Der Körper des Messias: der Anfang von Gottes neuer Welt
Predigt am 20. Januar 2013 zu Römer 12,3-8 (Predigtreihe Römerbrief 36)
Wegen eines Heizungsschadens fand der Gottesdienst im Gemeindehaus statt, was es leichter machte, mit einem Aktionsteil innerhalb der Predigt zu arbeiten.
Vor einer Woche haben wir auf die beiden Verse davor gehört, und die kann man zusammenfassen mit dem Aufruf: lebt anders, seid anders, löst euch aus den Mustern, die in dieser Welt gelten. Ihr seid der Anfang der neuen Welt Gottes. Und das setzt um, realisiert es, führt es durch von den verborgenen Irrwegen der menschlichen Seele bis hin zu den großen Ordnungen der ganzen Schöpfung und alle Dimensionen dazwischen. Alles soll neu werden, und der eigentliche Gottesdienst besteht darin, dass man das in seinen Lebensvollzügen umsetzt. Gottesdienste wie dieser hier sollen das unterstützen, aber nicht ersetzen.
Und an dieser Stelle hat es dann in der modernen Christenheit eine Fehlentwicklung gegeben, dass Menschen gesagt haben: Wenn der eigentliche Gottesdienst sowieso in meinem ganzen Leben stattfindet, wieso muss ich dann eigentlich noch extra zu bestimmten Veranstaltungen in die Kirche oder – wie wir heute – ins Gemeindehaus gehen? Hätte man Paulus weitergelesen, dann hätte man gleich in diesen nächsten Sätzen, auf die wir heute hören, gemerkt, warum es das nicht sein kann.
Der Punkt ist nämlich nicht, dass Paulus sagt: aber es muss unbedingt auch so etwas wie einen kultischen Gottesdienst geben! Sondern sein Impuls ist: Bildet euch nicht ein, ihr könntet allein, als isolierte Einzelne, die neue Welt Gottes sein. Auch die alte Welt Gottes besteht ja aus vielen Menschen, die miteinander verbunden sind und die viele Selbstverständlichkeiten miteinander teilen, auch wenn das oft problematische Selbstverständlichkeiten sind. Die Macht der alten Menschheit besteht ja gerade darin, dass sie alle gefangen sind in vielen schiefen Grundüberzeugungen, die immer wieder Probleme, Konflikte und Krisen hervorbringen. Wenn wir heute alte Filme sehen, sagen wir mal von vor 100 Jahren, wie sie da alle mit Schnäderengteng marschieren, auf markige Reden hören und dann mit Hurra! zackig in den Krieg marschieren, dann fragen wir uns heute: wie konnten sie sich davon nur so begeistern lassen? Aber damals erzeugte das einen ungeheuren Sog, und ein Einzelner allein konnte sich da im Grunde gar nicht gegen wehren – man musste wenigstens ein paar Freunde haben, mit denen man sich austauschte und gemeinsam eine eigene Welt aufbaute, in der andere Werte und Selbstverständlichkeiten galten.
Allein machen sie dich ein – und das gilt auch für Christen. Ohne ein Netzwerk von Menschen, die sich gegenseitig bestätigen und weiterbringen im alternativen Denken, kann niemand den Denkschemata der alten Welt entkommen. Und auch gemeinsam ist es noch schwer genug.
Deshalb beschreibt Paulus die Gemeinde als Gemeinschaft von Menschen, die sich so organisieren, dass sie sich gegenseitig stützen und weiterbringen in einer alternativen Sicht auf die Welt und dann auch in einer anderen Art zu leben. Das Stichwort bei Paulus dafür ist der »Leib Christi«, vielleicht sagt man besser: der »Leib des Messias« – dann wird deutlich, dass »Christus« nicht der Familienname von Jesus ist, sondern eine Funktionsbeschreibung wie »Bürgermeister« oder »Bundeskanzlerin«. Wenn jemand der Christus ist, der Messias, dann ist es seine Aufgabe, als Retter, als ultimativer Gesandter Gottes, etwas in der Welt zu bewírken. Und dazu braucht er einen Leib, wie jeder, der etwas in der Welt bewirken will.
Unser Leib, unser Körper, der ist ja das Werkzeug, mit dem wir in der Welt etwas erreichen. Das gilt immer: wenn wir z.B. etwas essen wollen, dann reicht es nicht, dass wir uns in unsern Gedanken intensiv eine leckere Haferschleimsuppe vorstellen, sondern dann muss irgendjemand seinen Körper in Bewegung setzen, muss den Herd anschalten und einen Topf befüllen und mindestens einen Löffel aus der Schublade nehmen und noch vieles andere, und nur durch diesen Körpereinsatz sind wir dann am Ende satt. Nur wünschen reicht nicht.
Und genauso: wenn Gott etwas auf der Erde erreichen möchte, dann braucht er dazu einen Körper. Und das ist der Körper, der »Leib« des Messias. Zuerst der Körper von Jesus, und nach dessen Auferstehung die Christenheit, die sozusagen ein kollektiver Körper ist. Wenn Gott eine neue Menschheit und eine ganze neue Welt ins Leben rufen will, dann braucht er dazu einen materiellen Körper. Einfach wünschen reicht nicht, auch nicht für Gott.
Ein Körper ist aber nicht eine Menge von Armen, Beinen, Augen, Lungen, Nieren, Adern, Muskeln und anderen Organen, die irgendwer in eine Kiste gepackt hat,und da liegen sie nun. Selbst wenn alle Einzelteile vollständig da wären, wäre so eine Kiste voller Teile noch kein Körper. Von einem Körper sprechen wir erst, wenn alles verbunden ist und zusammenarbeitet. Wir wissen heute viele Einzelheiten über die ganzen ausgeklügelten Mechanismen, die in unserem Körper dafür sorgen: die Nerven, das Gehirn, die Steuerung der Zellen, die Botenstoffe, über die die Organe kommunizieren, und vieles mehr. Paulus kannte noch nicht diese ganzen Einzelheiten, aber dass ein Körper ein feines Gewebe von Zusammenhängen darstellt, das wussten sie natürlich auch schon damals.
Und wenn Paulus von der Christenheit als dem Leib des Messias spricht, dann heißt das zuerst: das ist nicht eine Versammlung von Karteikarten in einem Kasten, das ist nicht die Datei mit den Kirchensteuerzahlern aus einem Ort, sondern das ist ein lebendiges Gebilde aus vielen Menschen, das atmet und kommuniziert und gemeinsam etwas erreicht. Im Einzelnen sieht das so unterschiedlich aus wie die einzelnen Organe des Körpers unterschiedlich arbeiten. Wir würden heute vielleicht sagen: wie die einzelnen Typen von Körperzellen unterschiedlich funktionieren. Wir haben ja ganz unterschiedliche Zelltypen in unserem Körper. Aber sie arbeiten Hand in Hand, und zwar ziemlich reibungslos.
Und damit das kein Bild bleibt, kein abstrakter Vergleich, deshalb skizziert Paulus in einigen kurzen Szenen, wie das funktioniert. Wir wollen uns das hier mal nachmachen: als Zeichen der Zusammenarbeit haben wir hier erst einmal einen Tisch. Der Altartisch in den Kirchen ist ja christlich gesehen nicht der Opferaltar aus dem Tempel, sondern es ist der Tisch, an dem die Gemeinde zusammensitzt, isst, redet und Abendmahl feiert (der Altartisch wird in die Mitte gestellt, sechs Stühle drum herum).
Und nun gibt es bei Paulus einige Stichworte darüber, wer hier mit am Tisch sitzen könnte (bei jedem der folgenden Stichworte wird ein großes Blatt mit diesem Wort auf einen der Plätze gelegt):
Da ist jemand, der prophetisch reden kann. Da geht es nicht darum, dass er das Wetter für die Sommerferien voraussagt, sondern dass er Worte und Impulse von Gott empfangen und weitergeben kann. Das ist nicht einfach, aber das gibt es durchaus, dass Gott durch Menschen eine Botschaft weitergibt – vielleicht: macht weiter, ihr seid auf einem guten Weg, lasst euch nicht von Rückschlägen entmutigen. Oder auch: euer großes Problem soll euch voranbringen, und zwar so: und dann kommt ein wichtiger Hinweis.
Eine andere Kurz-Skizze: Dienen. Also in irgendeiner Weise andere voranbringen und unterstützen. Das sollen wir natürlich alle, und es wäre keine gute Sache, wenn jemand sagte: ich habe leider nicht die Gabe des Dienens, und deshalb gehe ich schon mal, wenn die anderen anfangen abzuwaschen. Für manche Sachen braucht man keine besondere Gabe, sondern nur ein bisschen Energie.
Aber es gibt natürlich Menschen, die das richtig gut können, sich in andere so reinversetzen, dass sie spüren, wie es denen geht und was die gerade brauchen und dann genau im richtigen Moment mit einer Haferschleimsuppe kommen oder mit einem Hustentee oder mit einem Gesprächsangebot, oder die im Hintergrund dafür sorgen, dass die Mikrofone funktionieren oder immer genügend Teebeutel da sind oder die Dienste eingeteilt sind, und man merkt es erst dann, wenn die mal ausfallen. Und wir anderen, die da nicht ganz so sensibel sind, sollten dann wenigstens zum Geschirrhandtuch greifen.
Wieder eine andere Momentaufnahme: Lehren. Das klingt heute schon wieder etwas nach Schule und Frontalunterricht, aber gemeint ist: es muss Leute geben, die die komplizierten Zusammenhänge der Welt und vor allem der neuen Welt, die Gott heraufführt, einfach und verständlich erklären können, so dass jeder sie verstehen kann. Dazu gehört es, die Bibel von innen heraus zu verstehen und nicht bloß in jedem Bibelvers die gleichen vier oder fünf Sätze zu entdecken, die immer richtig sind. Es gehört aber auch dazu, unsere Gegenwart zu verstehen, wie die Gesellschaft funktioniert, und zu entdecken, wie Gottes Alternative dazu aussieht. Da muss der, der die Gabe der Lehrte ausübt, sich vielleicht auch mal länger mit dem prophetisch Begabten unterhalten, und zusammen kriegen sie was ganz Tolles raus.
Dann haben wir diejenige, die trösten und ermahnen kann, wahrscheinlich würde man das heute Seelsorge nennen: also eine, die die Erneuerung Gottes in der individuellen Person eines Menschen fördert. Das ist ja das Besondere an der Christenheit, dass wir auf der ganzen Skala von ganz klein bis ganz groß arbeiten. Wir bringen Gottes Alternative in die Herzen von Menschen genauso wie in die Politik und in den Geldbeutel. Die allermeisten anderen Erneuerungsbewegungen konzentrieren sich auf einen Bereich, die einen auf die Politik, die anderen auf Süchte, die dritten retten die Wale, die vierten die Kunst, und, und, und, aber dann werden sie oft ausgebremst von den Dingen, die sie nicht auf dem Schirm haben. Politische Bewegungen mit guten Programmen scheitern an den persönlichen Macken ihrer Spitzenleute. Kulturelle Bewegungen übersehen die politischen Rahmenbedingungen. Nur wir können von unserem Grundansatz her alle Dimensionen abdecken, weil Gott der Herr der ganzen Welt ist. Wir müssen die einzelnen Bereiche nicht gegeneinander ausspielen. Bei uns wird man selbst heil und wir verbreiten Heilung in der Welt, und das ist eine einzige gemeinsame Sache und kein Gegensatz.
Dann gibt es Menschen, die Geben: erstens, weil sie etwas haben, zweitens, weil sie die Bedürfnisse andere sehen, drittens, weil sie gar nicht groß am Geld hängen und viertens, weil ihnen das Geben Freude macht. Und manchmal trifft das alles nicht zu und sie geben trotzdem großzügig. Und das braucht man auch in dem Leib der Christenheit, dass das nötige Geld zusammenkommt. Auch da wieder: da sind wir alle für zuständig, aber einige entwickeln ein besonderes Talent, im richtigen Moment an der richtigen Stelle Geld einzusetzen.
Schließlich gibt es dann die Leitung – jemand oder einige müssen das Ganze zusammenbinden, er oder sie muss dafür sorgen, dass die Kommunikation klappt, dass man sich nicht immer wieder auf eine Spezialfrage konzentriert, sondern dass das Ganze funktioniert, dass die Gegenwart ebenso wie die Zukunft im Blick ist, dass Probleme erkannt und gelöst werden, dass die Stimmung gut bleibt usw.
Und über dem Ganzen, wie Paulus das schildert, liegt so ein Geist des Ärmelaufkrempelns und Anpackens, ein gemeinsames Bewusstsein: wir bauen hier an der wichtigsten Baustelle der Welt, an Gottes neuer Menschheit, und Gott beflügelt uns mit seiner Hoffnung und seinem Heiligen Geist. Und jetzt zum Schluss wollen wir dieses Bild noch mal richtig lebendig machen: wer von uns nimmt jetzt mal hier auf den sechs Stühlen Platz? Keine Angst, wir halten dem, der bei dem Blatt mit dem Stichwort »Geben« sitzt, nachher nicht extra intensiv den Klingelbeutel hin!
Schaut euch diesen Tisch hier vorne an und erinnert euch noch einmal an die Verklärungsgeschichte (Matthäus 17,1-9), die wir vorhin in der Evangelienlesung gehört haben! Die Jünger kannten Jesus und hielten ihn schon lange für einen ganz besonderen Menschen. Aber trotzdem ahnten sie immer noch nicht, was wirklich in ihm steckte. Und da auf dem Berg der Verklärung wird für einen Augenblick der Schleier fortgezogen, und sie sehen in diesem Moment die ganze Herrlichkeit Gottes, die in Jesus steckt, die sozusagen in ihn hineinverpackt ist. Und sie sind völlig geplättet davon, weil sie das nun wirklich nicht erwartet haben. Und von Stund an werden sie Augen dafür haben, was in diesem äußerlich ganz normalen Menschen in Wirklichkeit drinsteckt.
Und jetzt schaut euch diese ganz normalen Menschen hier vorne an, die dieses Netzwerk der neuen Welt Gottes darstellen! In solchen ganz normalen Menschen ist die Herrlichkeit der neuen Schöpfung verborgen, wenn sie an das Netzwerk Gottes angeschlossen sind, wenn sie Teile des Leibes Christi sind. Nach außen sieht es völlig harmlos aus, aber lasst uns Augen dafür bekommen, was hier wirklich passiert: eine ganze neue Welt steckt im Keim in diesem Netzwerk, und es gibt nichts Wichtigeres, als dafür zu sorgen, dass sich dieser Keim entfaltet und wächst. Natürlich nicht nur in Groß Ilsede, sondern in vielen Orten in unserem Land und in der ganzen Welt.
Das ist der entscheidende strategische Punkt für unser Land und für die Welt und für jeden von uns. Dafür die Energie eines ganzen Lebens einzusetzen, das ist der vernünftige Gottesdienst, von dem Paulus spricht, und das ist die Investition eines ganzen Lebens wert!