Das Ende ist besser als der Anfang
Predigt am 19. Juni 2011 zu Römer 5,12-21 (Predigtreihe Römerbrief 13)
12 Wir können nun einen Vergleich ´zwischen Christus und Adam` ziehen. Durch einen einzigen Menschen – ´Adam` – hielt die Sünde in der Welt Einzug und durch die Sünde der Tod, und auf diese Weise ist der Tod zu allen Menschen gekommen, denn alle haben gesündigt. 13 Auch damals, als es das Gesetz noch nicht gab, war die Sünde schon in der Welt; nur wird sie dort, wo es kein Gesetz gibt, nicht ´als Schuld` angerechnet. 14 Doch das ändert nichts daran, dass der Tod bereits in der Zeit von Adam bis Mose über die Menschen herrschte, selbst wenn sie kein ausdrückliches Gebot Gottes übertraten und somit nicht auf dieselbe Weise sündigten wie Adam. Adam nun steht dem, der kommen sollte, ´dem Messias,` als Gegenbild gegenüber. 15 Dabei ist allerdings zu beachten, dass Adams Verfehlung und die Gnade, die uns in Christus geschenkt ist, nicht zu vergleichen sind. Denn wenn die Verfehlung eines Einzigen den Tod über die ganze Menschheit brachte, wird das durch Gottes Gnade weit mehr als aufgewogen – so reich ist die ganze Menschheit durch die Gnade eines einzigen Menschen, Jesus Christus, beschenkt worden. 16 ´Das, was` die Gabe Gottes ´bewirkt`, entspricht nicht einfach den Folgen, die die Sünde jenes Einen gehabt hat. Denn das Urteil Gottes, die Antwort auf eine einzige ´Verfehlung`, führte zur Verdammnis; seine Gnade hingegen, die Antwort auf zahllose Verfehlungen, führt zum Freispruch. 17 Wenn es durch die Verfehlung eines Einzigen dazu kam, dass der Tod seine Herrschaft ausübte, wird das wiederum durch einen Einzigen weit mehr als aufgewogen: Durch Jesus Christus werden jetzt die, die Gottes Gnade und das Geschenk der Gerechtigkeit in so reichem Maß empfangen, in der Kraft des neuen Lebens herrschen. 18 Wir stellen also fest: Genauso, wie eine einzige Verfehlung allen Menschen die Verdammnis brachte, bringt eine einzige Tat, die erfüllt hat, was Gottes Gerechtigkeit fordert, allen Menschen den Freispruch und damit das Leben. 19 Genauso, wie durch den Ungehorsam eines Einzigen alle zu Sündern wurden, werden durch den Gehorsam eines Einzigen alle zu Gerechten. 20 Und das Gesetz? Es kam erst nachträglich hinzu. Seine Aufgabe war es, die ganze Tragweite der Verfehlung deutlich werden zu lassen. Und gerade dort, wo sich die Sünde in vollem Maß auswirkte, ist die Gnade noch unendlich viel mächtiger geworden. 21 Denn genauso, wie die Sünde geherrscht und ´den Menschen` den Tod gebracht hat, soll die Gnade herrschen, indem sie Zugang zu Gottes Gerechtigkeit verschafft und zum ewigen Leben führt durch Jesus Christus, unseren Herrn.
Hier am Ende von Kapitel 5 ist Paulus an einer wichtigen Etappe angekommen: er schaut zurück auf den Spannungsbogen zwischen Adam, dem ersten Menschen alten Typs und Christus, dem ersten Menschen neuen Typs. Bisher hat er sich vor allem auf das Gottesvolk konzentriert, auf Abraham und seine Familie; jetzt kommt die ganze Menschheit in den Blick. Jetzt wird es klar: Abrahams besonderer Weg, der Weg des jüdischen Volkes, der schließlich in Jesus Christus sein Ziel erreichte, dieser Weg war Gottes Antwort auf das Versagen Adams.
Nachdem Adam und Eva sich von Gott abgewandt haben, hat Gott einen Moment überlegt, ob er das ganze Projekt »Schöpfung« nicht lieber wieder einstampfen sollte – diese Möglichkeit taucht auf in der Geschichte von der Sintflut, aber sie wird dort am Ende verworfen: Noah und seine Familie darf überleben, es geht weiter mit der Menschheit und der Schöpfung. Stattdessen schließt Gott kurz danach mit Abraham einen Bund, und das Ziel dabei ist: eine neue Menschheit. Und dieses Ziel ist nun in Christus erreicht. Paulus hat nun sozusagen nach hinten den Startpunkt erreicht. Drei Kapitel später, in Kapitel 8, wird er auch nach vorn den Horizont maximal ausgespannt haben, nämlich bis zur Erneuerung der ganzen Schöpfung. Es ist, als ob Paulus jetzt auf einem hohen Berg angekommen ist und zurückschaut auf die Strecke, die schon zurückgelegt ist.
Er sieht den Anfang: Adam; und er sieht den Neuanfang: Jesus Christus. Beide legen den Grundstein für eine bestimmte Art, Mensch zu sein. Beide bahnen den Weg für ihre Nachfolger. Das ist eine fundamentale Einsicht: keiner von uns fängt völlig neu an; wir gehen in den Spuren unserer Vorgänger. Deswegen haben fast alle Völker Gründungslegenden, die etwas über dieses Volk aussagen. Im Stadtstaat Rom, wohin Paulus seinen Römerbrief schreibt, erzählte man sich die Geschichte der Brüder Romulus und Remus: sie wurden von einer Wölfin aufgezogen, und als sie älter wurden, stritten sie sich heftig, woraufhin Romulus seinen Bruder erschlug und dann der erste Herrscher Roms wurde. Das sagt etwas aus über Rom, einen Staat, der später immer wieder bedenkenlos feindliche Staaten und Städte eliminierte.
Oder Preußen mit seinem Soldatenkönig, der sein Volk in Uniform gesteckt hat, es bis zum Umfallen exerzieren ließ und ihm Disziplin, Fleiß und Sparsamkeit einbläute; einige würde das ja auch heute gerne wieder so machen. Ungefähr zur gleichen Zeit begann es in Amerika mit dem Gründungsmythos von den Pilgervätern, die in die neue Welt aufbrachen, um dort in Freiheit ihren Glauben zu leben. Und noch viele andere Geschichten kamen dazu bis hin zur Eroberung des Westens mit wackeren Siedlern, rauhbeinigen Cowboys und aufrechten Sheriffs. Und deshalb wollen die Amerikaner bis heute nicht auf das Recht verzichten, ein Gewehr im Schrank zu haben.
Auch manche Familien haben solche Gründungsgeschichten: von den ältesten mittelalterlichen Hofbesitzern, oder von dem Ur-Urgroßvater, der neu in die Stadt kam und hier erfolgreich ein Geschäft aufmachte, oder von der Uroma, für die es das Schönste überhaupt war, wenn zu Weihnachten alle Kinder und Enkel zusammen kamen.
All diese Geschichten sagen: du fängst nicht bei Null an, sondern schon lange vor dir hat es Entscheidungen gegeben, die für dein Leben Bedeutung haben, auch wenn du daran gar nicht beteiligt warst. Du kannst diese Geschichten fortschreiben, du kannst sie neu interpretieren, aber du kommst da nicht einfach heraus.
Die Geschichte von Adam ist so eine Gründungsstory für die ganze Menschheit: mit einem wunderschönen Garten am Anfang, in dem zu leben einfach nur eine Freude war. Aber dann flackert unbegreiflicher Weise Misstrauen auf: hat Gott etwa das Beste für sich behalten? Lasst uns die Dinge in die eigenen Hände nehmen, denn Gott ist nicht zu trauen! Und das führt dann zum Verlust des Gartens, zum tödlichen Streit zwischen Kain und Abel und zu den ersten großen Machtzusammenballungen und dem ersten technologischen Monsterprojekt, dem Turm zu Babel. In die Schöpfung voller Leben kam der Tod.
Das ist die Geschichte, aus der wir nicht einfach so aussteigen können. Das haben andere verbockt, aber wir werden da hineingeboren, wir atmen von unserem ersten Atemzug an die Luft des Misstrauens, das sich über die ganze Welt ausgebreitet hat, und wir können nicht anders als diese Geschichte irgendwie auch mit unserem Leben weiterzuschreiben.
Außer, wenn wir auf einen neuen Grund gestellt würden. Außer, wenn wir in einen andere Ursprungsgeschichte hineinadoptiert würden. Das ist mit dem gemeint, was wir vorhin im Evangelium (Johannes 3,1-8) gehört haben: du musst von neuem geboren werden. Du musst zurück auf Los und dann dein Leben noch einmal unter anderen Konditionen neu beginnen, mit einem anderen Ursprung, in einer anderen Atmosphäre. Du brauchst eine neue Geschichte, eine neue Vergangenheit, und die ist jetzt endlich da, sie beginnt mit Abraham und erreicht ihren Höhepunkt mit Jesus.
Stellen Sie sich jemanden vor, der in dunkle Geschäfte verwickelt war, der sich von seiner kriminellen Vergangenheit losgesagt hat und jetzt in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wird: er bekommt eine neue Identität, eine neue Geschichte, seine ganze Vergangenheit wird neu erfunden und er muss mühsam lernen, in diese neue Vergangenheit hineinzuwachsen. Viele Filme leben davon, dass das eben doch nicht wirklich klappt und so jemand irgendwann doch wieder von seiner Vergangenheit eingeholt wird. Aber mit Jesus Christus ist tatsächlich ein alternatives Leben da, ein Leben, das nicht mehr mit Misstrauen erfüllt ist, sondern Jesus hat bis zum letzten Atemzug Gott vertraut und ist in der Auferstehung bestätigt worden. Jetzt gibt es tatsächlich eine Alternative zum Leben in der Geschichte Adams, nämlich ein Leben in Christus. Einer hat alle reingerissen, einer hat sie alle herausgeholt.
Und wie das bei Paulus öfter geschieht: er merkt, dass er noch zwei Klarstellungen vornehmen muss, weil der Gedanke sonst schief werden könnte. Der Mann war einfach gut darin, die komplizierten Windungen einer Argumentation zu überschauen und vorauszusehen, wo ein Argument hinführen kann, wenn man es in den falschen Hals kriegt. Das Problem von Paulus war nur, dass er all die Argumentationsketten, die er gleichzeitig sah, nicht gleichzeitig darlegen kann, sondern sie nacheinander entwickeln muss. Deswegen ist es manchmal schwer, ihn zu verstehen. Er denkt einfach an zu viele Dinge gleichzeitig.
Also, zwei Probleme:
Erstens: Adam und Eva haben Gottes Gebot übertreten und wurden schuldig. Aber ihre Nachkommen hatten doch gar kein Gebot, das sie übertreten konnten. Die 10 Gebote kamen erst mit Mose. Und ohne Gesetz kann es auch keine Schuld geben. Richtig, sagt Paulus. Die sind tatsächlich nicht persönlich schuldig geworden. Aber sie lebten trotzdem unter der Herrschaft der Sünde. Adam hat alle seine Nachkommen da reingerissen, ob sie wollten oder nicht. Das Problem ist nicht die Schuldfrage, sondern die Machtfrage. Dass z.B. die Deutschen so auf den Staat fixiert sind, in Gehorsam oder in Rebellion, das haben andere zu verantworten: Preußen, der Soldatenkönig, die Bauernkriege, oder wer auch immer. Das ist nicht unsere Schuld. Nur dass wir bis heute alle immer erst fragen: hat mir das auch irgendwer erlaubt? Ist das versichert? Habe ich eine Genehmigung? Muss ich einen Antrag stellen? – das zeigt, dass wir bis heute unter der Macht dieser Prägung leben, die wir persönlich gar nicht zu verantworten haben.
Diese Unterscheidung wird in Kapitel 6 noch wichtig: Menschen leben unter der Herrschaft der Sünde, auch wenn sie persönlich gar nicht schuldig sein sollten. Wir wollten nicht, dass Menschen unter unwürdigen Bedingungen in Fabriken zusammengepfercht werden, wir sind nicht daran schuld, dass Tiere unter unwürdigen Bedingungen in Tierfabriken gemästet werden. Aber wir leben trotzdem unter der Herrschaft der Sünde, weil wir fast nur solche Produkte kaufen können. Die Frage nach unserer persönlichen Schuld ist uninteressant gegenüber der Frage, wie wir von der Herrschaft der Sünde frei werden können – wie wir aus dem kaputten System aussteigen können, egal, ob wir daran schuld sind oder nicht. Unsere Gewissensbisse können wir uns sparen, die bringen kein einziges Huhn auf die grüne Wiese zurück, und wir selbst werden davon eher gelähmt. Aber uns so effektiv wie möglich auszuklinken aus dem ganzen System, so dass wir ehrlich sagen können: für mich müsst ihr das nicht machen! darauf kommt es an.
Und Paulus sagt: das Gesetz, die 10 Gebote und die anderen Bestimmungen des Alten Testaments, die sollen uns aufmerksam machen auf das Problem, wir sollen merken, was los ist. Aber damit ist die Alternative noch nicht da, die Alternative kommt erst mit Jesus.
Das zweite Problem: Adam hat das Paradies verspielt, und das Ergebnis war die Welt, wie wir sie kennen. Jetzt kommt Jesus, macht es anders, und was wird das Ergebnis sein? Wird am Ende wieder das Paradies stehen? Werden wir wieder nackt durch den Garten laufen und die herrlichen Früchte pflücken? Das sieht ein bisschen so aus, als ob Jesus eine Reparaturwerkstatt hat: ich fahre den Wagen gegen die Wand, Jesus schleppt ihn ab, beult ihn aus und lackiert ihn wieder wie vorher. Ist das so? Es ist gut, dass es Reparaturwerkstätten gibt, aber wirklich begeisternd sind sie nicht. Man bezahlt viel Geld und hat am Ende nur das, was man vorher sowieso schon hatte. Ist Jesus nur so ein Autoklempner für die Welt? Adam macht die Sünde rein, Jesus macht sie raus?
Wenn man sich die ersten beiden und die letzten beiden Kapitel der Bibel anschaut, dann gibt es einen deutlichen Unterschied. Die ersten beiden Kapitel erzählen die Erschaffung von Himmel und Erde und vom Paradiesgarten. Die letzten beiden Kapitel, Offenbarung 21 und 22, erzählen davon, wie das neue Jerusalem aus dem Himmel herabkommt auf die Erde, und wie von da ab Gott unter den Menschen wohnt. Eine prächtige Stadt, groß und schön. Es gibt einen neuen Himmel und eine neue Erde, und die Grenze zwischen Himmel und Erde wird aufgehoben. Es gibt nicht nur einen Baum des Lebens, sondern viele, und sie werden im Zentrum der Stadt wachsen. Aus dem Paradies ist sozusagen ein Park im Zentrum des neuen Jerusalem geworden. Gott repariert nicht, sondern er macht es alles neu, größer und prächtiger als es je war. Es ist, als ob ich meinen kaputten Wagen in die Werkstatt bringe, und ich bekomme keine Reparatur, auch keinen Neuwagen, sondern einen Teleporter, mit dem ich mich an jeden beliebigen Ort beamen lassen kann.
So sagt Paulus: was Jesus getan hat, ist mehr, als Adams Fehltritt auszugleichen. Jesus macht aus Sklaven der Sünde nicht nur freie Menschen, sondern er macht Könige aus denen, die zu ihm gehören. Wir werden mit ihm zusammen die Welt regieren. Die ehemaligen Sklaven der Sünde werden ihre frühere Unterdrückerin völlig aus der Welt vertreiben.
Wenn Gott etwas in Ordnung bringt, dann begnügt er sich nie mit der Reparatur. Er macht alles neu und besser. Das ist auch unser Maßstab. Die angemessene Antwort auf unwürdige Fabriken ist eine Wirtschaft, in der die Menschen selbst über ihr Schicksal entscheiden. Die angemessene Antwort auf Tierfabriken ist eine Welt, in der Tiere und Menschen sich beim Namen kennen und miteinander leben. Die vollständige Antwort auf den Aufmarsch von Neonazis ist das solidarische Zusammenleben von Menschen aus vielen Kulturen. Die Antwort auf den zweiten Weltkrieg war nicht nur die deutsche Niederlage, sondern unser Grundgesetz, das die Menschenwürde in den Mittelpunkt stellt. Wenn Jesus Menschen geheilt hat, dann waren sie hinterher (jedenfalls in den besten Geschichten) nicht einfach nur wiederhergestellt, sondern sie änderten ihr ganzes Leben und kamen mit ihm. Es geht nie nur um die Wiederherstellung des Alten, sondern es geht darum, dass es noch einmal ganz neu und herrlich wird. Darunter macht Gott es nicht, und mit weniger sollten wir uns auch nicht zufrieden geben, auch jetzt schon nicht. Wir leben schon aus der Fülle der neuen Welt, das ist Gottes Antwort auf das Böse. Wenn das sichtbar wird, tut es allen Mächten der Zerstörung richtig weh. Und das soll es auch.