Die Fremdsprache des christlichen Lebensstils
Predigt am 1. September 2013 zu 1. Thessalonicher 5, 12-24
12 Wir bitten euch aber, Geschwister, erkennt die an, die an euch arbeiten und euch leiten im Herrn und euch ermahnen; 13 achtet sie hoch und liebt sie wegen ihres Wirkens! Haltet Frieden untereinander!
14 Weiter bitten wir euch, Geschwister: Weist die zurecht, die ein ungeordnetes Leben führen! Tröstet die Kleinmütigen, nehmt euch der Schwachen an, seid geduldig mit allen! 15 Seht zu, dass keiner dem anderen Böses mit Bösem vergilt! Bemüht euch vielmehr mit allen Kräften und bei jeder Gelegenheit um das Gute, im Umgang miteinander und mit allen.
16 Freut euch zu jeder Zeit!
17 Betet ohne Unterlass!
18 Dankt für alles; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus für euch.
19 Löscht den Geist nicht aus! 20 Verachtet prophetisches Reden nicht! 21 Prüft alles und behaltet das Gute!
22 Meidet das Böse in jeder Gestalt!
23 Der Gott des Friedens heilige euch ganz und gar und bewahre euren Geist, eure Seele und euren Leib unversehrt, damit ihr ohne Tadel seid, wenn Jesus Christus, unser Herr, kommt. 24 Gott, der euch beruft, ist treu; er wird es tun.
Paulus konnte nur ein paar Wochen in Thessalonich bleiben, dann gab es einen großen Konflikt, und er musste wieder einmal fliehen (Apostelgeschichte 17,1-10). Erst in Athen hat er wieder Ruhe, und von dort schreibt er der Gemeinde all die Dinge, die er ihnen nicht mehr sagen konnte. Er will, dass die Gemeinde sich weiterentwickelt und nicht einfach auf dem Niveau bleibt, auf dem er sie verlassen hat. Glaube fängt an einer Ecke unserer Person an, und wenn es gut geht, dann arbeitet er sich Stück für Stück weiter vor durch unsere Person und durch all unsere Lebensbereiche.
Aber das geht nicht automatisch, auch der Heilige Geist macht das in der Regel nicht im Schlaf, sondern er arbeitet mit uns zusammen, er arbeitet mit äußeren Mitteln, und es gibt Konstellationen, in denen das leichter geht.
Die Muttersprache und die Fremdsprache
Ein englischer Theologe (Dank an N.T. Wright, Paul for everyone: Galatians and Thessalonians, 130ff) hat das mal verglichen mit der Art, wie man eine Sprache lernt. Wir alle lernen unsere Muttersprache spontan, wir müssen keine Vokabeln lernen, wir müssen keine Grammatikregeln pauken, wir übernehmen das mühelos von den anderen. Wenn wir aber eine zweite Sprache lernen wollen, dann funktioniert das nicht mehr so automatisch, sondern dann müssen wir Regeln lernen, Vokabeln wiederholen, grammatische Systeme verstehen und so weiter. Es ist sehr nützlich, wenn wir dabei unter Menschen leben, die diese Sprache sprechen, aber wir brauchen trotzdem Unterricht, sonst sprechen wir die Sprache ein Leben lang nur gebrochen und werden nicht richtig heimisch darin.
Ganz ähnlich ist es, wenn man lernt, wie das Leben funktioniert und wie man sich in Beziehungen verhält. Das erste Mal lernen wir das spontan und automatisch von unserer Familie. Peter wurde in eine Familie hineingeboren, wo sich alle immer anschreien, und deshalb denkt er, dass das die normale Art ist, wie Menschen miteinander umgehen. Paula wächst in einer Familie auf, wo man äußerst höflich miteinander ist, und wenn man mal so richtig wütend aufeinander ist und den anderen in der Luft zerreißen möchte, sagt man: »Liebling, das war heute vielleicht ein bisschen unpassend von dir.« Und jetzt stellen Sie sich vor, Peter und Paula verlieben sich und heiraten – da wird es viel Diskussionsbedarf geben.
Oder jemand lernt von klein auf, dass die normale Lösung für ein Problem darin besteht, dass man einen Schuldigen sucht und böse auf ihn ist. Oder man hat gelernt, dass man verstummt, wenn man sauer ist und alle müssen raten, warum man nun wieder beleidigt ist. Oder jemand lernt, dass das Wichtigste im Leben ist, dass niemand etwas Schlechtes über meine Familie sagen kann, und dass man der deshalb keine Schande machen darf. Oder, oder, oder.
Christliche Beziehungssprache als Fremdsprache
Und wenn dann Peter oder Paula oder jemand von den anderen oder einer von uns in eine gute christliche Gemeinde kommt, dann sieht er da auf einmal, dass man auch ganz anders miteinander leben kann. Und das ist für viele eine ganz tolle Erfahrung, wie freundlich die da sind. Er merkt: hier sprechen sie sozusagen eine ganz andere Sprache miteinander, eine andere Beziehungssprache, dies ist ein sicherer Ort, wo man nicht dauernd auf der Hut sein muss. Aber irgendwann stellt sich heraus, dass er selbst deswegen noch längst nicht spontan auch in dieser neuen Beziehungssprache spricht, sondern er schreit oder beschuldigt oder mauert – so wie er es als Kind gelernt hat.
Und es stellt sich heraus, dass es für die meisten Menschen zu allen Zeiten wie das Lernen einer Fremdsprache ist, wenn sie sich mit christlichem Verhalten vertraut machen. Und das ist Arbeit. Das funktioniert nicht nur mit Abgucken und Nachmachen, das geht nicht von allein, so als ob der Heilige Geist uns im Schlaf umprogrammiert, sondern das müssen wir lernen, so wie man Grammatik und Vokabeln paukt, wenn man Französich lernt. Und deshalb schreibt Paulus seinen Brief, und er wird deswegen auch noch viele andere schreiben müssen.
Wir wissen natürlich, dass es eigentlich so gemeint ist, dass wir durch den Heiligen Geist Gottes Gesetz ins Herz geschrieben bekommen und es von uns aus erfüllen. Und manchmal passiert das auch in einem gewissem Maß. An diesem Brief von Paulus sieht man aber, dass das mindestens am Anfang nicht ohne äußere Hilfsmittel funktioniert. Auch in einer Gemeinde, die mit so deutlichem Beistand des Heiligen Geistes gegründet worden ist wie in Thessalonich geht das nicht automatisch.
Hilfsmittel zum Lernen
Und der Brief von Paulus ist so ein Hilfsmittel zum Lernen des neuen Lebens, und unsere Passage ist eine Kurzzusammenfassung der wichtigsten Hilfsmittel, mit denen wir die Fremdsprache des christlichen Verhaltens lernen. Nämlich erstens Leitung, dann die gegenseitige Beeinflussung in der Gemeinde, und drittens so ein paar Faustregeln, wie es sie ja auch beim Sprachenlernen gibt.
Und so wie beim Lernen einer Fremdsprache ist natürlich das Ziel, dass man diese Hilfsmittel irgendwann nicht mehr braucht, sondern in der Sprache zu Hause ist und sie so flüssig spricht wie die erste Sprache, die man als Kind spontan gelernt hat. So wie man eines Tages flüssig und gut Klavier spielen kann, sich auch spontan auf dem Instrument ausdrücken kann, weil man vorher unzählige Fingerübungen absolviert hat, an denen gar nichts spontan war.
Erstes Hilfsmittel: Leitung
Zu diesen Hilfsmitteln zum Lernen der christlichen Verhaltenssprache gehört also erstens Leitung. Einer oder mehrere bekommen die Aufgabe zugewiesen, auf die anderen zu achten und an ihnen zu arbeiten. Paulus nennt das Arbeit, und das ist es auch. Zumal in Thessalonich diese Leiter ja selbst noch nicht lange Christen waren. Die hatten den anderen gar nicht viel voraus. Aber das ist auch nicht entscheidend. Das Wichtigste ist, dass überhaupt jemand beauftragt ist, diese Aufgabe anzupacken. Alle anderen denken »man müsste eigentlich mal was sagen«, aber wer die Leitungsaufgabe hat, der oder die weiß: das ist jetzt mein Job! Und dann lernt man das nach und nach und wird besser, einfach weil man es immer wieder tut und langsam Erfahrung bekommt damit.
Paulus musste das in Thessalonich noch einmal unterstreichen, weil das ja nicht selbstverständlich ist, dass jemand den anderen sagt, wie man sich als Christ verhält. Und heute ist das erst recht überhaupt nicht plausibel. Sind wir nicht alle gleich, sind wir nicht alle mündige Christen? Was maßt sich da einer an, zu kommen und mir Vorschriften machen zu wollen? Aber Paulus stärkt den Leitern und Leiterinnen den Rücken und sagt der Gemeinde: unterstützt die, stärkt sie, die braucht ihr, die haben eine ganz wichtige Aufgabe, und das ist kein Spaß, kein toller Chefposten, der das Ego streichelt, sondern das ist Arbeit.
Zweites Hilfsmittel: Aufeinander achten
Aber natürlich sind das nicht die Einzigen, sondern es ist auch die Aufgabe der ganzen Gemeinde, sich gegenseitig zu helfen beim Lernen der Fremdsprache des christlichen Verhaltens, des christlichen Lebensstils. Dieses gegenseitige Aufeinander-Achten ist das zweite Hilfsmittel. Je besser eine Gemeinde darin ist, um so leichter haben es die Leiter, um so schneller bekommen auch neue Christen ein Gefühl dafür, wie man sich verhält.
Paulus nennt speziell drei Arten von Menschen, um die man sich besonders kümmern soll: einmal die Unordentlichen. Wörtlich könnte man es beinahe übersetzen: die ihr Leben nicht auf die Reihe kriegen. Vielleicht bist du schon mal in einer Wohnung gewesen, wo überall was rumsteht und rumliegt, die alten Zeitungen von vor drei Monaten und halbvolle Kaffeetassen und eine alte Barbie und angebrochene Schokoladenpackungen und ungeöffnete Briefe und was weiß ich noch alles. Und manchmal sieht es im Leben von Menschen überhaupt so aus: alles mal angefangen und nicht zu Ende gebracht, nichts an seinem Platz und lauter Müll dazwischen. Und denen muss man dann auch mal auf die Füße treten und sagen: räum dein Leben auf. Bring Ordnung rein. Mach dich nützlich. Verplemper deine Zeit nicht. Dass wir hier freundlich miteinander sind, heißt nicht, dass wir dir erlauben, dein Leben zu vergeuden. Hier, an dieser Stelle fang mit dem Aufräumen an, und dann geht es weiter.
Dann gibt es die Kleinmütigen, deren Mut eben nicht groß ist und die weder sich selbst noch Gott viel zutrauen. Für die schon kleine Schwierigkeiten unüberwindlich erscheinen. Die das Gefühl haben, das Leben ist hochgefährlich und eine Katastrophe jagt die nächste. Und man muss ihnen Mut machen und sie daran erinnern, dass Gott uns doch dazu berufen hat, erhobenen Hauptes durch alle Situationen zu gehen, dass Gott will, dass wir auf neue Weise die Welt regieren, dass er uns die Wahrheit anvertraut hat, damit wir zum Segen für die ganze Erde werden. Dieses Potential soll auch in den Zaghaften geweckt werden.
Und dann sind da die Schwachen – das sind diejenigen, die nicht den Überblick haben, die sich an Einzelfragen festhalten und unsicher sind, wenn es keine klaren Regeln gibt. Diejenigen, die unruhig werden, wenn sich etwas ändert, oder wenn Gott uns in Situationen stellt, für die es noch kein bewährtes Verhaltensmuster gibt. Und Paulus sagt: nehmt euch ihrer an, gebt ihnen Sicherheit, helft ihnen, sich in ungewohnten Situationen zurechtzufinden, erklärt ihnen das Fremde und Neue, damit sie mitkommen können.
Und über sie alle sagt Paulus: habt Geduld mit ihnen. Bis wir uns ganz natürlich im neuen Leben zurechtfinden, das braucht seine Zeit. Seid eine fehlerfreundliche Gemeinde, wo man weiß, dass jeder immer noch einen zweiten Versuch hat. Aber seid engagiert darin, miteinander zu wachsen in Liebe und Durchblick. Geduld heißt nicht, dass man tatenlos abwartet, sondern Geduld heißt viel Energie einsetzen über einen langen Zeitraum und sich nicht entmutigen lassen.
Drittes Hilfsmittel: Einfache Regeln
Das dritte Hilfsmittel dafür sind die einfachen Regeln des christlichen Lebens, von denen Paulus hier einige nennt. Auch wer eine Sprache lernt, der macht das oft mit solchen Merksätzen: »trenne nie s-t, denn es tut ihm weh« habe ich früher in der Schule gelernt (ich weiß gar nicht, ob das heute noch gilt). Und so gibt es ein paar christliche Regeln, die 80% aller Fälle abdecken.
Solch eine Regel ist z.B.: nicht Böses mit Bösem vergelten. Das ist schon fast die Hauptregel. Das Böse pflanzt sich fort, wenn man versucht, es mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Wenn der andere dich anlügt und du dich für berechtigt hältst, es dann selbst mit der Wahrheit nicht mehr genau zu nehmen, dann ergibt das nicht nur einen Lügner, sondern zwei. Wenn Terroristen den Staat dazu bringen, es mit der Rechtsstaatlichkeit nicht mehr so genau zu nehmen, dann freuen sich die Terroristen, und der Böse auch. Wenn du das Böse bekämpfen willst, anstatt das Gute zu tun, hast du schon fast verloren. Denn in vielen unterschiedlichen Situationen geht es immer wieder darum, sich nicht auf das Böse zu fixieren – nicht etwa, weil es das Böse nicht geben würde (natürlich gibt es das, und es ist auf dem besten Weg, die Welt zugrunde zu richten), sondern weil wir uns nicht vom Bösen den Horizont vorgeben lassen wollen und es nicht zum Ausgangspunkt unserer Motive machen dürfen.
Manchmal muss man dem Bösen auch direkt entgegentreten, aber am besten bekämpft man es, indem man sich auf das Gute konzentriert, auf das Positive, das, worauf der Segen Gottes ruht. Deshalb gibt es dann Regeln wie: »Haltet Frieden untereinander! Freut euch zu jeder Zeit! Betet ohne Unterlass! Dankt für alles! Erstrebt das Gute!« Das kann man ruhig auswendig lernen oder sich an die Pinwand heften. Das hilft uns, im Positiven zu bleiben. Wer etwas Aufbauendes zu sehen und zu tun hat, wer ein fröhliches Herz hat, der ist ziemlich immun gegen das Böse.
Und so lernt man, sich immer besser in der Fremdsprache des christlichen Lebensstils zurecht zu finden. Am Ende wird einer wirklich immer weniger Regeln brauchen, weil ihm dieser Verhaltensstil natürlich geworden ist. Durch all unsere unbeholfenen ersten Versuche hindurch wird Gott uns dahin bringen. Der Treue und Beständigkeit Gottes entspricht unsere Treue und Ausdauer beim Lernen der Grammatik christlichen Verhaltens. Und durch unsere Treue hindurch wird Gott uns mit seiner Treue ans Ziel bringen.
Vielen Dank für diese Predigt. Der Vergleich mit dem Erlernen einer Fremdsprache ist hervorragend.
Schön, dich hier zu sehen. Der Dank geht an NT Wright, von dem ich die Idee habe. Seine Reihe „for everyone“ mit Bibelauslegungen für die Gemeinde kommt anscheinend jetzt bei Brunnen auf Deutsch raus.