Welcher Geist bewegt euch?
Predigt am 5. Juni 2022 (Pfingsten I) zu 1. Korinther 2,12-16
12 Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, damit wir wissen, was uns von Gott geschenkt ist. 13 Und davon reden wir auch nicht mit Worten, welche menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen. 14 Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was vom Geist Gottes ist; es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden. 15 Der geistliche Mensch aber beurteilt alles und wird doch selber von niemandem beurteilt. 16 Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen«? (Jesaja 40,13) Wir aber haben Christi Sinn.
Wahrscheinlich kennen wir alle den Satz: »Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr.« In diesem Satz spiegelt sich, was für einen Eiertanz wir aufführen, wenn es darum geht, einen positiven Eindruck von uns zu vermitteln. Einerseits darf man nicht zu dick auftragen, wenn man sich selbst ins rechte Licht rücken will, andererseits wird man schnell übersehen, wenn man nicht irgendwie auf sich selbst aufmerksam macht. Und Menschen sind da unterschiedlich gut drin, sich selbst so zu vermarkten, dass es niemandem auffällt, wie sehr sie auffallen möchten.
Aber »wir haben den Sinn Christi«
Paulus hat noch nicht dieses verklemmte Verhältnis zum eigenen Selbstbewusstsein. Er kann völlig unbescheiden sagen: wir haben den Geist aus Gott empfangen. Wir haben den Sinn Christi, wir denken in der Art, wie Jesus gedacht hat. Für die anderen bleibt Gott ein ewiges Rätsel, sie tappen im Dunkeln und verstehen nichts, aber wir wissen, wie Gott denkt. Paulus redet da völlig unbescheiden. Er zitiert den Propheten Jesaja, Kapitel 40, wo Jesaja einen riesigen Unterschied aufmacht zwischen Gott und all den Reichen der Menschen mit ihrem kleinen Durchblick und ihrer kurzen Dauer. »Wer kann denn Gottes Pläne verstehen?« fragt Jesaja und macht sich lustig über alle, die versuchen, mit Gottes Größe zu konkurrieren. Ihr ganzen Könige und Priester und Künstler, die ihr glaubt, etwas von Gott verstanden zu haben – ihr habt keine Ahnung! Ihr seid hoffnungslose Amateure, ihr glaubt, die Welt zu bewegen, aber eure Reiche vergehen und mit eurem angeblichen Durchblick bemäntelt ihr nur eure Ratlosigkeit.
Und Paulus sagt: genau so ist es, Jesaja hat Recht. All die Machthaber, die glauben, dass sie die Welt bewegen, wissen nicht, wie die Welt wirklich funktioniert, sie sind blind und ihren eigenen Illusionen ausgeliefert. Aber dann schiebt er ein kleines Sätzchen hinterher, fünf Worte nur: Aber wir haben Christi Sinn. Wir denken wie Jesus. Wir kennen Gottes Geheimnis. Wir sind nicht ratlos. Wir tappen nicht im Dunkeln. Gott hat uns sein Geheimnis anvertraut. Wir wissen, wovon wir reden.
Fünf Worte: »Wir haben den Sinn Christi«. Ein Mann, der wirklich Gott hinter sich weiß, muss kein großes Trara um seine Person machen. Eine Frau, die mit ruhiger Gewissheit um ihre Rolle in Gottes großer Geschichte weiß, muss nicht dauernd um Aufmerksamkeit kämpfen. Eine Kirche, die sich ihres Herrn und ihres Auftrags sicher ist, muss sich nicht mit Kampagnen und Marketing nach vorn drängeln. Wer wirklich die Welt aus Gottes Perspektive sehen kann wie Paulus, wer in den Spuren denkt, die Jesus mit seinen Gedanken gelegt hat, der muss nicht pausenlos proklamieren, dass er der Durchblicker ist. Fünf Worte, einfach mal so locker aus dem Ärmel gestreut, reichen.
Gurufieber in Korinth
Aber Paulus muss das tatsächlich mal sagen, weil in der Gemeinde von Korinth, die er selbst gegründet hat, nach seiner Abreise das Gurufieber ausgebrochen ist. Da dreht sich alles um geistliche Persönlichkeiten, um wunderbare und tiefsinnige Menschen, um vollmächtige Männer Gottes, die mit ihrer Power beeindrucken und Anhänger hinter sich versammeln. Aber Paulus konfrontiert diesen ganzen Zirkus mit der Realität und fragt: Was ist die Frucht all der wunderbaren Menschen? Zank und Streit. Da regiert der Neid. Da gönnt einer dem anderen nicht seinen Ruhm und Einfluss. Und alles deswegen, weil sie genauso blind sind wie die Herren dieser Welt, von denen schon Jesaja die Nase voll hatte.
Und dann ist da Paulus, der wirklich was geschafft hat, der die Gemeinde erst ins Leben gerufen hat, ohne den diese ganzen Gurus gar kein Publikum hätten, aber der macht überhaupt keinen Wirbel um sich selbst. Aber er sagt: bitte vergesst nicht zu unterscheiden, was für einen Geist wir empfangen haben. Haben wir den Geist empfangen, in dem die Herren und Meister dieser Welt agieren? Oder bewegt uns der Geist Christi? Nicht alles, was laut, schrill und großartig ist, ist auch von Gott. Aber genauso wenig ist etwas von Gott, nur weil es klein, unfähig, unsicher und ahnungslos ist.
Vertraut mit dem Heiligen Geist
Paulus war mit dem Geist Gottes so vertraut, dass er ganz mühelos unterscheiden konnte, ob etwas Gottes Heiliger Geist ist oder der Geist der Welt, wie er es nennt, der Geist des Kosmos, der Geist des Herrschaftssystems, wo Menschen auf tausend Wegen versuchen, andere zu kontrollieren und zu beherrschen. Und wem weder Reichtum noch Kanonen noch gute Anwälte zur Verfügung stehen, der versucht es eben mit der Wirkung seiner Persönlichkeit wie die Gurus in Korinth.
Aber eigentlich müsste eine christliche Gemeinde dagegen immun sein. Eigentlich müssten Christen solche Blender sofort durchschauen. Eigentlich hätten die Korinther ihren Gurus gleich sagen müssen: komm, beruhige dich, setz dich in die dritte Reihe und hör erstmal zu, du hast noch viel zu lernen. Aber die Korinther hatten nicht die ruhige Sicherheit des Paulus, sie konnten oder wollten den Geist Christi und den Geist der Welt nicht unterscheiden, und deshalb sind sie reihenweise auf diese lauten, großartigen, vollmächtigen Männer Gottes reingefallen.
Aber Paulus erinnert sie an das, was eigentlich für sie gelten müsste: Wir haben den Geist Christi! Wir brauchen keine Menschen, die sich selbst aufblähen, weil sie eigentlich ganz klein sind. Wir brauchen keine Wichtigtuer, die keine Ahnung haben, was wirklich wichtig ist. Wir haben die Denkweise Jesu gelernt, seine Art, die Welt zu sehen, und damit sind wir für diesen ganzen Glauben an menschliche Power und menschliche Herrlichkeit gestorben. Wir sehen doch, wie hohl das alles ist. Wir können das doch einschätzen. Wir wissen doch mit Jesaja, dass Gott die Blender und Klugscheißer und Fachleute und Gurus einfach auslacht. Und das sollten wir ihm nachmachen.
Urteilen lernen!
Paulus versucht hier alles, damit seine Korinther lernen, den Heiligen Geist, den Geist Gottes, zu unterscheiden vom Geist der Welt, vom Geist all der kleinen und großen Herrschaften, die sich in der Welt, aber leider auch in der Kirche, breit machen. Zwischen diesen beiden Geistern gibt es keine friedliche Koexistenz, sondern nur ein Entweder-oder. Entweder du akzeptierst, dass in der Welt nun mal das Gesetz der Welt gilt und beugst dich ihm und begrenzt deinen Glauben auf Familie und Gottesdienst. Oder du verstehst, dass sich in der Welt zwei ganz verschiedene Sichtweisen gegenüberstehen: einerseits der Geist des Kosmos, der Geist all der Reiche und Herrschaften und Einflusszonen, die Menschen mit List und Tücke und Gewalt aufrichten. Und andererseits der Geist Gottes, der seine Welt zurückholt aus den Händen all der großen und kleinen menschlichen Gurus und Herrscher, damit wir frei und aufrecht leben können als königliche Menschen in einer großen Gemeinschaft mit allen Geschöpfen Gottes. Und wenn du weißt, dass du von diesem Geist der Freiheit beflügelt bist, den Gott in die Welt sendet, der auf Jesus Christus geruht hat und den Jesus mit uns teilt, wenn du diesen Geist kennst und auf ihn hörst, dann gehst du durch alles durch und lässt dich von nichts und niemandem einschüchtern.
Dieser Geist der Freiheit, der Geist Christi, der hat sich im Lauf der Geschichte auf ganz unterschiedliche Weise gezeigt. Er leitete Jesus auf seinem Weg mit den Menschen und ließ ihn immer das richtige Wort finden. Er sorgte beim ersten Pfingstfest dafür, dass Menschen aus aller Welt die Verkündigung der Apostel in ihrer eigenen Muttersprache hören konnten. Er sorgte immer wieder dafür, dass Christen im entscheidenden Moment die richtigen Worte zur Verfügung standen. Er ließ Menschen Zeichen und Wunder tun. Er ließ Christen »in Zungen reden«, also in einer Gebetssprache, die die Regeln von Grammatik und Wörterbuch hinter sich lässt und das Leiden der ganzen Kreatur zum Ausdruck bringt. Er hat in der Neuzeit ehemalige schwarze Sklaven und arme Weiße in Gemeinden zusammengeführt, die alle Kultur- und Klassenschranken überwinden konnten, weil sie von diesem Geist bewegt waren.
Der alternative Geist
Der Geist zeigt sich in so vielen verschiedenen Gestalten, er ist enorm wandlungsfähig, und ich habe mich lange gefragt, was es denn eigentlich ist, was all diese Manifestationen des Heiligen Geistes verbindet. Und hier bei Paulus finde ich mindestens einen Teil der Lösung: er ist der Geist, der sich den Gesetzen entzieht, die die Herren dieser Welt aufrichten und in unsere Köpfe pumpen. Er ist der Geist, den Gott uns schickt, damit wir auf seine Kraft vertrauen. Der Geist der uns die Kraft erschließt, die Jesus von den Toten auferweckt hat und die uns zu Fremden macht in einer Welt voller Kreuze und Zerstörung.
Dieser Geist überwindet die Trennungen von Nationen, Sprachen und Kulturen, er befreit Menschen aus den Dominanzwünschen, die die Herren dieser Welt in uns heineinpflanzen, er befreit sogar aus unbewussten unterdrückerischen Sprachkonventionen, er macht aufmerksam auf das Leiden der ganzen Schöpfung und schenkt Menschen im richtigen Augenblick das befreiende Wort. Er kommt in vielen Formen zu uns. Aber er passt nicht zu den Selbstverständlichkeiten, die sonst in der Welt herrschen.
Man kann diesen Geist nicht empfangen, wenn man in der Logik der Welt drinsteckt, in der Logik menschlicher Machtkalkulationen und ihrer alternativlosen Sachzwänge und Eigengesetzlichkeiten. Man lebt nicht in diesem Geist, wenn man immer noch im Gerangel um die vordersten Plätze mit dabei ist. Er ist der Geist der großen Alternative, und wer nur in den kleinen Alternativen dieser Welt denkt, ist blind für ihn.
Wirkliche Größe
Der Heilige Geist gibt die Freiheit, all das mit den Augen Jesu zu sehen, dissident zu denken, sich nicht einfangen zu lassen, weder von den gottlosen Mächten, die in dieser Welt herrschen, noch von Querdenkern, die einen gottlosen Aufstand dagegen vortäuschen. Der Heilige Geist lässt uns auf Gottes Möglichkeiten schauen und vertrauen, und das macht so frei und unabhängig, dass man es nicht nötig hat, mit sich selbst groß zu tun.