Die Auferstehung und die dunkle Seite der Macht
Predigt am 1. April 2013 (Ostermontag) zu Apostelgeschichte 10,34-43
Wahrscheinlich haben wir alle schon mal von Romeo und Julia gehört, dem wahrscheinlich berühmtesten Liebespaar der Weltliteratur. Weniger bekannt ist schon, dass die beiden das Problem haben, dass ihre Familienclans verfeindet sind und sie eigentlich gar nicht zusammenkommen dürften. Aber sie schließen sozusagen ihren Privatfrieden miteinander. Nur leider geht es am Ende böse aus, sie scheitern an der Feindschaft, in der sie drinstecken.
Die Geschichte, die wir gleich hören werden, handelt auch von so einem Privatfrieden zwischen Menschen, die eigentlich verfeindet sein müssten. Zum Glück geht die Geschichte aber besser aus als die von Romeo und Julia.
Ein Privatfriede über eine Kluft hinweg
Die Feindschaft, über die hinweg es diesen Privatfrieden gibt, ist die Kluft zwischen einem römischen Besatzungsoffizier in Israel im ersten Jahrhundert und dem Juden Petrus, dem Jünger von Jesus. Petrus ist Angehöriger eines unterworfenen Volkes, der andere, Kornelius heißt er, ein Centurio, ein wichtiger Funktionär im römischen Militärapparat. Selbst wenn Kornelius persönlich ein integrer Mann ist, es bleibt dabei, dass die beiden auf unterschiedlichen Seiten stehen und nicht zueinander kommen sollten.
Aber es ist eine der Wirkungen des auferstandenen Jesus, dass er solche Trennungen überwindet. Das hat er schon vorher getan, aber nach seiner Auferstehung geschieht das global, weltweit. Trotzdem – wenn man die ganze Geschichte liest, dann merkt man, dass Gott zu außergewöhnlichen Mitteln greifen muss, um die beiden zusammenzubringen. Beide begegnen Engeln und haben Visionen, bis sie für ihre Begegnung vorbereitet sind.
Kornelius war offenbar schon vorher von der jüdischen Religion beeindruckt. Er gehörte wohl zu den »Gottesfürchtigen«: keine richtige Mitglieder des Volkes Israel, aber eine Art Sympathisanten. Kornelius spendete, er betete zum Gott Israels, aber er war nicht wirklich angekommen. Er wusste, dass es noch mehr geben musste, und jetzt, als Petrus kommt, da erwartet er sich die Antwort auf seine Gebete. Was also ist es, was Petrus ihm ihm sagen wird? Das ist heute unser Predigttext:
34 »Wahrhaftig«, begann Petrus, »jetzt wird mir ´erst richtig` klar, dass Gott keine Unterschiede zwischen den Menschen macht! 35 Er fragt nicht danach, zu welchem Volk jemand gehört, sondern nimmt jeden an, der Ehrfurcht vor ihm hat und tut, was gut und richtig ist.
36 ´Was ich euch bringe, ist` die Botschaft, die Gott bereits den Israeliten verkünden ließ; es ist das Evangelium vom Frieden durch den, der über alle Menschen Herr ist, Jesus Christus. 37 Ihr habt sicher von dem erfahren, was sich im ganzen jüdischen Land zugetragen hat. Angefangen hatte es in Galiläa, nachdem Johannes zur Taufe aufgerufen hatte: 38 Jesus von Nazaret wurde von Gott mit dem Heiligen Geist gesalbt und mit Kraft erfüllt und zog dann im ganzen Land umher, tat Gutes und heilte alle, die der Teufel in seiner Gewalt hatte; denn Gott war mit ihm.
39 Wir Apostel sind Zeugen von all dem, was er im jüdischen Land und in Jerusalem getan hat. Und dann hat man ihn getötet, indem man ihn ans Kreuz hängte. 40 Doch drei Tage danach hat Gott ihn auferweckt, und in Gottes Auftrag hat er sich als der Auferstandene gezeigt – 41 allerdings nicht dem ganzen Volk, sondern nur denen, die Gott schon im Voraus zu Zeugen bestimmt hatte, nämlich uns Aposteln. Mit uns hat er, nachdem er von den Toten auferstanden war, sogar gegessen und getrunken. 42 Und er gab uns den Auftrag, dem ganzen Volk mit allem Nachdruck zu verkünden und zu bezeugen, dass er der von Gott eingesetzte Richter ist, der über die Lebenden und über die Toten das Urteil sprechen wird.
43 Schon die Propheten haben von ihm geredet. Durch ihn, so bezeugen sie alle übereinstimmend, bekommt jeder die Vergebung seiner Sünden – jeder, der an ihn glaubt.« 44 Während Petrus noch über diese Dinge sprach, kam der Heilige Geist auf alle herab, die seine Botschaft hörten.
Was sagt Petrus hier einem Heiden, der wissen will, was der Gott Israels ihm sagt? Das erste ist »das Evangelium vom Frieden durch den, der über alle Menschen Herr ist, Jesus Christus«. Das sind gleich zwei Zumutungen in einem Satz! Sie fragen sich jetzt vielleicht, wo da die Zumutungen liegen? Wer kann denn schon was gegen ein bisschen Frieden haben? Aber nach römischer Ansicht war es Kaiser Augustus, der der Welt den Frieden gebracht hatte. Als der im Bürgerkrieg gegen seinen Rivalen Antonius gesiegt hatte, ließ er in Rom die Tore des Janustempels schließen, weil jetzt Frieden herrschte. Der Janustempel in Rom hatte eine besondere Funktion: seine Tore standen offen, so lange irgendwo im Reich gekämpft wurde. Leider waren sie meistens auf. Irgendwo war immer Krieg.
Pax Romana
Aber Augustus sah sich als Friedenskasier. Die besiegten Völker erlebten das zwar anders, einfach als einen Sieg der römischen Militärdampfwalze, aber tatsächlich wurde nicht mehr gekämpft. Zwar gab es auch unter Augustus später neue Kriege, aber sie wurden nicht zum Dauerzustand. Dauerzustand wurde es aber, dass den besiegten Völkern Jahr für Jahr hohe Steuern auferlegt wurden, und es war aussichtslos, sich dagegen zu wehren. Die Gewalt steckte jetzt im System.
Übrigens hieß die die aktuelle Mitteilung des Kaisers, dass ein Sieg errungen war und jetzt vielleicht Friede herrschte, offiziell »gute Nachricht«, auf Griechisch »Evangelium«. Der Kaiser wurde »Kyrios« genannt, der Herr. Der Kyrios ließ sein Evangelium vom römischen Frieden, der Pax Romana, im ganzen Reich verkünden. Man kann das heute noch auf vielen alten Inschriften lesen.
Als also Petrus mit Kornelius sprach, war die offizielle römische Staatspropaganda: durch den siegreichen Kaiser, den Herrn, kommt das Evangelium vom Frieden. Frieden schaffen durch römische Waffen. Kornelius war die Begrifflichkeit wohlvertraut. Aber jetzt kommt Petrus und redet zu ihm über »das Evangelium vom Frieden durch den, der über alle Menschen Herr ist, Jesus Christus«. Das sind zwei Zumutungen: der Frieden kommt durch Jesus, und der ist der Herr aller Menschen. Petrus sagt: was Rom angeblich durch die militärische Macht des Herrn und Kaisers erreicht hat, das gibt es in Wirklichkeit bei uns. Bei Jesus Christus.
Das ist eine Botschaft, als ob man in der DDR, als es sie noch gab, zu einem Parteifunktionär gesagt hätte: Glaubst du eigentlich wirklich an das, was deine Organisation vertritt? Komm zu uns! Den wirklichen Sozialismus, den findest du bei uns, bei Jesus! Wahrscheinlich ist das gar nicht erlaubt, dass Kornelius noch weiter zuhört. Wahrscheinlich müsste er das Gespräch sofort beenden und die Staatssicherheit informieren. Aber er tut es nicht. Er will unbedingt und um jeden Preis hören, was Petrus ihm zu sagen hat. Die Wahrheit, die sein Herz sucht, bedeutet ihm mehr als seine Pflicht als römischer Offizier.
Einer will wirklich die Wahrheit wissen
Das ist das Großartige an Kornelius: er will die Wahrheit wirklich wissen. Nicht diese zynische Frage von Pontius Pilatus am Karfreitag: was ist schon Wahrheit? Kornelius steht in der Hierarchie nicht sehr viel tiefer als Pilatus, aber ihm ist die Wahrheit nicht egal. Beide haben vermutlich viele Länder, Völker und Götter kennengelernt, aber der eine ist zynisch geworden, und der andere will jetzt erst recht wissen, was denn nun wahr ist und wie ein richtiges Leben aussieht. Bis heute gibt es nicht viele Menschen, die das mit aller Kraft suchen. Kornelius hat Format. Das ist auch für Petrus beeindruckend, dass ein gottloser Römer so sein kann.
Und deshalb finden die beiden unterschiedlichen Männer zusammen, Petrus und Kornelius. Und Petrus spricht von Jesus, wie er die Menschen aus der Gewalt des Teufels befreit hat. Warum der Teufel? Bei dieser Befreiung ging es ja nicht nur um Kranke, sondern auch um Menschen, die von bösen Geistern geplagt waren. Und wie die Dämonisierten von fremden Einflüssen besetzt waren, so war ganz Israel von fremden Mächten besetzt, von Rom. Aber Jesus konnte die heilen, die am meisten darunter litten, wahrscheinlich würden wir heute sagen: die, die durch die ganze Situation traumatisiert waren. Jesus konnte die Wunden heilen, die Macht und Gewalt geschlagen haben. Petrus und Kornelius finden zusammen im Namen Jesu, und das heißt: auf der Grundlage, dass Wunden geheilt werden sollen, die durch die Gewalt in der Gesellschaft geschlagen worden sind.
Die dunkle Rückseite der Pax Romana: das Kreuz
Die Gewalt, die das ganze Imperium durchzieht, die konzentriert sich in dem Symbol des Kreuzes, an dem Jesus zu Tode gefoltert worden ist. Im System des römischen Friedens braucht man kaum noch Kriege, es reicht, gelegentlich mal ein paar Leute zu kreuzigen oder damit zu drohen. Petrus spricht das Wort »Kreuz« nicht aus, er sagt stattdessen »Holz«, aber natürlich weiß jeder, dass das die römische Strafe für alle ist, die sich nicht fügen. Das Kreuz war die dunkle Rückseite des römischen Friedens. Und das heißt: es war gar kein Frieden, sondern oberflächlich getarnte Gewalt. Und Kornelius war einer von denen, die auf dieser dunklen Seite der Macht arbeiteten. Wahrscheinlich hat er selbst auch Kreuzigungen befehligt, es kam ja oft genug vor, und natürlich hat so was auch die Seele der Soldaten beschädigt.
Aber Kornelius und Petrus können zusammenkommen, weil Jesus das Kreuz überwunden hat, weil er auferstanden ist und die Macht der Heilung stärker war als die Macht des Terrors. Gott hat sich auf seine Weise dem imperialen Frieden entgegengestellt: indem er Jesus auferstehen ließ. Jetzt gibt es etwas Besseres als die Gewalt, auch für Kornelius. Die Auferstehung Jesu, der Sieg des Lebens, das ist die Grundlage, auf der Petrus und Kornelius zusammenkommen können und ihren Privatfrieden miteinander schließen. Und anders als bei Romeo und Julia gibt das keine Tragödie, sondern das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Kornelius ist nicht der letzte römische Soldat, der zu Jesus findet.
Jesus, sagt Petrus, ist der Richter über die Lebenden und die Toten. Ein Richter ist nach biblischem Verständnis nicht in erster Linie der, der zu mehr oder weniger gerechten Strafen verknackt. Ein Richter soll die Dinge zurechtbringen, indem er das richtige Urteil dazu abgibt, das dafür sorgt, dass wieder Frieden einkehrt, wenn es irgendeine Störung des Lebens gegeben hat. Das wirkliche Evangelium ist: Frieden kommt durch den, der über alle Menschen Herr ist, dem sie alle gleich wichtig sind, egal ob Römer, Jude oder Barbar: nicht der Kaiser, sondern Jesus. Er ist der Herr, der dem Bösen widerstehen kann und die Wunden heilt, die es geschlagen hat. Durch ihn gibt es Vergebung der Sünden. Das ist der neue Weg. Keiner ist mehr gebunden an das Unrechtssystem, dem er bisher gedient hat. Keiner ist fortan mehr ein Gefangener seiner Geschichte, aus der er nicht mehr aussteigen kann. Und Petrus endet mit der Aufforderung zur Umkehr: jeder, der an Jesus glaubt, ist frei von dem Unrecht, das er getan hat und in dem er bisher gefangen war.
Aber Kornelius braucht gar nicht antworten, sondern noch während Petrus redet, fällt der Heilige Geist auf die Zuhörer, ihr Herz hat längst Ja gesagt zu diesem neuen Evangelium, das sie hören, und Petrus lässt sie dann nur noch zur Bestätigung taufen.
Die Frage nach der Loyalität
Liebe Freunde, Gott musste beide ziemlich pushen, bis sie zusammenkamen, Petrus und Kornelius, aber es ist gelungen, und es wird noch viele solcher Friedensschlüsse geben. Frieden, der heilt und nicht auf Wunden gegründet ist. Frieden, der mit Menschen geschlossen wird, die die Lager verlassen, zu denen sie bisher gehört haben. Menschen, die merken, dass sie selbst zu kurz kommen, wenn sie nur Funktionäre sind, im Dienst einer Organisation, die ihr Herz nicht lebendig machen kann.
Diese Geschichte ist eine Aufforderung zur Fahnenflucht, selbst wenn Kornelius weiter Soldat in römischen Diensten bleibt. Aber sein Herz ist nicht mehr in römischen Diensten. Diese ganzen hohlen Phrasen von Ruhm, Ehre, Vaterland, Frieden und Sicherheit, die halten ihn nicht mehr. Er wird nie mehr ein zuverlässiger Funktionsträger sein, seine Loyalität gilt jetzt einem anderen.
Das ist mit “Herrschaft Jesu” gemeint
Das ist gemeint, wenn es heißt, dass Jesus alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist. So sieht das aus, wenn er jetzt die Welt regiert. Er stiehlt den Mächten die Herzen der Menschen, und wenn erstmal die Herzen weg sind, dann ist auf die Menschen kein Verlass mehr. Menschen, die auf Jesus hören, die innerlich gesund werden, die nicht mehr angewiesen sind auf Orden und Ehrenzeichen, die erlebt haben, dass der Frieden nicht aus den Gewehrmündungen kommt, die gehören zur neuen Welt, an die kommen die Mächte dieser Welt nicht mehr heran. Da breitet sich die Auferstehung aus. Taufe bedeutet, dass die Auferstehung Jesu in unserem Leben angekommen ist. Das bedeutet in dieser Welt auch Konflikt, das kann sogar Leiden und Kreuz bedeuten, aber wir sind befreit, wir leben mit dem Ja Gottes im Rücken. Wir gehören zur neuen Schöpfung. Unter uns hat sie angefangen.
Wie das für uns heute aussieht, das müssen wir erst herausfinden. Möglichst nicht jeder ganz persönlich, sondern miteinander und mit Gott. Wer so hartnäckig fragt, wie Kornelius es getan hat, der wird auch eine Antwort bekommen. In der Regel muss man dazu Gott und Menschen fragen, wie Kornelius zu Gott gebetet und Petrus gefragt hat. Die Wahrheit zu suchen ist Arbeit. Man findet sie nicht mal so nebenbei, sondern man muss dazu auf die Reise gehen. Aber wer die Antwort wirklich hören will, unbedingt und um jeden Preis, der wird sie bekommen.