Der Schock der Auferstehung
Predigt am 1. April 2024 (Ostermontag) zu Markus 16,1-8
1 Als der Sabbat vorüber war, kauften Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um damit zum Grab zu gehen und Jesus zu salben. 2 Am ersten Tag der Woche kamen sie in aller Frühe zum Grab, als eben die Sonne aufging. 3 Sie sagten zueinander: Wer könnte uns den Stein vom Eingang des Grabes wegwälzen? 4 Doch als sie hinblickten, sahen sie, dass der Stein schon weggewälzt war; er war sehr groß.
5 Sie gingen in das Grab hinein und sahen auf der rechten Seite einen jungen Mann sitzen, der mit einem leuchtend weißen Gewand bekleidet war; da erschraken sie sehr.
6 Er aber sagte zu ihnen: Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus von Nazaret, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier. Seht, da ist die Stelle, wo man ihn hingelegt hatte. 7 Nun aber geht und sagt seinen Jüngern, vor allem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.
8 Da verließen sie das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemand etwas davon; denn sie fürchteten sich.
Das ist das Ende des Evangeliums, das Markus geschrieben hat: »Sie fürchteten sich.« Kann ein Evangelium so aufhören? Mit Schrecken und Entsetzen? Wie kann das sein?
Wenn Sie in Ihrer Bibel nachschauen, dann folgen da anschließend noch 12 weitere Verse, aber die sind ein paar Jahrzehnte später hinzugefügt worden. Das merkt man daran, dass sie in wichtigen Handschriften fehlen. Da hat offenbar jemand später auch den Eindruck gehabt, so könnte das Evangelium doch nicht enden, und er hat das korrigiert; und so hören wir da die Stimme eines anderen, immer noch sehr frühen Christen.
Warum dieser Schluss?
Warum Markus so endet, kann man nur vermuten. Vielleicht wollte er noch einen Schluss schreiben, aber es kam ihm immer etwas dazwischen? Ist er vielleicht vorher gestorben oder verhaftet worden? Ging ihm das Papier aus oder ist die Schriftrolle beschädigt worden? Oder war es doch seine Absicht, sein Buch so zu beenden? Es bleibt ein Rätsel.
Wir haben also einfach das Evangelium in dieser Form, und mit diesem merkwürdigen Schluss lenkt es unsere Aufmerksamkeit darauf, dass die Auferstehung nicht nur Freude auslöst. Und wenn wir auf die anderen Evangelien schauen, dann entdecken wir da jetzt auch diese Zeichen von Schrecken. Bei Matthäus heißt es »Sie gingen schnell von dem Grab weg mit Furcht und großer Freude«. Und bei Lukas sind die Frauen auch voll Furcht, als sie im leeren Grab zwei Engel sehen.
Da klingt in den Evangelien noch etwas nach von dem Schrecken, der Menschen befällt, wenn sie auf Gestalten aus der himmlischen Welt stoßen. Und auch zu Jesus sagen die Jünger nicht: »Schön, dass du endlich wieder da bist! Wir haben eigentlich schon gestern auf dich gewartet!« Sondern da ist immer auch dieses Gefühl von Fremdheit dabei, weil er so anders ist, auch von Furcht, die er erst verscheuchen muss. »Fürchtet euch nicht«, sagt er, genau wie Engel es immer sagen, und da geht es nicht um die vielfältigen Ängste, die wir eben so haben in dieser schwierigen Welt. Es geht um die Furcht, die Menschen befällt, wenn sie mit dem Himmel in Kontakt kommen.
Ein kuscheliger Gott und seine Leute
Wenn der Himmel in unsere irdische Welt einbricht, dann ist das so fremd und stark und anders, dass Menschen erst einmal einen gehörigen Schrecken bekommen. Wir haben uns in der Neuzeit angewöhnt, Gott als harmlosen Opa zu sehen, bei dem man sich ab und zu mal zum Kuscheln auf den Schoß setzen kann. Nichts gegen Opas, ich bin ja selbst einer, aber diese Verniedlichung Gottes ist richtiger Unsinn. Wenn wir einen harmlosen Gott hätten, dann müssten wir als seine Verehrer eigentlich auch harmlos sein.
Sind wir das? Ich fürchte, dass in den Augen der meisten unserer Mitbürger Christen harmlose Leute sind. Ein paar aufgeregte Atheisten versuchen zwar immer noch, uns als gefährliche Fanatiker hinzustellen, aber die meisten Menschen wissen, dass Kirchenleute in der Regel harmlos sind. Stimmt das? Wollen wir das?
Die Frauen haben damals am Grab verstanden, dass die Welt erschüttert wird, wenn Gott kommt. Und zwar noch mal ganz anders, als es die herkömmlichen Herrscher, Machthaber und Imperatoren fertigbringen. Gott, der Schöpfer des Alls, vor dem die Galaxien wie ein Staubkorn sind, der Ursprung des Lebens, kommt in seine Welt. Er kommt in unsere Welt, in der noch keiner ein Rezept gegen den Tod in jeder Gestalt gefunden hat, und hier zeigt Gott seine Lebensmacht: Auferstehung!
Ein erster feiner Riss
Da bricht etwas von außen ein in unsere sichtbare Welt, und das Zeichen dafür ist der Glanz, der nicht von dieser Welt ist. Als die Frauen den Engel im Grab sehen, da erschrecken sie vor diesem Glanz, der von ihm ausgeht. Und wahrscheinlich hat der Engel sich schon sehr zurückgenommen, hat seine Ausstrahlung so reduziert, dass es für Menschen gerade noch zu ertragen ist. Den Himmelswesen in ihrer vollen Größe zu begegnen, das würden wir nicht ertragen. Wir würden das nicht heil überstehen.
Erst so versteht man, wie gut es ist, dass Gott an unserer Seite sein will, dass er unser Leben will und nicht den Tod. Es geht immer um Leben und Tod. Den Tod bringen die Mächte, die diese Welt regieren und die Gott am liebsten draußen hätten, damit er ihre Geschäfte nicht stört. Alle Macht in der Welt, wie wir sie kennen, basiert auf der Macht, zu töten und zu zerstören, auf jeden Fall Gewalt auszuüben und uns in Todesangst zu versetzen. Wenn aber Gott den Tod besiegt, dann kommen die Fundamente der Welt, wie wir sie kennen, ins Wanken.
Die Frauen werden Zeugen dieses ersten feinen Sprungs in den Fundamenten der Welt. Ganz winzig ist noch der Raum, den das neue Leben einnimmt. Aber auch so spüren sie schon diese unaufhaltsame Kraft, die vom Auferstehungsleben ausgeht. Vielleicht ahnen sie intuitiv, dass dieser Riss immer weiter gehen und immer größer werden wird. Vielleicht spüren sie auch schon etwas von den Konflikten, die kommen, wenn die gottlosen Herren dieser Welt sich wehren gegen den lebendigen Gott, der sich seine Welt zurückholt. Das alles ist nicht harmlos, und wenn den Menschen heute Kirchenleute meistens harmlos vorkommen, dann müssen ja manche wohl auf dem falschen Dampfer unterwegs sein.
Die Mächte sind erschreckt
Mit der Auferstehung beginnt eine Revolution des Lebens, ein Aufstand gegen den Tod und alle seine Verbündeten und Agenten. Ein Aufstand, der nicht auf Waffen setzt, sondern auf die Kraft der Solidarität und die Energie des Heiligen Geistes, der Menschen über sich hinaus wachsen lässt. Ein Aufstand von normalen Menschen, die zu ahnen beginnen, dass der Tod nicht das letzte Wort hat.
Und das alarmiert die Mächte, die sich nicht einfach so geschlagen geben wollen. Alles werden sie tun, um diese mutigen Menschen einzuschüchtern, zum Schweigen zu bringen und am Ende manchmal auch zu töten. Warum musste das Regime in Russland am Ende Alexej Nawalny zu Tode bringen? Weil sie dem, was er sagte, nichts entgegenzusetzen hatten. Die lebendige Kraft der Wahrheit ist so groß, dass die Machthaber Menschen massiv bedrohen müssen, dass sie groteske Fehlinformationen in die Welt setzen, dass sie Menschen mit Propaganda fluten müssen, weil sie sich anders nicht mehr wehren können. So stark ist die Kraft des Lebens.
Die Botschaft von der Auferstehung ist sogar für die Guten zuerst ein Schock, weil wir alle so sehr an diese Welt, wie sie ist, gewöhnt sind. Wir können uns etwas fundamental Anderes eigentlich gar nicht vorstellen, und Jesus musste Gleichnisse und Bilder benutzen, um uns wenigstens eine Ahnung davon zu geben. In seinen Heilungen und in seinen Streitgesprächen leuchtete seine Vollmacht auf. Aber alles nur vorsichtig und andeutungsweise, damit wir nicht überfordert oder überfahren werden. Auch den Frauen und seinen Jüngern konnte er diese Erfahrung der Auferstehung erst jetzt zumuten, nach drei Jahren intensiver Vorbereitung, und selbst jetzt kommen sie dadurch an die Grenze des für sie Erträglichen.
Der Augenblick des Schocks
Markus hält mit dem merkwürdig abrupten Schluss seines Evangeliums diesen Moment fest, wo der Schreck sich noch nicht zur Freude verwandelt hat. Er hält den Moment des Schocks fest, wo alles noch fremd und neu und überwältigend ist. Es ist überhaupt nicht harmlos.
Und wir sollen auch nicht versuchen, aus dieser gewaltigen und unaufhaltsamen Auferstehungskraft etwas Harmloses zu machen. Nein, dieser Impuls bringt Menschen bis heute in Konflikte, wo es manchmal um Leben und Tod geht, wo aber immer die Grundlagen unseres persönlichen Lebenssystems aus den Angeln gehoben werden können. Die Auferstehungskraft treibt uns über unsere Grenzen hinaus, sie mutet uns Wagnisse, Erschütterungen und Konflikte zu. Die Versuchung ist groß, das so lange wie möglich von uns fern zu halten.
Mit dieser überwältigenden Kraft leben lernen
Aber wir sollen stattdessen lernen, im Einflussbereich dieser Kraft zu leben, mit ihr zu rechnen und uns nicht zu fürchten. Wir sollen uns nicht fürchten vor den Konflikten, die uns da erwarten können, aber auch nicht vor Gott, der uns da hineinschickt. Gott ist nicht harmlos, aber er ist gut. Seine Auferstehungskraft strömt auf vielen Wegen in die Welt, sie erweitert die Risse und Spalten, so dass sie immer mehr fließen kann. Im Verborgenen schafft sie sich befreite Zonen, wo sie Menschen durchdringt und prägt. Die Gemeinde ist dafür da, dass die Revolution des Lebens permanent weitergeht, zwischen uns und in uns. So erschließt Gott sich immer neue Bereiche der Wirklichkeit. Und wenn die Christinnen und Christen da lieber eine Kuschelecke draus machen wollen, dann versiegt der Fluss der Lebenskraft und sucht sich andere Wege.
Deswegen brauchen wir diese Erinnerung des Markusevangeliums, dass Ostern die Offenbarung der überwältigenden Lebensmacht Gottes ist, die selbst die Freunde Jesu im ersten Moment erschreckte und ängstigte. Und für alle, die nicht zu den Freunden Jesu gehören, kann diese Erfahrung immer noch erschreckend sein, so dass sie mit aller Kraft versuchen, den Gott des Lebens draußen zu halten. Sie sehen auch, wie fremd das ist, aber sie verstehen nicht, dass dieses Fremde gut ist.
Wenn Gott so wäre, wie wir ihn uns manchmal wünschen, dann könnte er uns nicht helfen. Wir brauchen diesen Moment der Fremdheit, diesen Schock, der unsere Fundamente erschüttert und das Gefüge unserer Welt aufreißt. Nur wenn sich vor uns dieser Riss öffnet, können wir das Licht sehen, das dadurch hineinkommt. Und so kommen wir ins Helle.
Dafür können wir den Schrecken doch wirklich in Kauf nehmen.
Danke für diesen eröffnenden Blick auf das Ostergeschehen und seine Auswirkungen damals und heute. Manche Formulierungen fassen in Worte, was ich vielleicht schon geahnt habe aber nicht weitersagen konnte.
Lieber Walter Färber bleib behütet und inspiriert. Herzliche Grüße Christian Walter
Bitte um Entschuldigung, dass ich den Kommentar erst heute gesehen und freigeschaltet habe. Und vielen Dank für die freundlichen Worte!