Was Terroristen sich denken

Besonderer Gottesdienst am 25. Januar 2015 mit Predigt zu Matthäus 4,1-11

Einführung ins Thema:

Louise Richardson war Professorin an der Harvard Universität und forschte dort über Terrorismus. Louise RichardsonHeute ist sie Rektorin der Universität von St. Andrews in Schottland. Dass sie Terrorismus erforschte, war kein Zufall. Sie stammt aus Nordirland und ist aufgewachsen in der Zeit des Kampfes der Irisch-Republikanischen Armee IRA gegen die Engländer. Sie wollte verstehen, was sie da erlebt hat und hat sich die Frage gestellt, was eigentlich die Ziele von Terroristen sind. Und sie hat eine einfache Antwort gefunden: es geht ihnen um Rache, Ruhm und Reaktion. Und zwar egal, ob es politischer, religiöser oder nationalistischer Terrorismus ist. Ob Menschen behaupten, sie kämpfen im Auftrag Gottes, oder ob sie Atheisten sind, das macht interessanter Weise keinen großen Unterschied.

Drei Motive für Terrorismus

Es geht Terroristen also erstens um Rache. Die irisch-republikanische Armee rächte sich für die Unterdrückung der Iren durch die Engländer. Osama Bin Laden wollte Rache nehmen für die Demütigung der Muslime durch die Anwesenheit amerikanische Truppen in Saudi-Arabien, dem Kernland des Islam. Palästinensische Selbstmordattentäter wollen Israel bestrafen für die Besetzung ihres Landes. Irakische Terroristen wollten die Opfer des Irakkrieges rächen, und da haben sie viel zu tun.

Viele Menschen haben zuerst viele persönliche Demütigungen erlebt, wenn z.B. nachts Regierungstruppen ins Haus eindringen, die Bewohner herumkommandieren und schlagen und ihre Wohnung verwüsten, vielleicht die Eltern mitnehmen. Irgendwann ist für sie das Maß voll, und dann schließen sie sich einer militanten Organisation an. Wenn also Sicherheitsdienste im Kampf gegen Terroristen die Bevölkerung schikanieren, dann sorgen sie dafür, dass die Untergrundorganisationen keinen Mangel an Kämpfern haben. Je mehr Menschen über Unrecht erbittert sind, um so größer ist die Chance, dass sie sich das irgendwann nicht mehr gefallen lassen wollen.

Dabei muss es sich aber nicht unbedingt eigene Erlebnisse handeln. Mancher identifiziert sich einfach durch Videos im Internet mit dem, was anderen tatsächlich oder vermeintlich angetan worden ist.

Das Zweite, was Terroristen wollen, ist Aufmerksamkeit und Ruhm. Je schwieriger ein Anschlag durchzuführen ist, um so mehr Ansehen bringt er. Je mehr Menschen sterben, um so größer ist das Medienecho. Deswegen hat der »Islamische Staat« in Syrien seine eigene professionelle Propagandaabteilung, die dafür sorgt, dass man sich auf der ganzen Welt im Internet Videos über diese Organisation ansehen kann. Und überhaupt hat es in den letzten Jahren eine enorme Eskalation der terroristischen Gewalt gegeben. Jede Gruppe versucht die anderen zu übertrumpfen. Den einfachen Mitgliedern reicht es, wenn sie im Kreis ihrer Mitkämpfer Anerkennung finden. Die Anführer wollen international bekannt sein. Je höher die Belohnung ist, die für ihre Ergreifung ausgesetzt wird, um so besser.

Drittens wollen Terroristen eine Reaktion provozieren. Oft soll der Staat zu einer Reaktion gebracht werden, die ihn ins Unrecht setzt. Wenn die Amerikaner im Irak und in Guantanamo Menschen foltern, dann machen sie ihre angeblichen Werte wie Demokratie und Freiheit unglaubwürdig. Als vor vierzig Jahren in Westdeutschland die Rote Armee Fraktion Attentate auf hochrangige Beamte und Wirtschaftsbosse verübte, da hofften sie, dass der Staat so brutal reagieren würde, dass er sich vor aller Augen als faschistisch entlarven würde. Zeloten zur Zeit Jesu wollten einen Volksaufstand anstiften, was ihnen am Ende auch gelungen ist. Es geht eigentlich immer darum, Konflikte zu vertiefen und möglichst viele Menschen mit einzubeziehen.

Terrorismus hat ein Publikum

Das bedeutet, Terroristen haben eine Bezugsgruppe, ein Publikum, an das sie sich wenden. Diese Bezugsgruppe wollen sie mit ihren Taten beeinflussen. Als Al Quaida die Zwillingstürme des World Trade Centers zum Einsturz bringen ließ und 3000 Menschen in den Trümmern starben, da waren die Adressaten dieser Tat gar nicht in erster Linie die Amerikaner. Die eigentliche Botschaft richtete sich an die muslimische Gemeinschaft. Die sollte aufgerüttelt werden; die Botschaft war: lasst euch nicht weiter alles gefallen, die USA sind verwundbar, wir können sie aus unseren Ländern vertreiben, wenn wir nur wollen. Aber dazu müssen wir entschieden sein. Und wir brauchen solche Führer wie Bin Laden.

Das Problem der Radikalen

Jeder, der sich schon mal über laxe Christen beschwert hat, kann sich da gut hineindenken. Alle Radikalen leiden darunter, dass die meisten Menschen in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen wollen, keine Lust auf Krieg haben und nur gelegentlich mal an ihre Weltanschauung denken. So wie bei uns Menschen sich über sogenannte Weihnachtschristen aufregen, die sich nur sporadisch an ihren christlichen Glauben erinnern, so regen sich Islamisten über Muslime auf, denen nur im Ramadan einfällt, dass sie mal wieder in die Moschee gehen sollten.

Bin Laden und seine Organisation wollten verhindern, dass die islamischen Länder nach und nach verwestlichen, amerikanische Fernsehserien gucken und bei McDonalds Hamburger futtern. Westliche Firmen, Hotels und Truppen in islamischen Ländern sind für Islamisten genauso ein Gräuel, wie für Thilo Sarrazin Moscheen und Minarette in Berlin-Kreuzberg den Untergang des Abendlandes signalisieren. Spektakuläre Anschläge sollen für Misstrauen zwischen Muslimen und den anderen sorgen, die muslimische Gemeinschaft soll dadurch enger zusammenrücken. Die Fronten sollen geklärt werden, die eigenen Reihen sollen geschlossen werden. Als Präsident Bush nach dem 9. September zum »Kreuzzug gegen den Terror« aufrief, hat sich Bin Laden wahrscheinlich ins Fäustchen gelacht und sich gefragt, wie dumm die Amerikaner eigentlich sind, dass sie ihm so in die Hände arbeiten.

Der Kampf geht um die breite Mitte

Wenn man diese Motive von Terroristen kennt, dann merkt man, dass der militärische Anti-Terror-Kampf gar nicht das Entscheidende ist. Der eigentliche Kampf geht um die Herzen der Menschen. Wenn man sie schlecht behandelt, treibt man sie den Terroristen in die Arme. In der Zeit Jesu ließen arrogante und brutale römische Statthalter keine Gelegenheit aus, um die Menschen gegen sich aufzubringen. Die Quittung war der jüdische Krieg in den Jahren 66-70, den Rom am Ende nur durch den Einsatz seiner ganzen militärischen Macht gewinnen konnte. Israel aber erlitt eine schreckliche Niederlage; es verlor auch die restlichen Freiheiten, die es noch hatte.

Jesus wollte sein Volk davor schützen, indem er ihnen einen anderen Weg zeigte. Jesu Reaktion auf das römische Unrecht war nicht von Rache und Verbitterung geprägt. Stattdessen suchte er einen Weg der Versöhnung in seinem Volk und sogar mit den römischen Unterdrückern. Über diese kreative Art Jesu, anders auf Unrecht zu reagieren, ohne es zu leugnen oder herunterzuspielen, müssen wir jetzt gleich nachdenken. Sie ist tief in seinem Bild von Gott verankert.

Predigt:

In der Zeit Jesu war es für einen jungen Mann eine echte Option, sich den Zeloten anzuschließen. So wie vor 40 Jahren junge katholische Männer in Nordirland wahrscheinlich alle mal darüber nachgedacht haben, ob sie sich der Irisch-Republikanischen Armee anschließen sollten. Am Ende tut es nur eine begrenzte Zahl, aber in Betracht gezogen haben sie es wohl alle irgendwann. So muss sich auch Jesus irgendwann der Frage gestellt haben, ob sein Weg ihn zu den Zeloten oder Sikariern führen würde. Die warfen damals keine Bomben, sondern mischten sich unter Menschenmengen und stachen schnell mal mit einem Dolch zu, um Sympathisanten Roms zu bestrafen.

Die terroristische Versuchung

Einen Widerhall dieser Entscheidung Jesu gegen den Terrorismus findet man wahrscheinlich in der Geschichte von der Versuchung Jesu, die wir vorhin in der Lesung gehört haben (Matthäus 4,1-11). Auf dem Höhepunkt bietet der Versucher Jesu die Macht über die ganze Welt an, wenn er sie aus seiner Hand entgegen nimmt. Für den Angehörigen eines kleinen unterdrückten und gedemütigten Volkes ist das ein starkes Angebot: endlich nicht mehr Opfer sein, endlich selbst mal obenauf sein und den Unterdrückern mit eigener Münze heimzahlen! Eine echte Versuchung.

Aber Jesus schlägt das Angebot aus. Er würde sich damit selbst auf das gewalttätige Muster des Imperiums einlassen, er wäre keine Alternative mehr. Viel später, bei seiner Gefangennahme, hat er einen Jünger gestoppt, der ihn mit Gewalt verteidigen wollte. »Steck dein Schwert in die Scheide« hat er gesagt (Matth. 26,52), »denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen.« Terroristen werden meistens nicht alt. Wieder und wieder erleben wir es, dass Gewalt immer nur neue Gewalt hervorbringt. Deshalb hat man jedenfalls in Europa den Menschen die Waffen weggenommen, und solange kein Krieg ist, darf nur die Polizei Waffen benutzen. Und wir fahren gut damit.

Jesu Alternative

Jesus hat gesehen, dass der Widerstand der Zeloten sein Volk in die Katastrophe führen würde, und so ist es dann 40 Jahre später auch gekommen. Jesus sah das römische Unrecht genauso klar wie die Zeloten, aber sein Weg unterschied sich mindestens an zwei zentralen Punkten von dem der Terroristen:

  1. Zum einen hat er das Motiv der Rache strikt ausgeschlossen. Er hat aus dem Alten Testament gelernt, dass Gott sagt (5. Mose 32,35): »Mein ist die Rache, ich will vergelten.« Um die Rache kümmert Gott sich, das müssen wir nicht machen. Auch nicht in Gottes Auftrag. Der Weg der Rache zerstört Menschen innerlich, er fixiert sie auf den Tod und nicht auf das Leben. Praktisch jede Terrorgruppe erlebt diese Entwicklung, dass man mit idealistischen Zielen anfängt, und am Ende löst man alle Probleme mit Gewalt, auch gruppeninterne Konflikte. Viele Gruppen haben als Befreiungsbewegung angefangen und enden als kriminelle Gang. Irgendwann sind ihre Mitglieder abgestumpft gegen Gewalt und üben sie wahllos aus.

  2. Der andere Unterschied, den Jesus machte, ist: er vertiefte nicht die Konflikte und Abgrenzungen, sondern er überschritt Grenzen. Er aß und redete mit allen möglichen Leuten, unter seinen Jüngern waren alle Parteien vertreten, und er heilte auch Römer, wenn sie darum baten. Er lebte Versöhnung. Er kritisierte die eigenen Leute oft härter als die feindlichen heidnischen Ausländer. Er verkündete einen Gott, der es über Gute und Böse regnen lässt, der seinen Segen großzügig in der Welt ausstreut und darauf vertraut, dass das Leben stärker sein wird als der Tod.

Es ist im Kern dieses Bild von Gott, das Jesus von den Terroristen aller Zeiten unterscheidet: Jesus kennt einen starken, souveränen Gott, dessen Gerechtigkeit man nicht nachhelfen muss. Dieser Gott bringt starke, souveräne Menschen hervor, die lieben können statt zu hassen und zu vergelten. Menschen, die sich auch in schweren Zeiten nicht als Opfer fühlen, weil sie von Gott Handlungsspielraum und Wert bekommen.

Unerwartete Gemeinsamkeiten

Wen man sich mit dieser Brille die Akteure in der terroristischen Auseinandersetzung anschaut, dann sitzen auf einmal Leute in einem Boot, die man eigentlich für erbitterte Feinde halten würde: auf der einen Seite diese unsicheren jungen Männer und auch Frauen, die so schnell gekränkt sind und sich mit einer Waffe in der Hand gleich viel wichtiger fühlen – egal, ob in Syrien oder auf den Straßen einer trostlosen Plattenbausiedlung. Aber genauso der unsichere US-Präsident Bush, der mit seiner Ahnungslosigkeit alles noch viel schlimmer gemacht hat. Und schließlich auch in unserem Land alle, die sich von der rasanten gesellschaftlichen Entwicklung abgehängt fühlen und eine Islamisierung des Abendlandes befürchten. Nur weil in Deutschland fünf Prozent Muslime leben, von denen die allermeisten aber ihren Glauben auch nicht entschiedener leben als die meisten hiesigen Christen ihr Christentum. Wer wirklich etwas gegen den Untergang des christlichen Abendlandes tun will, der kann einfach am Sonntag zum Gottesdienst gehen, das wäre die wirkungsvollste Strategie – gerade in der ehemaligen DDR mit ihren vielen leeren Kirchen.

Das Abendland ist ja nie wirklich christlich gewesen, aber es ist entscheidend beeinflusst worden durch die Botschaft Jesu von einem starken Gott, der schenkt und gibt und seine Feinde durch Zuwendung und Liebe zu sich bekehrt. Die stärkste Antwort auf Terror ist es, diesen Gott nachzuahmen: indem wir uns um Menschen kümmern, ohne ihre Schattenseiten zu übersehen; indem wir trennende Unterschiede nicht ernst nehmen, sondern überwinden; indem wir Barmherzigkeit und Liebe schenken; und zwar nicht nur als Einzelne, sondern als fest zusammen haltende Gemeinschaft.

Ein starker Gott

FDR in 1933Speziell dem Terror antworten wir am besten, wenn wir uns nicht von Angst leiten lassen. »Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst.« hat der amerikanische Präsident Roosevelt in einer kritischen Phase der amerikanischen Geschichte gesagt. Diese Besonnenheit würde man auch seinen Nachfolgern wünschen, aber auch unseren Politikern und uns allen.

Wir haben einen starken Gott; der hat es nicht nötig, dass wir ihn (oder seine Ehre) verteidigen. Er ist durchaus in der Lage, für sich selbst zu sorgen. Aber er wünscht sich Menschen, die seine Liebe von ihm lernen.

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