Mobbing stoppen – das Schweigen brechen
Predigt am 29. Oktober 2023 zu Psalm 101,1-8
EIN DAVIDSLIED. EIN PSALM.
Von Gnade und Recht will ich singen, *
dir, o HERR, will ich spielen.
2 Auf den rechten Weg will ich bedacht sein.*
Wann wirst du zu mir kommen?
Lauteren Herzens lebe ich in meinem Hause, *
3 richte mein Auge nicht auf Verderbliches.
Ich hasse unrechtes Tun,*
es soll nicht an mir haften.
4 Ein falsches Herz sei mir fern,*
vom Bösen will ich nichts wissen.
5 Wer seinen Nächsten heimlich verleumdet,*
den bring ich zum Schweigen.
Wer stolzen Auges ist und hochmütigen Herzens,*
den will ich nicht dulden.
6 Meine Augen ruhen auf den Treuen im Lande,*
sie sollen bei mir wohnen.
Wer auf dem rechten Weg geht,*
der darf mir dienen.
7 In meinem Haus wohne kein Betrüger, *
kein Lügner kann vor meinen Augen bestehen.
8 Morgen für Morgen
bring ich die Frevler des Landes zum Schweigen: *
in der Stadt des HERRN rotte ich alle aus, die Unrecht tun.
Wenn Sie hinten im Gesangbuch bei den Psalmen nachschlagen, werden Sie diesen Psalm nicht finden. Die Psalmen 100, 102, 103 und 104 sind da abgedruckt, Psalm 101 nicht. Wahrscheinlich wollte man der Gemeinde einen solchen Psalm nicht zumuten, der mit den Worten endet: »in der Stadt des HERRN rotte ich alle aus, die Unrecht tun.« Ich mute Ihnen aber heute diesen Psalm zu. Auch wenn er für zarte Ohren zunächst grauslich klingt. Aber wir sollten die Bibel nicht zensieren, sondern zu verstehen versuchen. In der Regel können wir dabei lernen.
Und eigentlich wünschen wir uns doch alle, dass da jemand ist, der dafür sorgt, dass Menschen gut miteinander leben und am Ende nicht die Bösewichte gewinnen. Beinahe jeder Krimi und jede Arztserie handelt davon, wie jemand es irgendwie schafft, ein Stück Welt in Ordnung zu bringen.
Macht gut einsetzen
Dieser Psalm ist möglicherweise gedacht als eine Art Regierungserklärung des Königs. Man stellt sich ja den König David als Verfasser vieler Psalmen vor. Also sagen wir mal: Dieser Psalm ist eine Art Leitfaden für jemanden, der Macht hat, Macht über einen mehr oder weniger großen Bereich des Lebens. Und das sind wir alle. Jeder von uns beeinflusst einen Teil der Welt. Manchmal besteht dieser Teil der Welt, den wir beeinflussen können, nur aus uns selbst, aber das ist selten. Wir unterschätzen unseren Einfluss. Wie wir denken und reden, das wirkt sich immer auch auf andere aus.
Wir beeinflussen Menschen in unserem Haushalt und in der Nachbarschaft, bei der Arbeit oder in der Schule. Was wir denken und wie wir reden, das strahlt aus. Aber es gibt natürlich auch Menschen, deren Einfluss noch viel weiter reicht. Die sind vielleicht verantwortlich für eine Firma, eine medizinische Praxis, eine Kirchengemeinde, eine Schule, einen ganzen Ort oder auch ein ganzes Land. Mit dem Klima, das sie verbreiten, beeinflussen sie viele andere. Aber egal, wie weit unser Einfluss reicht: wir sollen ihn bewusst ausüben. Keiner soll sagen: ich bin doch nur so ein kleines Licht, ich habe doch gar keine Macht und keinen Einfluss. Doch, du hast Macht, und du musst darüber nachdenken, wie du sie einsetzen willst.
Gnade und Recht
Hier im Psalm fängt es damit an, dass jemand von der Gnade und dem Recht Gottes singen will. Er freut sich darüber und er drückt das in einem Lied aus. Das Wort, das hier mit »Gnade« übersetzt wird, bedeutet aber viel mehr. Es meint die überfließende Freundlichkeit Gottes, seine Fülle, mit der er uns beschenkt, seinen Reichtum, seine Güte und Zuwendung, den Segensstrom, der von Gott her durch die Welt fließt und Leben ermöglicht. Es ist genug für alle da.
Und mit dem Wort »Recht« ist gemeint, dass Gott diese Fülle des Guten verteidigt gegen alle Versuche, den Segensstrom zu verschmutzen, ihn zu schmälern oder auf die eigenen Mühlen zu lenken. Und dieser Psalm fängt an mit der Freude an »Gnade und Recht«, also mit der Freude darüber, dass Gott uns beschenkt, und dass er seine Geschenke, alle Erweise seiner Freundlichkeit verteidigt und beschützt gegen Missbrauch. Und wenn einer Gnade und Recht Gottes mit einem Lied besingt, dann möchte er Gott nacheifern, bei sich selbst, in seinem Umfeld und in seinem ganzen Einflussbereich.
Intrigen und Verleumdungen
Und da fallen dem König besonders die Leute ein, die andere verleumden und falsche Sachen über sie erzählen. Anderen heimlich etwas anzuhängen, heimlich Gerüchte zu verbreiten, ohne dass die Betreffenden sich wehren können, das ist eine uralte menschliche Strategie. Wenn ich es schaffe, in einer Gruppe oder in einer Klasse oder in der Nachbarschaft die Meinung zu verbreiten, dass mit dem Klaus etwas nicht stimmt, dann isoliere ich den, er wird vielleicht gemobbt, man nimmt ihn nicht mehr ernst. Was er sagt, hat kein Gewicht mehr, oder es wird grundsätzlich missverstanden und zu seinen Ungunsten ausgelegt. Und ganz besonders erleben wir das heute natürlich im Internet, dass Menschen in ein schlechtes Licht gerückt werden. Und bevor sie sich wehren können, ist schon ein Shitstorm losgetreten, wo sie gar nicht mehr gehört werden.
Man nennt so etwas Intrige, wenn Menschen durch Gerede hinter ihrem Rücken schlecht gemacht werden. Und der König hier im Psalm sagt: an meinem Hof dulde ich das nicht! Ich kriege das mit, und ich bringe diese Leute zum Schweigen.
Da kann man natürlich nur sagen: hoffentlich schafft er es! Denn es ist gar nicht so einfach festzustellen, wer da aus dem Hinterhalt auf jemanden schießt. In der Regel sagen Leute, wenn sie wegen ihrer Lügen zur Rede gestellt werden: ich war das nicht, ich bin missverstanden worden, ich habe es ganz anders gemeint. Und es gibt ja meistens auch keine Tonaufnahme davon. Und wenn solche Menschen öffentlich reden, dann deuten sie nur an, was sie meinen und sagen es nicht klar. Es passiert selten, dass jemand klar und eindeutig dabei ertappt wird, wie er andere verleumdet.
Das Verborgene muss ans Licht!
Ich war mal auf einem Geburtstag zu Besuch, und die Jubilarin beklagte sich, dass sie den Gemeindebrief nicht bekommt. Zufälligerweise hatte ich ihr den aber kurz vorher selbst den in den Briefkasten gesteckt, weil die Verteilerin ausgefallen war. Das habe ich dann auch gesagt, und da wechselte sie schnell das Thema. Und ich war erstmal ganz verblüfft, dass manche Menschen so offensichtlich falsche Dinge erzählen, wenn sie glauben, das keiner das überprüfen kann. Leider gibt es das, und offenbar gar nicht so selten.
Was gegen dieses schlechte Gerede hilft, sind Menschen, die sich nicht in so ein Schweigekartell hineinziehen lassen. Gerüchte werden ja meist unter dem Siegel der Verschwiegenheit weitergegeben. Dieses Siegel muss gebrochen werden, das Geheime muss ans Licht kommen. Das funktioniert aber nur, wenn Menschen sich nicht auf so eine unausgesprochene Verschwiegenheitsverpflichtung festlegen lassen. Und man darf auch keine Scheu davor haben, Menschen mit dem zu konfrontieren, was sie heimlich reden.
Jesus konnte das. Es heißt ja von ihm: er kannte die Menschen. Jesus bekam mit, wenn seine Jünger hinter seinem Rücken Sachen besprachen, die er nicht mitbekommen sollte, und dann hat er sie darauf angesprochen: »Ihr habt euch also gestritten,wer der Größte und Wichtigste ist?« Da bekam er keine Antwort, weil sie wussten, dass er das nicht gut finden würde. Und dann hat er ihnen gesagt: Bei mir ist man groß, wenn man anderen dient.
Verstehen Sie: Die Dinge müssen ans Licht kommen, damit sie klargestellt werden können. Wir dürfen uns nicht dieses Siegel der Verschwiegenheit aufdrücken lassen. Wir müssen bereit sein zu petzen, wenn Menschen Unrecht geschieht. Wir haben in der Schule alle gelernt, dass man nicht petzen soll, aber das führt dann auch dazu, dass Menschen, die gemobbt werden, keine Hilde bekommen. Das kann zu einem Schweigekartell werden wie bei der Mafia. Aber solche müssen aufgedeckt werden! Das meint der Psalm damit, dass die Verleumder zum Schweigen gebracht werden: wenn sie sich davor fürchten müssen, dass jemand petzt, dann werden sie sich zweimal überlegen, was sie sagen.
Zonen der Wahrheit
Es hängt eben auch von den Zuhörern ab, ob es Raum gibt für Mobbing und Verleumdungen. Deswegen sagt der König im Psalm hier, dass er selbst nichts zu tun haben will mit Unrecht und Falschheit. Das ist nicht so gemeint, dass er sagt: da halte ich mich lieber raus, ich höre gar nicht hin, wenn mir solche Sachen erzählt werden, davon will ich gar nichts wissen!
Nein, er meint: Ich bin überhaupt nicht scharf darauf, wieder den neuesten Tratsch über XY zu hören. Ich habe dafür kein offenes Ohr. Aber wenn nötig nehme ich das Gerede als Anlass, um die Situation zu klären und zu heilen. Entweder gibt es wirklich ein Problem, und dann suche ich eine Lösung. Oder ich mache das heimliche Gerede öffentlich, damit es aufhört. Aber ich bringe die Situation in Ordnung. Und ich kann das nur, weil ich in Gottes Güte und Recht verankert bin. Das gibt mir die Unabhängigkeit, die ich brauche.
Wir können das nicht für die ganze Welt leisten, aber überall da, wohin unser Einflussbereich geht, egal, ob er groß ist oder klein. Und wir können den ausweiten. Der König hier sagt, dass er sich mit guten Leuten umgeben will, also wahrscheinlich Ratgebern. Wir müssen uns Freunde suchen, die uns helfen, in Gottes Güte und Recht immer tiefer verankert zu sein. Dann können wir den Zerstörern offensiv und klar entgegentreten. Das lernt man nicht an einem Tag, aber es ist hilfreich, wenn man dabei nicht allein ist. Alle, die den Segensstrom Gottes vergiften oder in ihre eigenen Teiche abzweigen wollen, haben es schwerer, wenn es Christen gibt, die das ans Licht bringen. Es reicht nicht, sich nur rauszuhalten. Menschen müssen auch wissen, dass Intrigen aufgedeckt werden können, und dann kann es für sie peinlich werden.
Mobbing muss riskant werden
Das ist damit gemeint, wenn es heißt, dass der König die Frevler des Landes zum Schweigen bringt. Er deckt solche Machenschaften auf. Von Jesus heißt es auch einmal, dass niemand mehr sich traute, ihm eine Falle zu stellen, weil er sie alle aufgedeckt hat und seine Feinde sich heftig blamiert haben. Wir können dazu beitragen, dass die Menschen um uns herum nicht gemein reden oder schmutzig über andere herziehen. Die merken es, wenn wir das nicht mögen. Und wenn sie sogar auf ihr Reden angesprochen werden, dann werden sie künftig in unserer Nähe vorsichtiger sein oder sich sogar ganz entfernen.
Der König hier im Psalm macht ja auch nicht gleich alle Übeltäter einen Kopf kürzer. Aber er regiert seine Hauptstadt so, dass sie lieber wegziehen und woanders ihr Unwesen treiben. Und es wäre ja auch schön, wenn Kirchengemeinden ein Umfeld wären, wo sich Zerstörer nicht wohl fühlen, weil ihr Treiben da ans Licht kommt.
Deshalb müssen wir verankert sein in der Fülle Gottes und in seinem Recht. Diese Welt ist so voll von Gottes guten Gaben. Und wenn man sieht, wie viel davon sinnlos zerstört wird, wieviel Leid es gibt durch Zerstörer und Verleumder, dann wünscht man sich sehr, dass Gott Recht schafft und den Gemobbten beisteht. Und meistens möchte er das auch durch uns tun. Dazu hat er ja seine Gemeinden ins Leben gerufen, damit es Zonen der Klarheit gibt, wo man sehen kann, wie schön das Leben sein kann, wenn eine Gemeinschaft entschlossen dem Übel entgegentritt. Im Volk Gottes soll es deshalb nicht diese geheimen Grauzonen geben, wo die Gemeinheit im Geheimen brüten kann. Und damit helfen wir auch der Klarheit in unserer ganzen Gesellschaft.
Deswegen ist es schade, dass dieser Psalm im Gesangbuch nicht auftaucht. Er soll uns doch ermutigen, damit wir in unserem Verantwortungsbereich all die entmutigen, die anderen eine Grube graben. Und dazu helfe uns Gott!