Der Triumph der Liebe Gottes
Predigt am 24. Juni 2012 zu Römer 8,31-39 (Predigtreihe Römerbrief 27)
31 Was können wir jetzt noch sagen, nachdem wir uns das alles vor Augen gehalten haben? Gott ist für uns; wer kann uns da noch etwas anhaben? 32 Er hat ja nicht einmal seinen eigenen Sohn verschont, sondern hat ihn für uns alle hergegeben. Wird uns dann zusammen mit seinem Sohn nicht auch alles andere geschenkt werden? 33 Wer wird es noch wagen, Anklage gegen die zu erheben, die Gott erwählt hat? Gott selbst erklärt sie ja für gerecht. 34 Ist da noch jemand, der sie verurteilen könnte? Jesus Christus ist doch ´für sie` gestorben, mehr noch: Er ist auferweckt worden, und er ´sitzt` an Gottes rechter Seite und tritt für uns ein. 35 Was kann uns da noch von Christus und seiner Liebe trennen? Not? Angst? Verfolgung? Hunger? Entbehrungen? Lebensgefahr? Das Schwert ´des Henkers`? 36 ´Mit all dem müssen wir rechnen,` denn es heißt in der Schrift: »Deinetwegen sind wir ständig vom Tod bedroht; man behandelt uns wie Schafe, die zum Schlachten bestimmt sind.« 37 Und doch: In all dem tragen wir einen überwältigenden Sieg davon durch den, der uns ´so sehr` geliebt hat. 38 Ja, ich bin überzeugt, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch ´unsichtbare` Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch ´gottfeindliche` Kräfte, 39 weder Hohes noch Tiefes, noch sonst irgendetwas in der ganzen Schöpfung uns je von der Liebe Gottes trennen kann, die uns geschenkt ist in Jesus Christus, unserem Herrn.
Ich weiß nicht, ob Ihnen aufgefallen ist, dass in den Texten heute das Leid und die Herrlichkeit ganz eng beieinander liegen. Vorhin im Evangelium (Johannes 16,33 – 17,4), wenn Jesus davon redet, dass jetzt seine Herrlichkeit offenbart werden soll, dann meint er damit, dass er jetzt gekreuzigt werden wird. Und genau an dieser finstersten Stelle der Welt wird die Herrlichkeit Gottes aufstrahlen. Weil Jesus nämlich auch dort noch ein Mensch des Himmels bleibt.
Und hier im Römerbrief Paulus, der wusste, wovon er redet, wenn er über Verfolgung, Hunger, Gefahr, zerstörerische Mächte und das Schwert des Henkers redet. Das war für ihn ganz konkret. Der kannte die Kerker des römischen Imperiums von innen. Aber der Zusammenhang, in dem er davon redet, das ist wie ein triumphierender Fanfarenstoß, mit dem er die erste Hälfte des Briefes abschließt: Ich bin felsenfest überzeugt, dass nichts, aber auch gar nichts uns trennen kann von der Liebe Gottes, die zu zu uns gekommen ist in Jesus Christus, unserem Herrn, dem König der Welt.
Und da könnte einer fragen: wie passt das zusammen mit all der Not, Angst und Verfolgung, die Paulus ja wahrhaftig reichlich erlebt hat? An sich selbst, und bestimmt auch bei anderen? Wie kann man da von der Herrlichkeit Gottes reden?
Aber ich stelle jetzt erstmal die Gegenfrage: wo anders kann man glaubwürdig vom Triumph der Liebe Gottes reden, als in der Gegenwart von Gefahr und Schmerz?
So lange es dir gut geht und alles nach Plan läuft, wenn du da Hymnen auf die Liebe Gottes singst, dann sagen Leute zu Recht: na, warte mal ab, bis du so richtig in der Patsche sitzst, ob du dann noch so vollmundig von Gott sprichst.
Wenn aber einer die Kerker von innen kennt, und dann trotzdem und erst recht von der Macht der Liebe Gottes spricht, dann ist das ein Wort, das Gewicht hat. Dann ist das nicht der religiöse Sahneklecks oben drauf, sondern dann merkt man: der hat überlebt, weil er die Liebe Gottes kannte. Der kennt den Nahkampf mit den Mächten der Zerstörung, die unsere Welt immer wieder überfallen. Und er weiß, was dann echte Hilfe ist und was nur Schönwettergerede ist.
Ganz ähnlich ist es doch mit diesem Gedicht »Von guten Mächten wunderbar geborgen«. Das ist im Nazigefängnis entstanden, Sylvester 1944, schon in der letzten Phase des Krieges, vier Monate, bevor Bonhoeffer ermordet wurde. Es ist wohl das vorletzte Schriftliche, was wir von Bonhoeffer haben.
Wenn man das nicht wüsste, könnte man sagen: wie kann der so was behaupten? »Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost was kommen mag«? In was für einer rosaroten Welt lebst du eigentlich? Frag lieber Gott, weshalb er all die Gewalt und das Leid in der Welt zulässt!
Aber dieses Gedicht, dieses Lied ist entstanden mitten zwischen Luftangriffen, bei spärlicher Gefängniskost, während in den Nachbarzellen Menschen weinten und manchmal im Morgengrauen abgeholt wurden und ihren letzten Gang antreten mussten. Und am Ende ist Bonhoeffer mutig dem Galgen entgegengegangen und hat gesagt: das ist für mich das Tor zum neuen Leben. Und dann hört man dieses Gedicht mit ganz anderen Ohren. Dann fragt man sich: was hat dieser Mann erlebt, dass er dort im Herzen der Finsternis solche wohlgestalteten Gedichte schreiben kann? Aus den Jahren davor gibt es viel kunstvollere Gedichte, es gibt auch Gedichte, in denen seine ganze Zerrissenheit zum Ausdruck kommt, aber dieses letzte Gedicht ist auch von der Form her ganz einfach, gerade, harmonisch und schön. Der muss sich am Ende ganz sicher gewesen sein. Der muss da etwas gefunden haben, was nur dort zu finden war: »behütet und getröstet wunderbar«. Ein helles Licht mitten in der Dunkelheit. Und damit hat er Tag für Tag seine Mitgefangenen getröstet, hat den Wächtern beigestanden, die auch alle das Herz in der Hose hatten, wenn die Bomben fielen, hat am letzten Tag noch auf Wunsch eines russischen Kommunisten eine Andacht gehalten, hat ziemlich sicher gewusst, dass die Nazis ihn nicht überleben lassen würden, und als es so weit war, hat er den Kelch des Todes entgegengenommen aus Gottes guter und geliebter Hand.
Bonhoeffer und Paulus und all die anderen großen Nachfolger Jesu, die mit ihm ins Herz der Finsternis vorgedrungen sind, die senden uns anderen die Botschaft, dass auch dort die Liebe Gottes zu finden ist, und dass sie gerade dort zu finden ist. Und sie sagen das mit diesem triumphierenden Klang: nichts, aber auch gar nichts, kann Gott daran hindern, uns seine Liebe zu erweisen. Nichts kann gegen Gott und seine Liebe bestehen: nicht die Mächte und Herren der Welt, nicht die bösen Vergangenheit, nicht die Zukunft, um die wir uns Sorgen machen, kein Geschöpf des Himmels oder der Erde – nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes.
Das ist die Wahrheit, die in den Kerkern erprobt worden ist. Und die lässt Paulus noch immer jubeln. Denn wenn die Liebe Gottes selbst da real ist, dann ist sie überall real, für uns alle, jeden Tag. Gott will uns das geben. Dazu hat er doch Jesus in diese gefährliche Welt geschickt. Und Paulus sagt: wenn Gott das alles schon getan hat, sollte er sich jetzt plötzlich noch anders besinnen? Sollte er jetzt einen Rückzieher machen und sagen: nein, das verdienst du vielleicht gar nicht – ich muss erst mal ein ernstes Wort mit dir reden? Sollte er jetzt noch an irgendeiner Stelle knausern? Wer kann es jetzt noch wagen, Gottes Leuten ein schlechtes Gewissen zu machen? Wer traut sich jetzt noch, Gottes Leuten naseweise gute Ratschläge zu geben?
Gestern abend hatte ich so einen am Telefon. Nachdem wir hier die Woche über schwer gearbeitet haben, kommen jetzt die Trittbrettfahrer. »Bruder Walter« sagte er mit ernster Stimme. Dramatische Pause. »Ich möchte mit dir über Gott sprechen«. Ich war so verdutzt, dass ich ganz vergessen habe, ihn auszulachen. Stattdessen habe ich gesagt: »Das passt jetzt aber nicht. Ich muss noch die Predigt für morgen schreiben.« »Bruder Walter« sagte er, »warum bist du so erzürnt?« Und ich hab gesagt: »ok, das war’s dann wohl« und hab aufgelegt.
Wenn du Gott kennst, dann kannst du alle auslachen, die versuchen, dich zu verunsichern und damit bei dir einen Fuß in die Tür zu bekommen. Weil du so deutlich merkst, dass das nicht Gott ist. Gott ist viel zu souverän, um bei uns mit solchen Tricks zu arbeiten.
Jesus Christus hat den Himmel und die Erde wieder verbunden. Sein Kreuz, an dem er gestorben ist, bis zuletzt als ein Mensch des Himmels, ausgerechnet dieses Kreuz ist der Punkt, wo sich Himmel und Erde wieder berühren, und jetzt sitzt er an Gottes rechter Seite, und er sieht uns mit unserem anfangsweisen Glauben, mit unserem verunsicherten Glauben, mit unserem ungeübten Glauben, mit unserem verwirrten Glauben, mit unserem noch längst nicht zu Ende gedachten Glauben, und er tritt bei Gott für uns ein und sagt: gib ihm Zeit, gib ihr einen neuen Impuls, sieh nicht auf das, was sie heute sind, sondern auf das, was morgen aus ihnen werden soll. Die sind doch unterwegs, die einen sind ganz am Anfang und die anderen sind schon ein Stück voran, aber sie sind auf dem richtigen Weg, die Richtung stimmt, und jetzt tu alles dafür, dass sie nicht zehn Jahre auf der Stelle treten, sondern stoß sie liebevoll an, dass sie voran gehen. Schick ihnen Herausforderungen, schick ihnen Trost, schick ihnen deine Engel, schick ihnen den Heiligen Geist, segne diese Samenkörner, damit sie wachsen. Und behüte sie vor den Schlaumeiern, die diesen sich entfaltenden Glauben verunsichern und kontrollieren wollen.
Wir sollen wissen, dass die ganzen Kräfte der unsichtbaren Welt aufgeboten sind, um uns an unser Ziel zu geleiten. Und dann wird auch mitten im Herzen der Finsternis, mitten unter Schmerzen und Bedrängnissen, dieses neue Lied gesungen werden. Das ist der Kern aller Hoffnung, das ist der tiefste Grund, weshalb Christen immer mutig dorthin gegangen sind, wo viele andere sich nicht hin getraut haben. Auch dort ist Gottes Liebe zu finden. Sie ist überall in der Welt, aber es muss Menschen geben, die es wagen, dort hinzugehen und sie sichtbar werden zu lassen.
Darum geht es in der Nachfolge Jesu: dass dieser eine Punkt, wo Himmel und Erde wieder in Verbindung gekommen sind, das Leben und das Kreuz Jesu, dass dieser Punkt nicht ein Punkt bleibt, sondern dass er sich ausdehnt und überall Verbindungen geknüpft werden zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Welt, und manchmal auch da, wo keiner es erwartet hätte.
Und wer da dabei sein darf, wer das miterleben kann, wenigstens an einem Punkt, der versteht, weshalb Paulus zwischen Sorgen und Bedrängnissen jubelt und so etwas schreibt wie eine Symphonie aus Worten, die hier ihrem Höhepunkt zustrebt, wo sich alle vorherigen Melodien bündeln und in einem großen triumphierenden Schlussakkord zusammen finden.