Die imperiale Versuchung
Predigt am 6. April 2014 zu Offenbarung 2,12-17 (Predigtreihe Offenbarung 04)
12 An den Engel der Gemeinde in Pergamon schreibe:
So spricht Er, der das scharfe, zweischneidige Schwert trägt: 13 Ich weiß, wo du wohnst; es ist dort, wo der Thron des Satans steht. Und doch hältst du an meinem Namen fest und hast den Glauben an mich nicht verleugnet, auch nicht in den Tagen, als Antipas, mein treuer Zeuge, bei euch getötet wurde, dort, wo der Satan wohnt.
14 Aber ich habe etwas gegen dich: Bei dir gibt es Leute, die an der Lehre Bileams festhalten; Bileam lehrte Balak, er solle die Israeliten dazu verführen, Fleisch zu essen, das den Götzen geweiht war, und Unzucht zu treiben. 15 So gibt es auch bei dir Leute, die in gleicher Weise an der Lehre der Nikolaiten festhalten. 16 Kehr nun um! Sonst komme ich bald und werde sie mit dem Schwert aus meinem Mund bekämpfen.
17 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt: Wer siegt, dem werde ich von dem verborgenen Manna geben. Ich werde ihm einen weißen Stein geben und auf dem Stein steht ein neuer Name, den nur der kennt, der ihn empfängt.
Ganz am Anfang der drei ersten Evangelien gibt es jeweils die Geschichte davon, wie Jesus in der Wüste vom Teufel in Versuchung geführt wird, seine Berufung zu verlassen und stattdessen Geld, Ruhm und Macht anzustreben. Zum Schluss bietet er Jesus die Herrschaft über die ganze Welt an: Jesus könnte so etwas wie ein römischer Imperator werden, wenn er nieder fällt und den Teufel anbetet. Der Teufel heißt im Originaltext der »Diabolos«, zu deutsch: der, der alles durcheinander bringt, der »Verwirrer«. Aber wenn Jesus ihn endgültig abweist und in die Wüste schickt, dann sagt er zu ihm: Hau ab, Satan!
Die Masken Satans
Und als Petrus beim Aufbruch nach Jerusalem versucht, Jesus von seinem Weg in den Tod abzuhalten, sagte er es auch zu ihm: lass mich in Ruhe, Satan! Er meint damit natürlich nicht, dass sein Jünger Petrus selbst der Satan wäre, aber er hat sich offensichtlich in einem entscheidenden Moment vom Satan beeinflussen lassen, so dass er sein Werkzeug geworden ist. Satan ist anscheinend jemand, der durch Verkleidungen hindurch, durch andere hindurch handelt. Jesus muss ihn erst hinter seiner Maske identifizieren. Über Judas Iskariot, der Jesus verrät, wird gesagt, dass der Satan in ihn fuhr. Und Paulus weiß, dass der Satan sich als »Engel des Lichts« verkleiden kann. Offenbar hat er keine eigene Gestalt, sondern braucht Menschen, durch die er wirken kann. So ein bisschen wie Sauron im „Herrn der Ringe“, der auch keine eigene Gestalt mehr hat und seine Marionetten vorschickt.
Und nun schreibt der Seher Johannes an die christliche Gemeinde in Pergamon in Kleinasien und nennt Pergamon eine Stadt, »wo der Thron des Satans steht«. Das ist natürlich auch wieder ein Codewort, eine Andeutung. Johannes konnte nicht Klartext schreiben, das wäre zu gefährlich gewesen. Aber anscheinend muss es in Pergamon irgendetwas gegeben haben, durch das der Satan ganz besonders wirken konnte. Und wenn es ein »Thron« ist, dann werden damit imperiale Assoziationen wach gerufen: es geht um Macht, um Herrschaft, um Hoheit. Also ziemlich das genaue Gegenteil von Jesus, der wusste, dass er in Jerusalem machtlos an einem römischen Kreuz sterben würde und trotzdem unbeirrt dorthin zog.
Ein Zentrum des imperialen Kults
Und nun wissen wir, dass in Pergamon der erste Kaiserkult in der römischen Provinz Asien eingerichtet worden ist, eine sogenannte »Neokorie«. Vermutlich war Pergamon ein Zentrum des Kaiserkults. Der ist dort im Osten des Reiches erfunden worden – die Römer selbst hatten eher eine tief sitzende Abneigung dagegen, Menschen als Götter zu verehren. Die Römer waren durchaus brutal, aber auch nüchtern, und sie brauchten ursprünglich keinen religiösen Klimbim, um andere zu unterdrücken. Aber dort im Osten war es normal, dass man großen Herrschern göttliche Ehren erwies, für sie Altäre errichtete und sie anbetete.
In Pergamon selbst gab es eine starke Tradition, Macht religiös aufzuladen. Wer heute in Berlin das Pergamonmuseum besucht, der kann dort den berühmten Altar besichtigen, den man vor 130 Jahren ausgegraben und nach Berlin gebracht hat. Ein gewaltiger Bau aus Marmor, etwa 35 Meter breit und tief und etwa 20 Meter hoch, mit einer breiten Freitreppe, die zu einer Säulenhalle führt, wo früher ein Altar stand. Und rund um den ganzen Bau ein Wandfries mit lauter Kampfszenen: die griechischen Götter besiegen die Giganten, so eine Art urtümliche Riesen. Da geht es schon sehr brutal zu, auch wenn es ein tolles Kunstwerk ist.
Diesen Altar haben die früheren Könige von Pergamon errichtet, die selbst im Krieg keltische Barbaren bezwungen haben. Es gab also in Pergamon eine Tradition der religiösen Überhöhung der Macht, und daran konnte später der Kaiserkult anknüpfen, selbst wenn Johannes mit dem »Thron des Satans« nicht diesen Altar gemeint hat. Genaueres weiß man nicht; aber vielleicht hat er sogar wirklich diesen Altar gemeint, in dem man mit einiger Fantasie einen Thron mit Armlehnen erkennen kann; vielleicht ist das später der Ort der ersten Kaiserverehrung geworden, und es könnte tatsächlich sein, dass der »Thron des Satans« heute in Berlin steht.
Auf jeden Fall hatte es die christliche Gemeinde in Pergamon nicht leicht in dieser Atmosphäre der Vergötterung von Macht und Gewalt. Anscheinend hat es da schon Anfeindungen gegeben, die zum Tod eines Christen namens Antipas geführt haben. Und die Gemeinde wird gelobt, weil sie standhaft geblieben ist.
Wer ist der Größte?
Auch hier wieder werden nicht die Römer oder die Priester mit dem Satan identifiziert. Aber sie sind Werkzeuge, durch die hindurch er wirkt. Das satanische Prinzip ist die Macht des Stärkeren, der Wunsch, sich das zu nehmen, was man will, das durchzusetzen, was man möchte, und keine Rücksicht nehmen zu müssen. Vorhin in der Evangelienlesung (Markus 10,35-40) ging es genau darum: wer der Größte ist, wer der Bestimmer ist, wer der vermuteten Macht Jesu am nächsten ist. Dauernd geht es unter Menschen darum: vom Kindergarten bis zum Seniorenheim, vom kleinsten Kuhdorf bis zur gigantischen Metropole: wer ist der Bestimmer, wer hat die Macht, wer ist das Alphamännchen, wer steht im Mittelpunkt, auf wen müssen die anderen hören?
Und Jesus sagt seinen Jüngern: so geht es zu in der Welt, wer die Macht hat, unterdrückt die anderen und lebt auf deren Kosten. Aber dann kommt das große Aber: »Aber bei euch ist es anders«. Ihr seid die neue Menschheit, bei euch gilt eine andere Logik, ihr lebt nach einem anderen Prinzip: nach dem Prinzip des Dienens und Helfens. Den ganzen Weg nach Jerusalem versucht Jesus, seinen Jüngern das beizubringen, und bis zum Schluss haben sie es nicht verstanden. Erst nach seinem Tod ging ihnen langsam auf, dass er das ernst gemeint hatte: nicht auf die Macht der Schwerter und der Gewehre vertrauen, nicht beim Tanz ums Goldene Kalb mitmachen, sondern aus der verborgenen Kraft Gottes leben und damit für andere da sein, anderen dienen, anstatt sich bedienen zu lassen.
Das satanische Symbol und seine Ausstrahlung in den Mainstream
Deshalb ist die Glorifizierung der Macht so ziemlich genau das Gegenteil von dem, worum es Jesus geht. Es ist die satanische Versuchung, der er ganz am Anfang widerstanden hat. Und im Schatten dieser Glorifizierung lebt auch die Gemeinde in Pergamon. Denn das ist ja nichts, was nur dort am Altar passieren würde, und man müsste dann einfach nur nicht hingehen. Der Altar ist ein mächtiges Symbol, und ein Symbol prägt den Alltag bis in die kleinen Details hinein. Wenn das Leitbild der Gesellschaft beinhaltet, dass man der Größte ist und sich durchsetzen muss, dann prägt das die Menschen in ihren alltäglichen Verhaltensweisen und Konfliktstrategien, und dann gehen eben schon die niedlichen Kinder im Sandkasten mit dem Schäufelchen aufeinander los.
Bei uns sind die Symbole keine Altäre mehr, sondern vielleicht eher die Logos und Marken und Events, die möglichst viele Menschen hinter sich versammeln und unterschwellig bestimmen, was schön und sinnvoll ist und was nicht. Und der Kampf darum, wer der größte ist, der wird ganz oben mit Aktienpaketen und kulturellen Spitzenleistungen ausgetragen und ganz unten prügelt man sich im Stadion und schlägt auf Behinderte und Ausländer ein. Das Niveau variiert, aber die Logik dahinter lautet immer noch: wer ist der Größte? Und das transportieren eben Symbole in unterschiedlichen Formen in die ganze Gesellschaft hinein, in all ihre Winkel und Schichten.
Die ersten Christen waren noch lange nicht so weit, dass sie das Klima in der Gesellschaft beeinflussen konnten. Aber sie begannen damit, sich jedenfalls in ihrem eigenen Leben der Macht dieser Symbole zu entziehen. Sie nahmen bewusst nicht am Kaiserkult teil, und deswegen galten sie dann später als Atheisten und manchmal als Menschenfeinde. Und sie hatten ihre eigenen Symbole, z.B. das Abendmahl, das in seinem Zentrum an den Tod Jesu erinnert, also geradezu ein Anti-Symbol zu Geld, Macht und Ruhm. In Pergamon haben sie das unter schwierigen Bedingungen durchgehalten.
Versuchung durch die Hintertür
Aber nun sagt ihnen Johannes: auch wenn ihr da fest geblieben seid, der Satan mit seiner imperialen Logik hat bei euch trotzdem noch einen Fuß in der Tür, weil es bei euch Anhänger der Nikolaiten gibt. Heute wissen wir fast nichts mehr über diese Bewegung, aber Johannes sagt: passt auf, da kommt das, wogegen ihr vorne tapfer kämpft, heimlich durch die Hintertür ins Haus.
Johannes redet auch hier nur in Andeutungen: er erinnert an eine Episode aus der Wüstenzeit Israels, als sie den Moabitern begegneten, und die Moabiter wussten, dass sie keine Chance gegen Israel hatten, wenn sie sich ihnen militärisch entgegenstellen würden. Stattdessen versuchten sie, Israel von innen her zu schwächen, und das machten sie mit Sex. Sie schickten den Israeliten Frauen, und die infiltrierten das Volk mit anderen Symbolen, sie brachten die Anbetung des Baal mit und untergruben den Zusammenhalt des Volkes mit Gott.
Irgend etwas in der Richtung müssen auch die Nikolaiten propagiert haben. Die menschliche Sexualität ist irgendwie besonders anfällig für die imperiale Versuchung. Da sind Menschen besonders verletzlich, und da ist die Möglichkeit zur Rücksichtslosigkeit besonders groß. Gerade wo Menschen besonders intensiv mit anderen zusammenhängen und sich für andere öffnen, da kann das auch auf viele Weise missbraucht werden, von subtil bis brutal. Nirgendwo sonst kommen Menschen dem lebendigen Kern anderer Menschen so nahe. Auf wenig andere Weisen können Menschen in ihrem Vertrauen in die Welt und in Gott so massiv geschädigt werden wie durch kaputte oder missbrauchende Sexualität. Nicht umsonst nahm es der griechische Gott Zeus mit der Treue zu seiner Frau Hera nicht so ernst und erbeutete zwischendurch auch immer mal wieder mit List oder Gewalt Menschenfrauen. Und damit gab er natürlich auch ein Leitbild für die ganze Kultur ab. Aber christliche Gemeinden sollten mitten in einer Gesellschaft mit Beutementalität sichere Orte sein – in jeder Hinsicht.
Das ist der Grund, weshalb in der biblischen Tradition die Sexualität so stark reguliert und mit Warnschildern versehen wird: weil dort das imperiale Verhalten und das Ausnutzen Schwächerer so nahe liegt. Das wird zu allen Zeiten unter den Verdacht gestellt, dass Gott uns den Spaß verderben möchte, und bei manchen Vertretern der Moral habe ich ja diesen Eindruck auch, aber in Wirklichkeit geht es darum, dass Menschen, vor allem Frauen, auf diesem sensiblen Feld vor Ausbeutung und Verletzung geschützt werden sollen.
Segen statt Beute
Johannes schließt mit einer Verheißung Jesu: wer überwindet, wer diese Versuchung siegreich besteht, dem wird er von dem verborgenen Manna geben. Auch das ist ein Bild aus der Wüstenzeit Israels: auf ihrem Weg ernährte Gott sie mit Manna, das vom Himmel fiel. Jeden Tag hatten sie genug, aber wenn sie einen Vorrat anlegen wollten, verdarb es. Das ist ein Bild für den Segen, der die Welt durchströmt. Das ist auch die Grundlage der Bergpredigt Jesu: die Welt ist reich, es ist genug für alle da, aber wenn du versuchst, den Segen an dich zu reißen und auf Vorrat zu speichern, dann verdirbt er. Wer mit Lebensmitteln spekuliert, der sorgt für Hunger. Wer die Wälder abholzt und zu Geld macht, der untergräbt das Leben.
Jesus verspricht: wer die Versuchung des Habenwollens und Beutemachens zurückweist, der bekommt Anteil an dem verborgenen Manna in dieser Welt, Anteil an dem verborgenen Segen, den man nicht zu Geld machen kann, und der nur da bleibt, wo man schenkt und teilt. Aber wer im Raubmodus durch die Welt trampelt, der wird das nie verstehen. Es gibt eine verborgene Ökonomie Gottes, die nicht nach der Logik des Kapitals funktioniert.
Das geschenkte Geheimnis
Und statt sexueller Ausbeutung verspricht Jesus einen weißen Stein, auf dem ein verborgener Name steht. Kaputte Sexualität ist immer der Versuch, sich Zugang zum Geheimnis eines Menschen zu verschaffen. Unbefugt die Macht bis in das Innerste eines Menschen zu tragen. Dagegen schenkt Jesus hier einem Menschen sein Geheimnis, seinen geheimen Namen. Nur unser Schöpfer kennt uns durch und durch, aber er respektiert uns und nur ihm können wir uns ganz anvertrauen.
Wer also der imperialen Versuchung im Großen und im Kleinen widersteht, der bekommt nicht nur Zugang zu den verborgenen Segensquellen in unserer Welt. Ihm ist auch die Verheißung einer geistlichen Nähe zu Jesus gegeben, einer geistlichen Intimität, in der wir uns selbst erst voll erkennen. Wir erkennen uns ja selbst immer erst in der Begegnung mit anderen. Aber da haben imperiale Mentalität und satanisches Beutemachen nichts zu suchen. Und all diese Begegnungen mit Menschen weisen hin auf die Begegnung mit Gott, für die wir geschaffen sind. In dieser Begegnung erfahren wir, wer wir wirklich sind und was unsere wahre Bestimmung ist: unser verborgener Name.