In der Kraft Gottes die Erde bestehen
Predigt am 26.11.2000 (Ewigkeitssonntag) zu Philipper 1,21-26
21 Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn. 22 Wenn ich aber weiterleben soll im Fleisch, so dient mir das dazu, mehr Frucht zu schaffen; und so weiß ich nicht, was ich wählen soll. 23 Denn es setzt mir beides hart zu: ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre; 24 aber es ist nötiger, im Fleisch zu bleiben, um euretwillen. 25 Und in solcher Zuversicht weiß ich, dass ich bleiben und bei euch allen sein werde, euch zur Förderung und zur Freude im Glauben, 26 damit euer Rühmen in Christus Jesus größer werde durch mich, wenn ich wieder zu euch komme.
»Ich habe schon so oft gebetet, dass der liebe Gott mich von hier wegnimmt. Mit fällt das Leben so schwer. Aber er will mich wohl noch hier haben.« Worte, die ich nicht nur einmal von einem älteren Menschen gehört habe, und Sie vielleicht auch. »Er will mich wohl noch hier haben.« Ganz ähnlich schreibt es der Apostel Paulus: ich weiß, »dass ich bleiben und bei euch allen sein werde, euch zur Förderung und zur Freude im Glauben«. Obwohl, eigentlich würde er sich eher wünschen, diese Welt zu verlassen und bei Christus zu sein, »ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre«. Da merkt man, was vielleicht doch ein Unterschied ist, bei dem was Paulus sagt: es ist bei ihm nicht nur Müdigkeit und der Wunsch, die Last dieses Lebens loszuwerden, viel stärker ist es die Freude auf die Zukunft bei Jesus.
Als Paulus das schrieb, da saß er im Gefängnis, und es war nicht entschieden, ob er da lebend rauskommen würde. Wenn man ganz deutlich mit dem möglichen Tod konfrontiert wird, in so einer Lage denkt man gründlich nach über die eigenen Motive, darüber, was man wirklich will. Das ist ja zu anderen Zeiten nicht immer sonnenklar, aber es gibt Zeiten, wo es einem ganz deutlich wird, wo die eigenen Prioritäten liegen. Wo Menschen sagen: jetzt habe ich verstanden, woran mir wirklich liegt im Leben. Wieviel mir bestimmte Menschen wert sind, wieviel mir an der Schönheit liegt, an der Natur, an einem Leben, das wirklich erfüllt ist und nicht nur so runtergelebt wird.
Für Paulus stellt sich die Alternative so dar:
- entweder ich werde dieses Gefängnis nicht überleben. Dann passiert mir das beste, was ich mir vorstellen kann: ich werde endlich ganz und voll bei Jesus sein.
Wir müssen uns einen Augenblick klar machen, was das bedeutet: Paulus liebt Jesus. Er ist völlig überzeugt von diesem Menschen. Die ganze Art von Jesus ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Und ab und zu hat er davon geschrieben, dass das trotz allem hier auf der Erde immer nur vorläufig und nicht klar genug ist. Und dass einmal der Tag kommen wird, wo er ihm endlich begegnen wird von Angesicht zu Angesicht. Und dass das noch etwas ganz anderes sein wird als in diesem mühsamen Leben, das immer wieder so hart ist, das immer wieder so eine Last ist, wo so vieles nicht stimmt, wo es so viele schmerzliche Abschiede gibt, wo wir vor so vielen Dingen Angst haben und auch Jesus Christus nur bruchstückhaft und undeutlich verstehen. Gerade weil Pauls Jesus so gut kennt wie kaum ein anderer, deshalb merkt er auch so schmerzlich, wie dieses ganze Leben von vielen anderen Dingen geprägt wird und es immer nur hier und da solche Highlights gibt, Momente, wo der Blick auf Gott frei wird und wir eine Ahnung davon bekommen, wie er wohl wirklich ist.
Und deshalb sagt Paulus: der Tod wäre nicht schlimm für mich. Ich weiß, dass das, was dann auf mich wartet, viel besser sein wird. Verstehen Sie, es geht nicht um den Tod als Erlösung von einem schlimmen Leiden. Nach dem Muster: besser gar nicht leben als sich so quälen müssen. Sondern er sieht einfach, was dahinter liegt. Der Tod selbst ist gar nichts Positives, aber Paulus weiß, dass der Tod für ihn ein Durchgang ist zu der neuen Welt, wo er Jesus endlich in Fülle und Klarheit begegnen wird. - Aber Paulus ahnt, dass es noch nicht so weit ist, und deshalb beschäftigt er sich mit der anderen Möglichkeit: weiterleben. Weiter in dieser Welt seinen Weg mit Jesus Christus gehen. Weiter Menschen an Jesus erinnern, ihnen helfen, ihn in ihr Leben aufzunehmen und sich von ihm leiten zu lassen.
Das bedeutet, sich weiter einzulassen auf diesen mühsamen und oft schmerzlichen Weg durch die Welt. Es bedeutet, die Tatsache anzuerkennen, dass wir hier auf Erden immer wieder mit Leid, Tränen und Blut konfrontiert sein werden. Wir würden uns zwar alle gern einen sicheren Ort schaffen, wo die Nöte der Welt nicht einbrechen können. Würden wir uns das nicht wünschen: eine Oase mit einer hohen Mauer drumherum, wo die ganzen Probleme draußen bleiben, wo wir drinnen keine Angst haben müssen, wo die tägliche Versorgung gesichert ist und geschossen wird nur draußen?
Aber wir wissen im Grunde alle, dass das nicht geht. Da kommen Flüchtlinge aus weniger glücklichen Ländern, Arbeitslosigkeit macht sich auch bei uns breit, noch nicht mal die Rente scheint mehr sicher zu sein, und wenn uns dann auch noch persönliche Schläge treffen, dann wird uns endgültig klar, dass es so einen sicheren Ort nicht gibt, den man abschotten könnte vom Unglück ringsum.
Und all das kann uns den Blick öffnen für die Realität: wir leben in einer wunderbaren Welt, aber auch in einer Welt des Leidens, über die Gott bittere Tränen vergießt. Jesus ist gekommen und hat sich dieser Realität gestellt, um sie zu heilen. Gerade Jesus hätte als einziger so einen sicheren Ort gehabt, an dem ihn das Leid nicht berührt hätte. Er hätte im Himmel bleiben können. Aber er wollte die Welt nicht sich selbst überlassen. Und er sucht nach Menschen, die sein Engagement für die Welt teilen, die mit ihm hier das Licht Gottes ins Dunkel bringen. Und da sagt Paulus: wenn du mich dafür jetzt noch auf der Erde brauchst – ich bin bereit dazu.
Verstehen Sie – Gott hat für den Himmel gesorgt, damit wir frei sind, hier auf der Erde an seinem Werk teilzunehmen. Wir sollen uns der Mühsal und dem Leid der Welt stellen, mitleiden und dann lernen, in der Kraft Gottes durch das Leid hindurchzugehen. Menschen sollen mit Gott Frieden schließen, wenn sie sehen, dass er die Kraft gibt, die auch dem Dunklen und Traurigen widerstehen kann.
Als Jesus kam, da hat er eine Kraft in die Welt gebracht, die Kraft des Heiligen Geistes, die nicht vor den Dunkelheiten und Schmerzen der Welt kapituliert. Obwohl wir uns keinen sicheren Ort in der Welt schaffen können, obwohl die Zerstörung immer wieder einbricht, und das auch durch uns, trotzdem überwindet diese Kraft immer wieder und gibt uns eine Ahnung von der wirklichen Kraft Gottes. Es ist die Kraft, die auch Jesus von den Toten auferweckt hat, und sie wirkt im Leben eines Menschen, der Jesus anruft und um seine Kraft bittet. Sie wirkt unter Tränen und Schmerzen, sie wirkt, wenn einer glaubt, dass er es nicht mehr aushält, sie wirkt mitten in großen und kleinen Katastrophen.
Es gibt keinen sicheren Ort in der Welt, das wissen wir im Grunde genau, aber diese Kraft Jesu in der Welt, das ist der sichere Ort, auch dann, wenn man wie Paulus dem Tod ins Auge sehen muss. Und diesen sicheren Ort, den sollen wir auch wirklich aufsuchen, das ist keine Flucht und keine Verleugnung der Realität, sondern da gehören die Sicherheit durch die Kraft Gottes und das Erleiden der Welt zusammen. Die Hilfe ist gerade dort zu finden, wo die Gefahr am größten scheint. Und manchmal ist es mit uns so, dass wir diese Kraft Gottes erst dann entdecken, wenn uns alles andere aus der Hand geschlagen wird, wenn wir mit dem Rücken zur Wand stehen und gar keine andere Wahl haben als Gott und seinen Möglichkeiten zu vertrauen. Vorher scheint uns das so unwahrscheinlich, so quer zu allen unseren anderen Erfahrungen.
Darum: wer die Schmerzen von Leid, Abschied und Trauer kennt, wer die Last der Welt erlebt hat und diesen Wunsch kennt, es alles hinter sich zu lassen und endlich Frieden zu finden, der ist vielleicht am nächsten dran an der Entdeckung der Möglichkeiten Gottes. Wer unsere menschlichen Grenzen wirklich kennt, der weiß besser, wie nötig es ist, das Gott seine Kraft schickt, um uns zu retten. Und der hat dann vielleicht auch schon etwas davon erlebt, wie Gott weiterhilft im entscheidenden Moment.
Natürlich ist das keine Automatik, und es laufen genügend Menschen herum, die schlimme Dinge erlebt haben, ohne dass sie dadurch weitergekommen wären. Was schlimme Zeiten mit uns machen, das hängt auch ganz stark damit zusammen, wie wir da hineingegangen sind. Es ist besser, an der Hand Jesu auf die Tiefen in unserem Leben zuzugehen, weil wir dann schon mit ihm vertraut sind und die Chance größer ist, dass wir ihn auch im Krankenzimmer, in der leeren Wohnung, oder wie Paulus im Gefängnis wiedererkennen.
Wenn Menschen Schlimmes widerfährt, dann ist am meisten das Vertrauen in die Welt bedroht. Wir haben dann erlebt, wie Sicherheiten zerbrechen, die lange ein selbstverständlicher Teil unseres Lebens waren. Und wir fragen uns: ist diese Welt denn überhaupt verlässlich? Muss ich nicht damit rechnen, dass mir das jeden Augenblick wieder passiert? Und das sind ja nicht so sehr logische Schlüsse und Gedanken, sondern es ist eine tiefe Verunsicherung, die das ganze Herz erfasst, und kaum einer kann das gleich in klare Worte fassen. Wir erleben das als schlaflose Nächte und traurige Tage, als Lustlosigkeit und Angstanfall.
Aber dann ist es hilfreich, wenn wir erleben, dass die Kraft Gottes auch da sein kann, wenn Sicherheiten zerbrechen und Selbstverständlichkeiten vergehen. Das ist genauso keine verstandesmäßige Erfahrung, sondern wir erleben es als ganze Menschen mit Mut und Zuversicht und getröstetem Herzen, obwohl wir eigentlich eher niedergeschlagen und bedrückt sein müssten.
Paulus war die Erfahrung dieser Kraft so wichtig, dass er sagte: das ist es, was ich möchte. Das soll mein Leben bestimmen. Christus ist mein Leben. Mein ganzes Leben soll von ihm geprägt sein. Und zum Leben gehört auch das Ende des Lebens. Vielleicht werde ich mit Bangen auf meinen Tod zugehen, aber ich weiß, dass Jesus kommen wird und meine Hand halten wird und mich hindurchbegleiten wird. Auch dann wird mich die Kraft Gottes nicht im Stich lassen.