Großzügig beschenkt
Besonderer Gottesdienst am 15. März 2015 mit Predigt zu Matthäus 5,43-45
»Großzügig beschenkt« – diese Überschrift über dem Gottesdienst soll uns daran erinnern, dass am Anfang von allem das große Geschenk der Schöpfung steht. Gott erschafft die Welt als einen Raum zum Leben, er sieht, dass es gut ist, und dann schafft er die Lebewesen und segnet sie. Man könnte sagen, dass die Schöpfung von Segen durchtränkt ist, durchströmt, geflutet. Aber Segen ist nicht eine Masse, die man speichern könnte. Er gleicht eher dem elektrischen Strom, der nur da ist, so lange er fließt. Und wenn wir die Lampe anmachen oder die Bohrmaschine starten, dann sind wir mit dem Kraftwerk verbunden, auch wenn das Tausend Kilometer weit weg ist. Über viele Leitungen und Trafos und Schalter hängen wir mit dem Generator zusammen, der den Strom produziert.
Der verborgene Strom des Segens
So ist es auch mit dem Segen Gottes: über viele Zwischenstationen kommt er zu uns, durch Menschen und ihre Worte, durch die Güte der Schöpfung, durch Schönheit, durch uralte Gesten, aber wenn er ankommt dann sind wir trotz all dieser Zwischenstationen direkt mit Gott verbunden. Und der Segen trägt eine Botschaft des Schöpfers: ich habe dich zum Leben geschaffen. Ich habe ganz am Anfang Ja zu dir gesagt. Und das werde ich nie zurücknehmen. Mein Segen begleitet alles was lebt – auch wenn niemand ihn berechnen oder experimentell nachweisen kann.
Segen geschieht auf der verborgenen Seite der Welt. Wenn wir atmen, essen, sprechen, arbeiten – immer ist da die Tiefendimension des Segens mit dabei. Manchmal fließt er stark, und manchmal verschließen wir uns für ihn, und dann wird es karg und freudlos.
Im Alten Testament wird der Segen mit der ganzen Fülle der Welt zusammengebracht. Und im Neuen Testament ist dieser verborgene Strom von Gottes Zuwendung die geheime Voraussetzung, von der her Jesus lebt und handelt. Er hat da immer nur in Andeutungen drüber gesprochen, aber wenn man die verschiedenen Stellen zusammen sieht, gibt es doch ein recht deutliches Bild.
Die Grundlage, von der Jesus aus handelte
Vielleicht hat sich ja mancher schon gefragt: warum so ein positives Thema wie »Großzügig beschenkt« mitten in der Passionszeit? Ganz einfach: als Jesus nach Jerusalem ging, im Wissen, dass er sterben würde, da hat er auf diese verborgene Wirklichkeit Gottes vertraut. Das war seine Voraussetzung, und sein Tod war der Moment, in dem diese Basis dem härtesten Test von allen unterzogen wurde. Und am Ende hat sich gezeigt, dass er nicht vergeblich vertraut hatte – Gott ließ ihn auferstehen, und er regiert jetzt von dieser verborgenen Seite der Welt aus.
Diese Seite der Welt ist verborgen, weil wir sie sonst sofort für unsere Zwecke einspannen würden. Sie ist nicht für unseren herrischen Geist zugänglich, sondern sie erschließt sich einem geduldigen und hörenden Herzen. Es gibt Worte und Bilder, die uns den Zugang schenken können, wenn wir uns dafür öffnen.
Schauen wir uns dazu noch einmal das Bild an, das der Ankündigung des Gottesdienstes zu Grunde liegt. Es stammt vom Antwerpener Maler Jacob Foppens van Es. Er lebte von 1596 bis 1666 und malte vor allem Frühstücks-Stilleben, z.B. dieses hier – mit Fisch und Oliven und Austern und Zitrusfrüchten, Zitronen und Orangen. Das war damals noch etwas ganz Besonderes, deshalb liegen sie auch vorn, damit man sie nicht übersieht. Es waren reiche Kaufleute, für die er seine Bilder gemalt hat. Die hatten Bedienstete, die ihnen das Frühstück zubereitet haben und selbst viel kärglicher gegessen haben. Aber in diesen Bildern finden wir die Vision der Fülle, des reichen Segens, des Überflusses, auch wenn der nur einigen wenigen zugute kam. Aber trotzdem verstehen wir: Segen bedeutet auch, dass einem das Wasser im Munde zusammenläuft.
Heute könnten sich das, was hier zu sehen ist, auch normale Menschen leisten, aber es ist nicht der materielle Wert, um den es geht. Es ist der Glanz und die Freude, die über diesem Bild liegt. Das ist nicht lieblos im Plastikbecher auf den Tisch geknallt, sondern so arrangiert, dass schon der Anblick ein Vergnügen ist. Und der Glanz, der hier über über diesem Frühstücksbild liegt, der kann über allem liegen: über Menschen, auf Häusern, über einer Landschaft. Aber es muss jemand sein, der Augen dafür hat und uns hilft, diesen Segen zu sehen.
Oder wenn ich dieses leckere Bild mit Hühnchen und Pasteten und Früchten sehe, dann denke ich: ich wäre auch gern Frühstücks-Maler. Erst malt man es, und dann isst man es auf. Aber es geht nicht bloß um die Nahrungsmittel, sondern um das, was sie mitbringen. Van Es hat seinen Bildern deshalb auch gerne Symbole eingefügt. Hier z.B. gibt es zwei Kreuze: die Brote links und dann noch einmal in der Mitte ein kleines Kreuz aus Zuckerstangen oder so etwas Ähnlichem. Und vorne unter der Schale mit den Oliven sieht man ein Herzsymbol aus Teig, ein Plätzchen wohl.
Das Herz der Welt
So eine Herzform findet sich auch auf unserem ersten Bild: Diesmal ist es der herzförmige Kern einer Nuss. Das Herz-Motiv findet man häufig auf van Es‘ Bildern, und auch hier wieder an der zentralen Stelle. Es muss für ihn eine besondere Bedeutung gehabt haben. Ich kenne mich in der Kunstgeschichte nicht so gut aus, dass ich es fachkundig einordnen könnte, ich weiß nicht, wie fromm dieser Maler war, welche Rolle Gott für ihn gespielt hat, aber ich verstehe das so, dass diese ganze Fülle mit ihrer Vitalität und Frische ein Herz hat, eine Mitte. Von dieser Mitte der Welt aus bekommt alles seinen Glanz, und wenn der fehlt, dann sind das immer noch gute Früchte mit viel Vitaminen, aber die Freude ist verschwunden, und es sind eben nur noch Lebensmittel. Sogar manche Lebensmittelketten haben anscheinend inzwischen etwas davon verstanden: wenn sie sich Mühe geben, das Obst und das Gemüse im Laden schön zu arrangieren und zu beleuchten, so dass man die Frische sieht, oder wenn sie sagen: »wir lieben Lebensmittel«, dann versuchen sie etwas von diesem Segen an ihren Waren sichtbar werden zu lassen. Natürlich, damit sie sich besser verkaufen, aber es ist schon interessant, dass sie für diesen kommerziellen Zweck etwas zu nutzen versuchen, was sich gerade nicht in Euros ausdrücken lässt.
Halten wir also fest: diese Welt der Fülle hat eine Mitte, ein Herz, von dem her alles seinen Glanz bekommt. Man kann das nicht messen und berechnen, aber es ist eine wirksame Realität. Man kann sie übersehen, man kann sie auch zum Verschwinden bringen. Es gibt sicher Menschen, die nicht gelernt haben, ein Gefühl dafür zu entwickeln, und die ihr Frühstück auch aus der Dose löffeln würden. Aber irgendwo ist jeder Mensch dafür empfänglich, dass die Dinge von einem schwer beschreibbaren Glanz begleitet werden. Selbst in kitschigen Bildern und hohlen Festivitäten zeigt sich, wie wir uns nach der Bedeutung ausstrecken, die alle Dinge tragen. Alle Menschen ahnen etwas von der Tiefe, die die Welt hat, selbst wenn wir uns den größten Teil unseres Lebens eher wie Flachwurzler verhalten.
Genaueres dazu sagen kann uns eine Textpassage aus der Bergpredigt Jesu (Matthäus 5,43-45):
43 »Ihr wisst, dass es heißt: ›Du sollst deine Mitmenschen lieben, und du sollst deine Feinde hassen.‹ 44 Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde, und betet für die, die euch verfolgen. 45 Damit erweist ihr euch als Söhne eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne über Bösen und Guten aufgehen und lässt es regnen für Gerechte und Ungerechte.
Ich möchte jetzt nicht darüber nachdenken, wie leicht oder wie schwer es ist, seine Feinde zu lieben, und wer eigentlich unsere Feinde sind. Ich möchte unsere Aufmerksamkeit auf das richten, was Jesus hier quasi nebenbei über Gott sagt. Er sagt: die Feindesliebe ist deswegen wichtig, weil wir damit an einer zentralen Stelle Gott ähnlich werden – und es ist ja unsere Bestimmung, dass wir zum Bild Gottes geschaffen sind.
Gott, so sagt es Jesus, lässt seine Sonne auf Gerechte und Ungerechte scheinen, und den Regen verteilt er genau so großzügig. Sonne und Regen sind die elementaren Voraussetzungen für Fruchtbarkeit und Gedeihen. Sie sind Symbole für den Segen, nein, sie sind Träger des Segens, der die Erde erfüllt. Und Jesus sagt: wenn ihr ebenso großzügig eure Fürsorge verteilt, für alle Menschen, nicht nur für die, die euch nahe stehen, dann erweist ihr euch als Kinder dieses großzügigen Gottes. Dann tragt ihr dazu bei, dass seine Großzügigkeit unter uns sichtbar wird.
Wie der Segen sichtbar wird
So wie ein Maler wie Jakob van Es dazu beiträgt, dass die Fülle des Segens über einem gedeckten Frühstückstisch erkennbar aufscheint, so soll an eurem Umgang mit Menschen diese großzügige Segensfülle Gottes aufscheinen. Es ist alles da, aber es braucht Menschen, die das erkennbar werden lassen, mit dem Pinsel oder mit der Kamera genauso wie mit ihrer Freundlichkeit.
Für Jesus war dieser Reichtum Gottes, der die Welt erfüllt, die Voraussetzung von allem, was er tat. An einer anderen Stelle in der Bergpredigt sagt er:
Matth. 6,26: Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie?
Und im Anschluss sagt er: macht euch keine Sorgen! Jesus sieht die Fülle Gottes, der für die Vögel genauso sorgt wie für böse Menschen, und er sagt: dann wird er für seine Leute doch erst recht sorgen! Also gebt es auf, euch für alle Eventualitäten des Lebens vorzubereiten, und vertraut darauf, dass Gott aus seinem verborgenen Reichtum für euch sorgt.
Wir leben heute natürlich in modernen Zeiten, wo Menschen glauben, dass die einzige Realität die ist, die man messen und kaufen kann. Und natürlich waren auch damals Menschen skeptisch, ob es wirklich reicht, sich einfach auf Gott zu verlassen. Aber Jesus war bereit, es darauf ankommen zu lassen. Und so zog er nach Jerusalem in die Konfrontation mit denen, die den Segen aus der Welt verdrängen. Es gibt nämlich nicht nur Menschen, die Segen sichtbar werden lassen. Es gibt auch Menschen, die Gottes Spuren in der Welt zu zerstören versuchen, und damals gehörten die imperialen römischen Truppen ebenso dazu wie die Priesteraristokratie in Jerusalem. Wer ausbeutet und plündert und zerstört und tötet, der greift damit die Wirklichkeit Gottes in der Welt an.
Jesus gab sich ihnen in die Hände. Und als er am Kreuz starb, da hatten sie tatsächlich jede Spur des Segens aus seiner Welt vertrieben. Seine letzten verständlichen Worte zitiert Markus mit »Mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Ein Leben lang hatte Jesus aus dem Strom des Segens gelebt, er hatte ihn für unzählige Menschen sichtbar gemacht, und nun war er selbst durch ein Meer von Schmerz und Hohn davon getrennt. Aber er richtete seine Frage immer noch an Gott und nannte ihn seinen Gott. Auch als er nichts mehr von Gott spürte, hielt er an ihm fest.
Und gerade so wurde an ihm Gott sichtbar. Der römische Offizier, der das Hinrichtungskommando leitete, sagte: »Der war wirklich Gottes Sohn« und distanzierte sich damit von seinem obersten kaiserlichen Chef, der sich auch »Gottes Sohn« nennen ließ.
Aber nicht nur für den Offizier ging in diesem Moment eine Tür auf. Auch für Gott hatte Jesus eine Tür aufgemacht. Weil er ganz nach Gottes Willen gelebt hatte, deshalb konnte Gott ihn nach drei Tagen auferstehen lassen. Jesus hatte den Segen auch bis in die Tiefe des Todes hineingebracht. Der Strom des Segens erfasst seit damals auch das Totenreich und lässt es nicht mehr gottlos bleiben. Und für alle, die in Jesu Spuren gehen, fließt auch an den dunkelsten Orten dieser Welt der Strom des Segens. Wir wissen vorher nicht, ob und wie es uns gelingen wird, ihn zu finden. Aber Jesus hat versprochen, dass er da ist. Auch an den dunkelsten Orten.