Der Tag der Freude
Predigt am 10. November 2002 zu 1. Thessalonicher 5,1-9
1 Über die Frage, wann das geschehen wird, Brüder und Schwestern, zu welchem näheren Zeitpunkt es eintreten wird, brauchen wir euch nichts zu schreiben. 2 Ihr wisst selbst ganz genau, dass der Herr so unvorhergesehen kommt wie ein Dieb in der Nacht. 3 Wenn die Menschen sagen werden: »Alles ist ruhig und sicher«, wird plötzlich Gottes vernichtendes Strafgericht über sie hereinbrechen, so wie die Wehen über eine schwangere Frau. Da gibt es kein Entrinnen.
4 Ihr aber lebt ja nicht in der Dunkelheit, Brüder und Schwestern, so dass euch der Tag des Herrn wie ein Dieb überraschen könnte. 5 Ihr alle seid vielmehr Menschen, die dem Licht und dem Tag gehören. Und weil wir nicht mehr der Nacht und der Dunkelheit gehören, 6 wollen wir auch nicht schlafen wie die anderen, sondern wach und nüchtern sein.
7 Wer schläft, tut es in der Nacht, und wer sich betrinkt, tut es in der Nacht. 8 Wir aber gehören dem Tag und wollen deshalb nüchtern sein. Wir wollen Glauben und Liebe als Panzer anlegen und die Hoffnung auf Rettung als Helm. 9 Denn Gott hat uns nicht dazu bestimmt, dass wir seinem Gericht verfallen, sondern dass wir durch Jesus Christus, unseren Herrn, gerettet werden.
Welche Rolle spielt eigentlich der genaue Tag, an dem das Ende der Welt kommt, für Christen? Zu dieser Frage schreibt Paulus der Gemeinde in Thessalonich. Und die Antwort ist: das Datum spielt eigentlich gar keine besondere Rolle. Deshalb muss man es auch nicht wissen. Noch schärfer gesagt: jedes Datum, das sich einer ausrechnet, wird sowieso falsch sein. Denn Jesus wird so unerwartet kommen wie ein Einbrecher. Der ruft auch nicht vorher an und sagt: ich komme dann und dann, bitte bereiten Sie schon mal alles vor!
Obwohl Paulus hier nur weitergibt, was schon Jesus gesagt hat, gab es doch immer wieder Leute, die versucht haben, sich irgendwie ein Datum auszurechnen oder es irgendwie vorher zu wissen. Die einen haben versucht, sich sogar den genauen Tag auszurechnen, die anderen versuchen es mindestens mit vagen Hinweisen. Die Zeugen Jehovas z.B. haben ursprünglich mal das Weltende für 1914 prophezeit. Das kam dann nicht, und sie haben es dann uminterpretiert. Ich habe ein Buch von ihnen aus den 80er Jahren, da steht drin, dass es um die »Generation von 1914« geht. Das Weltende sollte kommen, bevor die »Generation von 1914« gestorben sein sollte. Damals waren alle, die 1914 gelebt hatten, mindestens 70 Jahre alt. Das ist nicht ungeschickt, weil es einerseits den Eindruck erweckt, es könne eigentlich nicht mehr lange dauern, andererseits kann man diese vage Formulierung noch 40 Jahre lang festhalten, weil es ja immer wieder mal Menschen gibt, die 110 Jahre alt werden.
Heute, 20 Jahre später, gibt es zwar noch Menschen, die schon 1914 gelebt haben, aber viele sind es nicht mehr, und auch die jüngsten müssten immerhin schon 88 Jahre alt sein. Die Frage ist: wie lange kann man jetzt noch davon sprechen, dass die »Generation von 1914« am Leben ist? Deswegen hörte ich neulich, dass die Zeugen Jehovas inzwischen gar keine Termine mehr nennen.
Nun mal ganz unabhängig von den vielen geplatzten Terminen für das Weltende und der Unsicherheit solcher Berechnungen muss man aber auch überlegen, welcher Sinn eigentlich dahinter steckt, wenn Paulus und Jesus uns sagen: denkt nicht darüber nach, wann das Ende der Welt kommt! Was wäre eigentlich, wenn wir wirklich genau wüssten: im Jahre 2010 ist die Welt zu Ende, dann kommt Jesus wieder und richtet die Menschen?
Das Ergebnis wäre, dass ein Haufen Leute sich vornehmen würde, im Jahre 2009 eine echte Umkehr zu Jesus zu machen und bis dahin noch mal ordentlich auf den Putz zu hauen. Wenn man genau weiß, wie lange der Chef noch auf Urlaub ist, dann weiß man auch genau, wie lange man es etwas ruhiger angehen lassen kann.
Dagegen gibt es das andere Modell, das sich z.B. bei dieser Konstruktion mit der »Generation von 1914« findet. Dieses Modell kombiniert die Ankündigung »Lange kann es nicht mehr dauern« mit einer gewissen Unsicherheit: »Aber das genaue Datum weiß man nicht«. Das findet sich auch in abgeschwächter Form, wenn Menschen denken: Klar, den Tag, an dem Jesus wiederkommt, den kennen wir nicht genau, aber nach 2000 Jahren kann es jetzt eigentlich nicht mehr lange dauern.
Auf den Urlaub machenden Chef übertragen würde das bedeuten: Er hat zwar nicht gesagt, wann er wiederkommt, aber ewig kann man auch auf Mallorca nicht bleiben.
Aber auch dieses Modell passt nicht zu dem, was Paulus versucht, den Thessalonichern klarzumachen.
Denn dieses ganze Modell vom Chef, dessen überraschenden Besuch man mehr oder weniger fürchten muss, geht von einer falschen Grundannahme aus. Es geht davon aus, dass zwischen Gott und uns kein Vertrauensverhältnis herrscht und er es deshalb darauf anlegt, uns unerwartet zu überraschen. So wie man hin und wieder eine unvermutete Kassenprüfung macht, um mit dieser Drohung einen Kassierer dazu zu bewegen, immer ehrlich zu sein.
Deswegen steht im Mittelpunkt der Argumentation von Paulus ein großes »Aber«: Ihr aber lebt ja nicht in der Dunkelheit, Brüder und Schwestern, so dass euch der Tag des Herrn wie ein Dieb überraschen könnte. Für die anderen gilt, dass sie völlig überrascht sein werden, wenn Jesus wiederkommt und die Welt richten wird. Für sie wird es eine böse Überraschung sein. Aber bei euch ist das anders! sagt Paulus ausdrücklich. Ihr lebt nicht in der Nacht, wo man die Einbrecher fürchten müsste!
Paulus zitiert ganz ausführlich noch einmal das, was damals alle Christen über die Wiederkunft Christi wussten. So wie Jesus es schon gesagt hatte: Gerade wenn die Leute sich in Sicherheit wiegen, wenn sie sich gemütlich eingerichtet haben und keiner damit rechnet, dass ihm etwas passieren wird, genau dann wird der Tag des Herrn hereinbrechen und keiner wird noch weglaufen können. So wie eine Schwangere nicht vor der Geburt weglaufen kann, wenn es soweit ist.
Gott ist der große Störenfried, der die Welt nicht in Ruhe lässte, er ist der Feind, der überraschend angreift, wenn die Menschen es am wenigsten erwarten. Er ist der Chef, der unerwartet zurückkommt und den Sauhaufen ausmistet, den er da vorfindet.
Und nachdem Paulus das alles noch einmal bestätigt hat, setzt er das große Aber: ja, das stimmt alles, aber es stimmt nicht für euch. Was Jesus da sagt, ist völlig richtig, aber euch hat er nicht gemeint. Ihr seid doch nicht Menschen, die Angst haben müssten vor dem Tag, wenn er kommt. Ihr seid doch jetzt schon von diesem Tag erfüllt und motiviert, ihr lebt jetzt schon mit dem Herrn, der dann vor aller Augen wiederkommen wird, ihr liebt ihn und könnt euch gar nichts Schöneres vorstellen, als ihm zu begegnen.
Vielleicht brauchen Gruppen wie die Zeugen Jehovas diese Drohung mit dem Tag des Gerichts, um ihre Leute bei der Stange zu halten, aber ihr doch nicht! Noch nicht mal ein bisschen! Ihr, sagt Paulus, seid Kinder des jüngsten Tages, euch kann dieser Tag doch nicht schrecken! Das ist doch der Tag auf den ihr schon so lange wartet, und zwar nicht wie Leute, die beim Arzt im Wartezimmer sitzen und mit mulmigem Gefühl überlegen, was der wohl auf dem Behandlungsstuhl mit ihnen machen wird. Sondern wir warten wie jemand, der die Wohnung aufräumt und schmückt, weil sein Partner, den er liebt, bald von einer langen und gefährlichen Reise zurückkehren wird und er ihn endlich nicht mehr nur über Satellitentelefon sprechen wird, sondern von Angesicht zu Angesicht.
Endlich wird all das Unklare und Missverständliche vorbei sein, und alle Fragen und Rätsel, die es in dieser Zeit der Trennung gegeben hat, werden sich klären. Endlich können wir mit dem zusammensein, der immer schon das höchste Glück unseres Lebens war und dessen Herz auch danach verlangt, mit uns zusammen zu leben. Was wird das für ein Tag sein, wenn wir ihn sehen, wenn wir vor ihm stehen, wenn alle Tränen abgewischt werden und wenn wir im Rückblick sehen, wie in allem, was uns zugestoßen ist, er zu unserem Besten am Werk war und wie seine gute Hand es alles richtig gemacht hat.
Und das gilt nicht nur für die Generation, die das bei Lebzeiten erleben wird. Egal, ob wir vorher sterben oder nicht, niemand wird dem andern irgendetwas voraus haben. Wer vorher stirbt, der wird in den Tag Jesu hinein erwachen, und wieviel Zeit bis dahin in der Welt vergangen ist, das spielt keine Rolle. Deshalb müssen wir den Tag des Todes genausowenig fürchten wie den Tag des Weltendes. Die beiden Tage fallen in eins, so wie sie ja auch beide unserer Verfügung entzogen sind. Wenn unser Leben zu Ende ist, dann fängt die Klarheit an, und wir werden Gott sehen, wie er ist, und alle Rätsel werden sich auflösen.
Nachdem Paulus das so klargemacht hat, fügt er an: und nun Leute, seht zu, dass diese Wirklichkeit auch euer Leben ausfüllt. Ihr seid Kinder des Tages – also verpennt euer Leben nicht. Lebt jetzt schon mit der Freude und Klarheit, die einmal die ganze Ewigkeit erfüllen wird. Ihr schaut aus auf eine Ewigkeit in der Gesellschaft Gottes – und da seid ihr hier auf Erden schon zufrieden mit der Ziehung der Lottozahlen? Das kann doch wohl im Ernst nicht sein!
Das bedeutet: ringt euch dazu durch, diese Massstäbe der Ewigkeit, die ihr habt, auch anzulegen und euch jetzt schon daran zu gewöhnen. Fangt schon an, dass Leben zu üben, dass ihr dann führen werdet. So machen wir es doch auch sonst. Wenn einer weiß, dass er demnächst einen wichtigen Posten übernehmen wird, dann fängt er schon mal an, sich darauf einzustellen. Er fängt an, seine Worte abzuwägen und läuft seriös gekleidet rum. Wo er vorher ein klares Urteil gefällt hat, da sieht er jetzt beide Seiten. Er stellt sich auf seine kommende Position ein, obwohl er sie noch nicht hat. Und so stellen wir uns auf die Ewigkeit ein, obwohl sie noch ein paar Jahre auf sich warten lässt.
Wir tun das mitten unter Menschen, die tatsächlich ihr Leben verpennen oder besinnungslos dahinleben, ohne innezuhalten und sich zu fragen: wohin will ich eigentlich? Nur zur Klarstellung: natürlich kann man sein Leben auch mit höchster Aktivität verpennen. Aber wer so lebt, für den wird Gott tatsächlich ein Feind und eine ungeliebte Störung des Lebens. Und wir leben in einer Welt, die die Leidenschaft Gottes für das Leben und für die Schönheit deshalb oft nicht mehr ausreichend wiederspiegelt. Wir erleben die Welt oft zwiespältig, und Gottes Feind versucht, uns eine andere geschichte ins Herz zu pflanzen als die Geschichte von unserer Rettung.
Deshalb schreibt Paulus von den Abwehrwaffen, die wir brauchen, von dem Schutzpanzer, der uns helfen soll, unser Herz heil durch diese Zeit zu bringen. Aber während sonst die Menschen sich panzern mit Gefühllosigkeit und Kälte, redet Paulus vom Panzer des Glauben und der Liebe und vom Helm der Hoffnung. Vertrauen zu Gott und Liebe zu ihm und den Menschen schützen dein Herz. Und die Hoffnung schützt den Verstand.
Ohne Glauben und Liebe wird das Herz schnell verletzt, dann stellen sich Selbstmitleid und Kränkung ein. Ohne Hoffnung begründet unser Verstand schnell, warum alles so sein muss wie es ist und warum man daran auch nichts ändern sollte. Und er wird zynisch. Ganze Denkschulen gibt es, die sich als illusionslos sehen und in Wirklichkeit nur hoffnungslos sind.
Aber diese Abwehrwaffen, die Gott uns gibt: wenn wir sie anlegen und uns üben, sie zu gebrauchen – sie werden uns helfen, als Menschen des Tages auf Jesus zu warten und ihn mit freudigem Herzen willkommen zu heißen.