Der Tag X – nichts wird mehr so sein wie vorher
Predigt im Besonderen Gottesdienst am 27. Januar 2002 zu Markus 8,27-30
Im Gottesdienst waren vorher mehrere kurze Szenen aus der Geschichte des Jüngers Petrus (Lukas 5,1-11; Markus 8,27-30) zu sehen gewesen.
27 Jesus zog mit seinen Jüngern weiter in die Dörfer bei Cäsarea Philippi. Unterwegs fragte er sie: »Für wen halten mich eigentlich die Leute?« 28 Die Jünger gaben zur Antwort: »Einige halten dich für den wiederauferstandenen Täufer Johannes, andere halten dich für den wiedergekommenen Elija, und noch andere meinen, du seist einer von den alten Propheten.«
29 »Und ihr«, wollte Jesus wissen, »für wen haltet ihr mich?« Da sagte Petrus: »Du bist Christus, der versprochene Retter!« 30 Aber Jesus schärfte ihnen ein, mit niemand darüber zu reden.
Entscheidungen sind strategische Augenblicke, in denen die Weichen gestellt werden für eine längere Zeit. Das sind manchmal dramatische Augenblicke, wo etwas zum Durchbruch kommt, was sich bis dahin mehr oder weniger offensichtlich vorbereitet hat. Gute Entscheidungen verlaufen meistens nicht nach dem Muster: soll ich jetzt nach rechts gehen oder nach links? Soll ich Anna heiraten oder Berta? Was mache ich nur? Und man kann dann nur losen oder an den Knöpfen abzählen. Nein: eigentlich sollten Entscheidungen so fallen, wie man einen reifen Apfel pflückt: es ist alles bereit, und es geht nur noch um den letzten Griff. Das ist nicht mühelos, aber man reißt auch keine grüne Frucht ab.
Manchmal ist allerdings selbst das Knöpfeabzählen immer noch besser als gar keine Entscheidung. Aber eigentlich sollten Entscheidungen nicht willkürlich fallen, sondern gute Entscheidungen sprechen etwas aus, was sich schon eine ganze Zeit lang vorbereitet hat. Aber wenn es dann ausgesprochen und festgemacht wird, dann kommt es zum vollen Durchbruch und gilt und kann Kraft entfalten.
Petrus z.B. hatte vermutlich schon lange das Gefühl: Jesus ist mehr als alles, was wir von den alten Propheten unseres Volkes kennen. Man sieht im Evangelium, wie Jesus dieses Ahnung bei seinen Jüngern systematisch aufgebaut hat und darauf gewartet hat, dass diese Ahnung zum Durchbruch kommt. Und als es soweit war, da hat Jesus dann den Petrus mit dieser Frage herausgefordert, »wofür haltet ihr mich eigentlich?«, damit Petrus ausspricht, was er eigentlich weiß oder jedenfalls ahnt. Aber erst wenn es ausgesprochen wird, kann dieses Wissen auch das Leben von Petrus verändern.
Wenn Petrus überlegt, wer Jesus ist, dann ist das ja keine abstrakte theologische Frage, sondern das hat für Petrus deutliche Konsequenzen. Wäre Jesus einfach nur ein großer Gottesmann, also ein Prophet, dann wäre seine Wirkung sozusagen überschaubar. Er würde auf Gottes Fürsorge und Gottes Gebote hinweisen und zurückrufen von falschen Göttern. Das wäre sehr wichtig, aber es bliebe irgendwie noch im Rahmen.
Wenn Jesus aber der Messias ist, der lange angekündigte endgültige Gesandte Gottes, das bedeutet Veränderung der Welt, umfassende Erneuerung, und da bleibt auch bei Petrus nichts beim alten. Dann kann wirklich nichts mehr so bleiben, wie es war. Und das muss Petrus laut aussprechen, damit es wirklich geschehen kann.
Das ist die Funktion von Entscheidungen: sie bringen innere Wirklichkeit zum Durchbruch in der äußeren, sichtbaren Welt. Und nur so kann die innere Wirklichkeit Realität werden und sich weiterentwickeln.
Also, als Jesus Petrus um sein Boot bat, da entschied sich Petrus, sein freundliches Interesse für Jesus in eine Tat umzusetzen. Diese Tat bestand darin, dass er das Boot ins Wasser schob, die Ruder nahm und Jesus an die richtige Stelle fuhr. Nichts Großes, aber ohne diese Entscheidung hätte es die späteren Entscheidungen nicht gegeben. Denn durch diese Kahnpartie hörte er Jesus zu und gab ihm die Gelegenheit zu dem Wunder mit den vielen Fischen. Und das führte dann wieder dazu, dass Petrus sich entschied, mit Jesus mitzugehen und noch viel mehr mit ihm zu erleben. Und das bewirkte schließlich, dass Petrus eine ganze Zeit später erkannte: du bist der Christus, der Messias!
Die Entscheidung, sein Boot zur Verfügung zu stellen und das Bekenntnis: Du bist der Christus, das sind sicherlich Entscheidungen von ganz unterschiedlicher Tragweite, aber trotzdem ist die eine die Voraussetzung für die andere.
Und das sind Stufen, die Menschen bis heute durchlaufen: am Anfang dieses freundliche Interesse und auch die Bereitschaft hier und da in der Gemeinde mit anzufassen. Dann die Entscheidung, mehr kennenzulernen von Jesus, dafür Zeit und Gedanken einzusetzen. Und irgendwann vielleicht nicht das wörtliche Bekenntnis »Du bist der Messias«, aber doch die Klarheit: du bist der, der die entscheidende Erneuerung in die Welt bringt, und du sollst sie auch in mein Leben bringen.
Solche Entscheidungen können ja auch zu früh oder zu spät kommen. Den interessierten Petrus am Seeufer zu fragen »wofür hältst du mich?« wäre sinnlos gewesen. Und es wäre auch nicht gut gewesen. Wir sollen uns ja nicht für den puren Namen Jesus entscheiden, ohne die Person zu kennen, für die er steht. Deswegen hätte sich Petrus ehrlicherweise für gar nichts anderes entscheiden können, als dafür, diesen Menschen kennenzulernen. Und Jesus wusste das und forderte ihn zu nichts anderem auf.
Aber auch, wenn das nur eine begrenzte Entscheidung ist: wenn sie dran ist, dann muss sie auch fallen, weil sich sonst irgendwann das Fenster wieder schließt, und was dann nicht festgeklopft und verwirklicht ist, das verschwindet wieder.
Wir kennen alle diese Geschichten von Paaren, die irgendwie nicht den Absprung geschafft haben, die es nicht geschafft haben, sich wirklich füreinander zu entscheiden, und irgendwann geht das dann zu Ende, weil die Liebe nicht die Chance hatte, sich zu verwirklichen. Vielleicht war sie ja auch nicht stark genug, aber ohne so eine deutliche Entscheidung füreinander kann Liebe nicht überleben. Aus Dauerverlobten wird selten ein richtiges Paar.
Ich vermute, dass die meisten Menschen Entscheidungen im Glauben nicht zu früh fällen, sondern sie normalerweise zu lange vor sich herschieben, bis sie entweder gar nicht mehr zustande kommen oder viel weniger Kraft entwickeln als es möglich wäre.
Es ist ja eigentlich ganz viel freundliches Interesse da für Jesus Christus und Glauben und was dazugehört. Die Menschen sind da gar nicht so abweisend. Aber das Problem ist, dass dies freundliche Interesse nicht in eine Erntscheidung umgesetzt wird: ja, ich gehe dem nach, ich werde herausfinden, was es damit auf sich hat. Die Ahnung, dass dies alles etwas Gutes ist, das ist wie eine Pflanze, die kein Licht und keine Luft bekommt und vor sich hin kümmert und irgendwann lautlos verwelkt.
Ich habe manchmal das Gefühl, dass das auch damit zusammenhängt, dass wir in unserem Land so sehr daran gewöhnt sind, Dinge nicht zu verwirklichen, sondern sie lieber sehr lange in unserem Herzen zu tragen. Bei uns braucht man ja für fast alles eine Genehmigung, und so haben sind wir uns daran gewöhnt, viele Dinge nicht zu machen, weil es zu mühsam wäre, sich durch den Genehmigungsdschungel zu kämpfen. Und wir sind nicht gewöhnt, etwas in eigner Verantwortung zu tun. Und selbst wenn das nicht das Problem ist, dann gibt es immer noch die Mitmenschen, die das vielleicht nicht gut finden könnten. Und so gehen wir diesen Konflikten aus dem Weg, indem wir Dinge nur innerlich tun. Aber dann berauben wir gerade den Glauben seiner Kraft.
In der christlichen Tradition hat es immer solche Punkte gegeben, an denen Entscheidungen sichtbar gemacht werden, damit sie Kraft entfalten. Die Taufe z.B. ist so eine äußerliche Darstellung des Glaubens. Man könnte fragen: wieso muss sich der Glaube in so einer komischen Handlung mit Wasser ausdrücken? Oder dass man zum Segnen die Hände benutzt. Geht es nicht auch ohne? Kann Gott nicht auch ohne unsere Hände segnen? Aber anscheinend muss sich der Glaube auch äußerlich realisieren, weil er sonst nur ein Kümmerdasein führt.
Entscheidungen werden in der Bibel mit Geburten verglichen: da ist gut geschützt etwas neues gewachsen, es hat seine Zeit dafür gebraucht, und nun soll es das Licht der Welt erblicken, damit es ein eigenständiges Leben führen kann. Aber dieser Durchbruch, der ist eine kritische Phase, es kann zu früh oder zu spät sein, da kann auch mehr schief gehen als beim ruhigen Wachstum vorher, und deswegen bedeutet das Mühe, Angst, Schmerzen, Anstrengung. Hinterher sind alle etwas erschöpft, aber fröhlich und guter Dinge.
So sind Menschen auch vor Entscheidungen ängstlich und nervös, aber nach einer guten Entscheidung löst sich die Spannung und allen geht es gut. Anscheinend ist das Leben so eingerichtet, dass wenig Gutes geschehen kann ohne solche Durchbruchsmomente, die uns vorher viel Sorge machen. Bei Petrus hört das ja noch längst nicht auf, als er die theologisch korrekte Bezeichnung von Jesus endlich ausgesprochen hat. Er wird immer neu vor Entscheidungen stehen: soll ich das Boot verlassen und auf dem Wasser zu Jesus gehen? Soll ich mich zu Jesus bekennen, wenn er gefangen und zum Tode verurteilt ist?
Und manchmal trifft er die richtige Entscheidung und wird stärker, und manchmal geht er den falschen Weg und verirrt sich. Aber Jesus hat immer die Möglichkeit, eine falsche Entscheidung zu korrigieren und uns daraus etwas lernen zu lassen.
Nur wer die inneren Wahrheiten in die Tat umsetzt, hat die Chance, weiterzukommen und dazuzulernen.