den Problemen, die da vielleicht noch auf uns zukommen. Aber – merkt ihr? – das sind schon wieder die Sorgen. Und die sollen wir nicht endlos wälzen und bereden, sondern sie Gott anvertrauen. Je mehr Raum man den Sorgen gibt, um so größer werden sie. Das ist ein ganz einfacher Zusammenhang. Ja, natürlich ist die Welt voller Probleme und Gefahren. Sie ist sogar ziemlich gefährlich. Wer das nicht sieht, hat keine Augen im Kopf. Aber deswegen müssen wir noch lange nicht unser Gehirn damit vollstopfen. Das wird für wichtigere Dinge gebraucht: um die Probleme von heute anzupacken, um auf Gott zu hören, um Menschen zu lieben. Sorgen sind vom Teufel.
Frühwarnsysteme
In vielen Geschichten und Romanen gibt es ja irgendwelche Zeichen, die anzeigen, dass man in Gefahr ist: Schwerter, die sich melden, wenn Orks in der Nähe sind oder so. Sorgen sind auch so ein Warnsignal, dass der Feind sich anschleicht. Wenn du merkst, dass du ängstlich wirst und anfängst zu grübeln und dich zu sorgen, dann schau nach, wo er sich einschleichen will und tritt ihm entgegen. Sei klar und mutig.
Denn Jesus ist auferstanden! Und deshalb wird Gott Lösungen finden. Manchmal geht es schnell, manchmal müssen wir warten und durchhalten. Die ersten Christen haben im gnadenlosen römischen Imperium dreihundert Jahre durchhalten müssen, und einige haben darüber ihr Leben verloren. Am Ende hatten sie das Imperium ein Stück menschlicher gemacht. Aber sie haben durchhalten müssen. Deswegen schließt Petrus hier mit der Verheißung, dass Gott uns »aufrichten, stärken, kräftigen und auf festen Grund stellen« wird. Stark wird man, wenn man eine Zeit auch bei Gegenwind durchhält. Wenn du das mal gelernt hast, egal bei welcher Gelegenheit, dann nützt dir das dein ganzes Leben lang.
Gut schlafen
Wenn wir also demütig werden gegenüber Gott und uns nicht sperren gegen seine starke Hand, die uns führt, dann werden wir mutig gegenüber Menschen und dem, was sie uns als unser »Schicksal« aufschwatzen wollen. Unser Kopf wird frei und unser Schlaf wird fest.
Vom Apostel Petrus wird erzählt, dass er in Jerusalem schon in der Todeszelle saß, und als der Engel Gottes kam, um ihn zu befreien, da musste er ihn erst schütteln, bis er wach wurde (Apostelgeschichte 12,6-7). Wenn einer in der Nacht vor seiner geplanten Hinrichtung so fest schlafen kann, dann hat er wirklich gelernt, sich Gottes gewaltiger Hand anzuvertrauen.