Immer Ärger mit Religion und Politik

Predigt am 9. Juni 2014 (Pfingsten II) zu Matthäus 16,13-19

13 Als Jesus in das Gebiet von Cäsarea Philippi kam, fragte er seine Jünger: »Für wen halten die Leute den Menschensohn?« – 14 »Manche halten dich für Johannes den Täufer«, antworteten sie, »manche für Elia und manche für Jeremia oder einen der anderen Propheten.« – 15 »Und ihr«, fragte er, »für wen haltet ihr mich?« 16 Simon Petrus antwortete: »Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!«
17 Darauf sagte Jesus zu ihm: »Glücklich bist du zu preisen, Simon, Sohn des Jona; denn nicht menschliche Klugheit hat dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel. 18 Deshalb sage ich dir jetzt: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Gemeinde bauen, und das Totenreich mit seiner ganzen Macht wird nicht stärker sein als sie. 19 Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf der Erde bindest, das wird im Himmel gebunden sein, und was du auf der Erde löst, das wird im Himmel gelöst sein.«

Politik und Religion bringen nur Ärger. Noch nicht mal über unterschiedliche Fußballmannschaften können sich Menschen so sehr verzanken wie über Politik und Religion. In manchen Gaststätten hing früher ein Schild über der Theke: »Hier wird nicht politisiert« – ich weiß nicht, ob es das heute noch gibt. Die Gefahr, dass über Religion gesprochen wird, hat man da anscheinend nicht ganz so groß eingeschätzt.

Unsichtbar hängt dieses Schild immer noch über vielen Familientreffen, Freundeskreisen und Nachbarschaften: Politik und Religion – das produziert nur unnötigen Streit. Deswegen: lasst das Thema draußen. Und deswegen sollte man auch in der Kirche Politik und Religion auf das unumgängliche Mindestmaß begrenzen. Lasst uns unsere Energie lieber auf kirchliche Folklore konzentrieren!

Gesprächsbedarf

Jesus sah das offensichtlich anders. Er machte mit seinen Jüngern einen großen Ausflug, damit sie endlich mal ungestört über die wichtigen Sachen reden konnten: über Politik und Religion. Zwei kräftige Tagesmärsche vom See Genezareth aus hatten sie hinter sich gebracht, raus aus dem Herrschaftsbereich von Herodes Antipas, dem kleinen König von Galiläa. Sie haben sich schon die ganze Zeit vorher am Rand des jüdischen Gebietes bewegt, die Diskussionen mit den anderen Gruppen waren heftiger geworden, und Jesus hat seine Jüngern im kleinen Kreis vor Pharisäern und Schriftgelehrten gewarnt. Es lag etwas in der Luft. Die Dinge begannen sich zuzuspitzen.

Im äußersten Norden Israels, schon fast auf heidnischem Boden, da, wo keine unerwünschten Zuhörer mehr dabei waren, kam Jesus auf die entscheidenden Fragen zu sprechen. »Für wen halten die Leute mich?«

Jesus fängt mit einer relativ unverbindlichen Frage an: Was sagen die anderen über mich? Schon die Antwort darauf zeigt, dass das alles nicht harmlos ist. Jesus wurde als Prophet wahrgenommen. Propheten waren in Israel keine Zukunftsorakel, sondern sie sprachen den Willen Gottes aus, gerade in den Fragen von Politik und Gerechtigkeit. Propheten bewegten sich im Schnittpunkt von Politik und Religion. Propheten sprachen im Auftrag Gottes gegen Ungerechtigkeit und Wahn der Führungsschichten.

Ein schmeichelhafter Vergleich, aber gefährlich

Das muss auch Jesus getan haben, sonst wären die Leute nie auf die Idee gekommen, ihn mit Elia, Jeremia oder Johannes dem Täufer zu vergleichen. Elia, der sich fast allein gegen die Einführung der Baalsreligion durch König Ahab und Königin Isebel gestemmt hatte. Jeremia, der vor der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier immer wieder die Kriegspolitik der Könige kritisiert hatte. Johannes, der gerade eben von König Herodes einen Kopf kürzer gemacht worden war. Das waren einige der wichtigsten Figuren der Bibel bzw. der Gegenwart. Ziemlich schmeichelhaft für Jesus, dass die Leute ihn mit denen in eine Reihe stellen. Und gefährlich. Kein Wunder, dass er sich in Gebieten aufhielt, wo er einigermaßen sicher vor dem Zugriff von König Herodes war.

Die Aufklärung prägt unsere Weltsicht

Auf jeden Fall war Jesus in den Augen seiner Zeitgenossen keiner, der sich auf religiöse Dinge beschränkte. Wobei diese saubere Aufteilung des Lebens in verschiedene Bereiche sowieso verhältnismäßig jung ist. Das hat man sich im Wesentlichen erst in der Aufklärung ausgedacht, als man die Macht der Kirche begrenzen wollte. Zu sehr steckte den Leuten damals noch die Erinnerung an die Religionskriege in den Knochen, und da hat man gedacht: wenn die Religion nur ein Lebensbereich unter vielen anderen wäre – so wie Wirtschaft, Politik, Sport, Soziales, Familie usw., dann wäre der kirchliche Einfluss darauf begrenzt, und dann können uns die Priester nie wieder in Kriege stürzen. Und sie können sich auch nicht mehr in unsere Geschäfte einmischen.

Wenn sich also in der modernen Zeit die Menschen in den zivilisierten Teilen der Welt massenhaft gegenseitig umgebracht haben, dann taten sie es aus Gründen der Macht, aus Nationalismus, aus Gier oder aus Angst – aber nicht mehr für Gott. Man kann das Fortschritt nennen.

Eine problematische Aufteilung

Jesus lebte in einer Zeit, in der niemand auf die merkwürdige Idee gekommen wäre, das Leben fein säuberlich in solche Bereiche einzuteilen. Religion und Politik gehörten zusammen: Könige bauten und unterhielten Tempel und beriefen sich im Kriegsfall auf göttliche Unterstützung, und in Israel gab Gott seinen Leuten eine Ordnung für alle Bereiche des Lebens, damit sie als freies Volk leben konnten. Weil wir aber heute von dieser Trennung der Bereiche her denken, deshalb hören wir vieles in der Bibel nur mit dem »religiösen« Ohr und verstehen es dann nicht mehr gut. Diese Aufteilung der Welt in »religiös« und »weltlich« blockiert massiv das Verständnis des Evangeliums: die einen kümmern sich dann nur um das »Eigentliche«, das religiöse, und die andern möchten ganz »weltlich« sein und sich das Leben nicht noch von dem religiösen Zeug belasten lassen. Und beide verstehen nicht, worum es Jesu ging.

Wenn also Petrus auf die nächste Frage von Jesus antwortet: »du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes«, dann ist das nach heutiger Begrifflichkeit eine religiöse und politische Antwort zugleich. Der Messias – in griechischer Sprache: der Christus, zu deutsch: der Gesalbte – war der wahre König Gottes, der Israel wieder aufrichten und vielleicht sogar die ganze Welt gerecht regieren würde. Wie das genau gehen sollte, darüber gab es viele unterschiedliche Meinungen, aber jeder in Israel kannte den Begriff.

»Sohn Gottes« wiederum ist eine Erinnerung an den 2. Psalm, wo Gott zu seinem König sagt: »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.« Petrus meint in diesem Moment nicht, dass Jesus die zweite Person der Trinität sei, sondern er spricht seine Überzeugung aus: du bist der wahre König Israels aus Psalm 2.

Der wahre König ist da …

Das war der Punkt, an den Jesus seine Jünger bringen wollte. Sie waren keine religiöse Erneuerungsbewegung. Sie waren noch nicht mal eine prophetische Protestbewegung gegen Ungerechtigkeit und Korruption. Sie waren das Heer des endgültigen Herrschers über Israel und die ganze Welt. Herodes hatte Recht mit seinem Misstrauen, und auch der Kaiser jenseits des Meeres, der in Rom auf dem Thron Cäsars saß, sollte sich besser schon mal warm anziehen.

… aber das merkt keiner

Das ist der Zusammenhang, in dem Jesus vom Heiligen Geist spricht. Nicht wörtlich, aber wenn er sagt: »das hat dir mein Vater im Himmel offenbart«, dann ist genau das gemeint: Gottes Gedanken in einem menschlichen Kopf. Gott hat mit Petrus dem ersten Menschen die Augen dafür geöffnet, was unter diesen paar Leuten am Rande der jüdischen Welt wirklich passiert: hier beginnt die neue Gesellschaft, die die alte Welt voller Gewalt und Tyrannei ablösen wird. Der Heilige Geist ist dafür zuständig, dass wir die vertraute Sicht verlassen und die Welt mit neuen Augen sehen. Dieses Wunder muss von Gott selbst kommen, weil es nach unserer herkömmlichen Sicht kein erfolgversprechender Weg wäre, die Welt so erneuern zu wollen, wie Jesus es tut.

Die Jünger haben bis dahin erlebt wie Jesus Menschen heilt, wie er Dämonen vertreibt, wie er Tausende von Menschen satt macht. Sie haben die Bergpredigt gehört: »Glücklich sind die Armen und die Sanftmütigen«, »Macht euch keine Sorgen«. Sie haben für Jesus ihre Heimat verlassen und sind mit ihm gegangen. Sie haben eine überzeugende neue Lebensweise kennengelernt. Und jetzt fehlt noch dieser eine Klick, dass ihnen deutlich wird: das ist es. Darum ging es auf dem ganzen langen Weg, den Gott mit unserem Volk gegangen ist. Das ist die Art zu leben, für die Menschen geschaffen sind. Das ist das Geheimnis der Welt. Jetzt ist es endlich enthüllt.

Das zu verstehen, das zu glauben, das ist ein Bruch mit allem, was vorher normal war. Das muss Gott selbst in einem Menschen bewirken, und tatsächlich hat er über Jahrhunderte und Jahrtausende dieses Ziel verfolgt, dass jetzt der erste Mensch sagt: das ist es! Auf diesen Moment, in dem Petrus sagt: jetzt habe ich’s verstanden, darauf hat Gott seit Abraham hingearbeitet.

Der Fels, auf den Jesus baut

Und so wie Abraham ursprünglich Abram hieß und Gott ihm einen neuen Namen gegeben hat, so gibt Jesus dem Simon, Sohn des Jona, den neuen Namen »Petrus«, zu deutsch »der Fels«. Noch viele andere werden verstehen, was Petrus verstanden hat, aber er ist der Erste, er ist der Anfang, er ist der Grundstein, auf dem Jesus dann seine Gemeinde weiter baut. So wie es später in jeder Ortsgemeinde den Einen gibt, mit dem alles angefangen hat, den, der als erster begriffen hat, worum es geht und der dann die ganze Gruppe prägt, so gibt es für die ganze Christenheit Petrus.

Petrus wird noch viel lernen müssen, Jesus hat noch ein großes Stück Arbeit mit ihm, aber der entscheidende Anfang ist gemacht. Wenn einer verstanden hat: diese Gemeinschaft im Namen Jesu, geprägt vom Geist der Bergpredigt und gespeist von den Kräften des Himmels, die ist das Ziel der ganzen Schöpfung, dann ist der Durchbruch da. Die Wahrheit ist nur zu finden, wenn du das Mainstream-Denken hinter dir lässt. Billiger geht es nicht.

Lohnende Themen

Wir bringen uns um die entscheidende Wahrheit, wenn wir uns lieber über das Wetter unterhalten oder über kirchliche Folklore als – nach heutiger Einteilung – über Politik und Religion. Das sind die Themen, über die man wirklich reden muss: wem gehört die Welt? Welchem König gehorche ich? Welcher Macht beuge ich mich? Was bewegt mich wirklich? Wofür lohnt es sich zu leben?

Jesus hat seine Jünger mit dieser Frage konfrontiert, damit sich in ihrem Kopf die Dinge sortieren. Aber er hat ihnen vorher Zeit gelassen, das Neue kennenzulernen, ihn an der Arbeit zu sehen, seine Logik zu verstehen. Er zeigte ihnen das ganze Paket, die neue Welt, deren Samen er war. Allmählich wuchs in ihnen etwas, irgendwann waren die ganzen Mosaiksteine da. Aber sie mussten sie noch richtig anordnen. Es musste noch »klick« machen. Und das passierte dort bei Cäsarea Philippi, irgendwo am Rande.

Das Neue wächst am Rand. Da, wo niemand aufpasst, wo keiner kontrolliert, wo keiner was erwartet. Gott wartet darauf, dass das unter uns geschieht.

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