Der Kreislauf der Freude
Predigt am 24. Dezember 2002 (Christnacht) mit Johannes 1,1-14 und einer Weihnachtsgeschichte von Pearl S. Buck
Vor der Predigt wurde die Geschichte „An jenem Morgen“ von Pearl S. Buck vorgelesen; auf die Geschichte wird in der Predigt Bezug genommen.
1 Am Anfang war das Wort. Das Wort war bei Gott, und in allem war es Gott gleich. 2 Von Anfang an war es bei Gott. 3 Alles wurde durch das Wort geschaffen; und ohne das Wort ist nichts entstanden. 4 In ihm war das Leben, und dieses Leben war das Licht für die Menschen. 5 Das Licht strahlt in der Dunkelheit, aber die Dunkelheit hat sich ihm verschlossen.
6 Es trat einer auf, den Gott gesandt hatte; er hieß Johannes. 7 Er sollte Zeuge sein für das Licht und alle darauf hinweisen, damit sie es erkennen und annehmen. 8 Er selbst war nicht das Licht; er sollte nur auf das Licht hinweisen.
9 Das wahre Licht, das in die Welt gekommen ist und nun allen Menschen leuchtet, ist Er, der das Wort ist. 10 Er, das Wort, war schon immer in der Welt, die Welt ist durch ihn geschaffen worden, und doch erkannte sie ihn nicht. 11 Er kam in seine eigene Schöpfung, doch seine Geschöpfe, die Menschen, wiesen ihn ab. 12 Aber allen, die ihn aufnahmen und ihm Glauben schenkten, verlieh er das Recht, Kinder Gottes zu werden. 13 Das werden sie nicht durch natürliche Geburt oder menschliches Wollen und Machen, sondern weil Gott ihnen ein neues Leben gibt.
14 Er, das Wort, wurde ein Mensch, ein wirklicher Mensch von Fleisch und Blut. Er lebte unter uns, und wir sahen seine Macht und Hoheit, die göttliche Hoheit, die ihm der Vater gegeben hat, ihm, seinem einzigen Sohn. Gottes ganze Güte und Treue ist uns in ihm begegnet.
So wie der Junge in der Geschichte eben es gar nicht erwarten kann, dass sein Vater endlich merkt, was er getan hat, um ihm eine Freude zu machen, und die Arbeit macht ihm keine Mühe, weil sie ein Geschenk ist – so wartet Gott darauf, dass wir merken, was für ein Geschenk er uns mit Jesus gemacht hat. Wann werden sie es merken? fragt er sich. Wann werden sie darauf kommen, was ich für sie getan habe?
Weihnachten ist das Fest der Freude Gottes am Schenken. »Ich nehme ihnen die Mühe ab, immer wieder zu versuchen, ein Leben zu leben, in dem sie gesegnet und mit mir verbunden sind, eine Aufgabe, an der sie immer wieder scheitern. Ich mache das für sie. Ich sende ihnen meinen Sohn, damit es ein glückliches und gutes Leben auf der Erde gibt und sie da nur noch mitmachen müssen.«
Und diese Freude Gottes reicht noch viel weiter zurück, bis in die Zeit vor der Erschaffung der Welt. Gott hat die Welt ja nicht ins Leben gerufen, weil er sich langweilte oder weil er ein Spielzeug brauchte. Gott suchte jemanden, mit dem er seine Freude teilen konnte.
Unsere Geschichte beginnt im Herzen Gottes, da, wo der Vater und der Sohn und der Heilige Geist in einer vollkommenen, inspirierenden Beziehung leben. Die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes, der Trinität, ist oft zu einem absurden theologischen Rechenexempel gemacht worden. In Wirklichkeit geht es da um eine großartige, abenteuerliche Verbundenheit. Denken Sie an die besten und größten Momente in einer Liebe oder einer Freundschaft; denken Sie an ein Gespräch, in dem die Herzen aufgehen und wir uns auf einer ganz tiefen Ebene begegnen und uns freuen an der Schönheit und Größe eines Gefährten; denken Sie an die Dankbarkeit, die Sie empfinden, wenn Ihnen in einem schwierigen Moment jemand beisteht und hilft und Sie versteht, ganz ohne es zu müssen. Denken Sie an die goldenen, unvergesslichen Momente, die das Leben wirklich lebenswert machen – und Sie haben ungefähr die Richtung und können ein klein wenig ahnen von dem Reichtum, der in Gott selbst ist.
Denken Sie an die Geschichte vorhin, als der Sohn zufällig hört, wie sehr es den Vater schmerzt, ihn so früh morgens zum Melken wecken zu müssen, und wie er in diesem Moment merkt, wie sehr er seinen Vater liebt. Und wie das in ihm den Wunsch wachruft, ihm ein ganz einmaliges Geschenk zu machen; wie er sich auf den Augenblick freut, wenn sein Vater den fertigen Stall entdeckt; und wie der Vater versteht, dass seine Liebe zu seinem Sohn tatsächlich erwidert wird und wie er nun seinerseits Worte sagt, die sein Sohn ein Leben lang nicht vergisst. Und wie das alles zusammen für ihn ein für allemal mit dem Weihnachtsfest verbunden bleibt.
Diese Geschichte von Liebe, Freude und Gelingen lässt uns etwas ahnen von dem Reichtum, der in Gott selbst ist, von der Freude, die innerhalb der Dreieinigkeit Gottes herrscht.
Jede wirkliche Freude aber erzeugt eine großzügige Offenheit. Stellen Sie sich vor, Sie erleben etwas Überwältigendes, was Ihnen beinahe die Sprache raubt: Sie stehen vor einem herrlichen Sonnenuntergang, vor einem gewaltigen Wasserfall, vor einem atemberaubenden Gebirgspanorama oder einem wilden Tier in seiner Großartigkeit, und Sie denken: wenn doch nur der Mensch, den ich liebe jetzt hier wäre! Wenn der das miterleben könnte! Gleich nachher muss ich ihn anrufen oder ihm schreiben. Und wenn das nicht mehr geht, weil dieser Mensch nicht mehr am Leben ist, dann trübt das auch die schönste Freude.
Die besten Erlebnisse wollen mit anderen geteilt werden. Und so erschafft Gott uns, damit wir Anteil haben können an der Liebe, mit der er selbst lebt. Lange, bevor es uns gab, war da schon der Strom der Freude zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist, aber dort sind wir entstanden, daher stammen wir, das ist unsere Heimat.
Deswegen greift die Einleitung zum Johannesevangelium so weit zurück, bis vor die Schöpfung, und erinnert daran, wie Vater und Sohn von Anfang an zusammen waren und in großer Eintracht die Schöpfung ins Leben riefen. Johannes hat ja eine mehr abstrakte Art, der erzählt nichts von einer Krippe und Hirten und Engeln, sondern der zieht die großen Linien nach, und deswegen reicht seine Weihnachtsgeschichte am Anfang seines Evangeliums soweit zurück. Das erst ist die ganze Geschichte.
Gott sendet Jesus, um uns an unseren Ursprung zu erinnern und uns zurückzuholen. Denn wir haben nie ganz vergessen können, woher wir stammen. Wir täuschen uns und wir versuchen, auch mit weniger zufrieden zu sein; aber wir kommen nicht los von unserem Ursprung, und wir kommen nicht zur Ruhe, bis wir zurückgefunden haben.
Und als wir uns ganz verlaufen hatten, als wir uns so in den Wäldern verirrt hatten, dass wir nie wieder den Weg nach Hause gefunden hätten, da kam Gott und wurde Mensch und ging uns nach, um uns zurückzuholen. Und es war ein harter Weg, das zeigen die Krippe und der Stall am Anfang und das Kreuz am Ende. Wir müssen nicht auf die Geburt Jesu warten, um etwas über Gottes Motive zu erfahren. Wenn wir von der Erschaffung der Menschenlesen, dann ist es schon so, als ob uns jemand in ein Zimmer führt, in dem lauter Geschenke liegen, uns einmal herumdreht und sagt: schau, das ist alles für dich. Aber jetzt, nach der Menschwerdung Jesu, kann es keinen Zweifel mehr daran geben, wie sehr wir Gott am Herzen liegen.
Jesus ist die Einladung, dabeizusein und Anteil zu bekommen an der Freude, die im Mittelpunkt Gottes wohnt. Sie ist ein lebendiges Licht, das auch an dunklen Orten scheint Gott hat Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, damit wir dieses Licht sehen und seiner Einladung folgen.