… und sahen seine Herrlichkeit
Predigt am 9. Februar 2003 zu Matthäus 17,1-9
1 Sechs Tage später nahm Jesus die drei Jünger Petrus, Jakobus und Johannes, den Bruder von Jakobus, mit sich und führte sie auf einen hohen Berg. Sonst war niemand bei ihnen. 2 Vor den Augen der Jünger ging mit Jesus eine Verwandlung vor sich: Sein Gesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden strahlend weiß. 3 Und dann sahen sie auf einmal Mose und Elija bei Jesus stehen und mit ihm reden.
4 Da sagte Petrus zu Jesus: »Wie gut, dass wir hier sind, Herr! Wenn du willst, schlage ich hier drei Zelte auf, eins für dich, eins für Mose und eins für Elija.« 5 Während er noch redete, erschien eine leuchtende Wolke über ihnen, und eine Stimme aus der Wolke sagte: »Dies ist mein Sohn, ihm gilt meine Liebe, ihn habe ich erwählt. Auf ihn sollt ihr hören!« 6 Als die Jünger diese Worte hörten, warfen sie sich voller Angst nieder, das Gesicht zur Erde. 7 Aber Jesus trat zu ihnen, berührte sie und sagte: »Steht auf, habt keine Angst!«
8 Als sie aufblickten, sahen sie nur noch Jesus allein. 9 Während sie den Berg hinunterstiegen, befahl er ihnen: »Sprecht zu niemand über das, was ihr gesehen habt, bis der Menschensohn vom Tod auferweckt ist.«
Manchmal geschieht das, dass Jesus einige von uns beiseite nimmt und mit ihnen weggeht, weg auch von den anderen Jüngern, hoch auf einen Berg, da, wo man Gott am nächsten ist, weit weg von den Städten, wo die Menschen nur ein Rädchen im Getriebe sind. Gerade mal dreien von den zwölf Jüngern geschieht das. Erst hat er sie herausgeholt aus ihrem alltäglichen Leben mit Boot und Netz und Haus und Familie. Und jetzt holt er sie noch einmal weg aus der Gruppe der anderen Jünger. Es war eigentlich eine gute Zeit gewesen, und die Gemeinschaft war immer besser geworden, aber Jesus holt sie wieder weg. Sie hatten das nicht vor. Er hat sie mitgenommen.
Gerade mal sechs Tage Zeit hat er ihnen gelassen, um die neue Erkenntnis zu verkraften, die Simon Petrus ausgesprochen hatte: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Und verkraften mussten sie auch, was er selbst ihnen anschließend gesagt hatte: ich werde leiden und sterben müssen. Jetzt sind sie vorbereitet.
Und dann nimmt er sie mit zu der Verabredung mit Mose und Elia, die er auf dem Berg hat. Elia, der größte der Propheten, der nicht gestorben ist, sondern Gott hat ihn weggenommen, einfach weggeholt aus unserer Welt mit einem feurigen Wagen – und er ward nicht mehr gesehen unter den Menschen bis zu diesem Tag. Mose, der auch einmal auf einen Berg gegangen, er ganz allein, zu einer Verabredung mit Gott, und er wusste, dass er nicht mehr zurückkommen würde zu den Menschen.
Und Jesus redet mit ihnen, seinen Vorgängern in der großen Geschichte Gottes mit seinem Volk und seiner Welt. Nein, sie sind ihm nicht ebenbürtig, er ist der Sohn Gottes, und sie sind nur Menschen, aber sie gehören zusammen, es ist eine Geschichte, zu der sie alle gehören.
Da ist die Wand zwischen Himmel und Erde durchlässig geworden, und Jesus redet mit ihnen, die schon Bürger des Himmels sind. Und von ihm geht Glanz aus, der widerspiegelt, wer er ist: der Sohn Gottes. Es ist, als ob sich das Göttliche in Jesus nur schlecht verbergen lässt und durch alle Ritzen hindurchschaut.
Was die Jünger sonst im Alltag nicht an Jesus sehen, das wird hier an ihm erkennbar. Es ist, als ob für einen Augenblick der Schleier weggezogen wird, und sie sehen Jesus, wie er eigentlich ist. So, als ob da auf dem Berg die Dosis dessen, was vom Göttlichen sichtbar ist, erhöht würde. Was man sonst an ihm spürt, was sich sonst in der Kraft seiner Worte ausdrückt, was sich in seinen Wundern manifestiert, das ist hier direkt zu sehen. Sein Gesicht und seine Kleider beginnen zu leuchten und zu glänzen.
Die Jünger können an diesem Tag seine Herrlichkeit sehen, und viel später wird Johannes schreiben: »Das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit«. Das war keine spitzfindige Theologie, sondern das war Beschreibung ihrer Erfahrung auf dem Berg. Der Glaube, dass Jesus der Sohn Gottes ist, der geht auf die Erfahrung zurück, die die drei Jünger an diesem Tag machten. Sie haben nicht vergessen, dass sie damals das Heilige, das Göttliche an Jesus direkt gesehen haben. Wahrscheinlich war auch das immer noch eine stark gefilterte Sicht, weil sie eine noch höhere Dosis gar nicht vertragen hätten.
Immer wieder ist es Menschen passiert, dass sie so von Jesus beiseite genommen wurden, um mehr davon zu sehen, wie er wirklich ist. Einer war Blaise Pascal, ein großer Mathematiker und Philosoph. Als er starb, fand man eingenäht in seine Kleider ein hastig aufgeschriebenes Dokument, das er in den letzten neun Jahren seines Lebens offensichtlich immer bei sich getragen hatte.
»Im Jahre des Herrn 1654, Montag, 23. November, von ungefähr halb elf abends bis ungefähr halb eins in der Nacht: Feuer. Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs, nicht der Gott der Philosophen und der Gelehrten. Gewissheit, Freude, Friede. Gott Jesu Christi. Er wird nur gefunden auf den Wegen, die im Evangelium gelehrt werden. Tränen der Freude. Ich hatte mich von ihm getrennt. Ich bin vor ihm geflohen, habe ihn verleugnet, gekreuzigt. Dass ich nie mehr von ihm getrennt werde. Hingabe an Jesus Christus.«
Das ist der Versuch, etwas festzuhalten von dem Unbeschreiblichen, was ihm passiert war, es so zu notieren, dass er sich später immer wieder daran erinnern konnte. Festzuhalten diesen kostbaren Moment der Gnade, in dem sich der Schleier für einen Augenblick hebt, und der nur hier und da einem Menschen geschenkt wird: nicht nur die Zeichen und die Kraft des Göttlichen an Jesus zu sehen, sondern etwas vom Göttlichen selbst.
Gott mildert sich normalerweise herab, weil er uns nicht überrollen und überwältigen will mit dem vollen Eindruck seiner Kraft, aber hier und da dürfen Menschen mehr sehen. Und sie schwanken wie Pascal zwischen Glück und Überwältigung.
Für Petrus ist es jedenfalls noch erträglich, und er tut das, was Menschen oft machen, wenn ihnen so etwas zustößt: er versucht, die Gelegenheit beim Schopf zu packen und das Heilige, dem er da begegnet, festzuhalten. »Ich baue euch Hütten, eine für Mose, eine für Elia, und eine für dich« sagt er. Das ist sozusagen schon der Grundriss einer Tempelanlage. Menschen bauen Heiligtümer, um das Heilige festzuhalten, und gleichzeitig ist das der erste Schritt, um Gott einzubauen in unsere Welt und dem lebendigen Gott seine Unberechenbarkeit zu nehmen.
Aber Petrus bleibt das Wort im Hals stecken, denn es ist noch nicht zu Ende: aus einer hellen Wolke spricht die Stimme Gottes zu ihnen, und das ist zu viel für sie: sie werfen sich auf den Boden, das Gesicht zur Erde. Jetzt ist die Dosis eindeutig zu hoch geworden. Ob das nun Glück, Freude oder Schreck war – die Intensität ist mehr, als Menschen ertragen können.
Das ist der ungezähmte Gott, der Herr des Universums, vor dem jeder vergehen muss, wenn er ihm ungeschützt begegnet. Wir können ihn nicht festhalten, wir können ihn nicht in unsere Lebenswelt integrieren. Zum Glück nimmt er sich normalerweise zurück und gibt uns abgeschwächte Zeichen seiner Gegenwart, die in unserer Seele laut oder leise widerhallen. Und dann versuchen wir es mit diesen abgeschwächten Zeichen und integrieren sie in unser Leben, in unsere Kirchen, in unsere Denksysteme. Wir versuchen, den wilden Gott, den wir nicht durchschauen, irgendwie zu zähmen, damit er für uns berechenbar wird.
In alter Zeit hatten die Menschen ihre Hausgötter. Jede Familie hatte ihre Ecke mit dem kleinen Altar, wo sie so einen Hausgott verehrte: eine Statue aus Holz, Stein oder Lehm. Dieser Hausgott war zuständig für die kleinen und großen Nöte der Familie, man erwartete Segen von ihm, wenn die Saat ausgesät wurde und gutes Wetter, wenn die Ernte eingebracht wurde. Man musste ihn besänftigen, wenn er schlechte Laune hatte. Dafür gab es eine ganze Menge Regeln: Er bekam den ersten Schluck Wein oder wohlriechende Kräuter, es gab Rituale und Zeremonien, um sich seinen Schutz zu sichern. Jede Familie »besaß« buchstäblich so einen Gott.
Wir sind bis heute immer wieder in Gefahr, aus dem lebendigen Gott so einen Hausgott zu machen, den wir in unser Leben einbauen. Wir erwarten von ihm, dass er uns und unsere Familie beschützt, dass er schwierige Situationen abwendet und unser Leben einigermaßen am Laufen hält. Gegenüber den alten Zeiten tun die Leute heute weniger für ihren Hausgott, aber die Erwartungen sind dieselben geblieben. Er soll seine Rolle in unserer persönlichen Geschichte spielen, und wir wissen auch, welche.
Wie aber, wenn Gott seine ganz eigene Geschichte hat, in der wir schon unseren Platz haben, die er aber nach seinen Vorstellungen vorantreibt? Mose und Elia sind ein Hinweis darauf, dass Gott schon eine lange Geschichte mit seinem Volk und seiner Welt hat, die in Jesus noch einmal zusammengefasst wird. Gott lässt sich nicht integrieren in unsere kleinen Geschichten, erlässt sich nicht zähmen und in einen Käfig sperren. Er lässt sich nicht auf unsere Regeln festlegen. Er ruft uns heraus aus dem Leben, an das wir uns schon so gewöhnt hatten, und sagt: komm mit, ich will etwas ganz anderes von dir.
Gott erschüttert unser Leben, so wie er Petrus erschüttert, dass der sich zur Erde wirft, weil er es nicht mehr erträgt. Gott zeigt es uns immer wieder, dass er nicht dieser gezähmte Hausgott ist, mit dem wir uns schon so gut arrangiert hatten. Er bringt unser Leben durcheinander, er macht es kompliziert, und wir fragen: warum Gott? Warum? Immer wieder pocht er an die Tür unseres Lebens, und manchmal verstehen wir ihn und manchmal nicht. So wie sich eine ganze Welt abgeriegelt und verrammelt hat gegen den lebendigen Gott, damit sie ungestört ihren Geschäften nachgehen kann. Aber Gott brandet an die Ufer der Welt, und wir spüren die Erschütterungen, und jede Welle ist wieder höher als die vorige. Was alles muss noch passieren, bis wir verstehen, wer da kommt?
Jedenfalls einige holt Jesus heraus, damit sie verstehen, was da durch ihn in die Welt gekommen ist. Jedenfalls diese drei sollen im richtigen Moment verstehen, dass es nicht Jesu Machtlosigkeit ist, die ihn schließlich ans Kreuz bringt. Und wenn das alles geschehen ist, dann sollen sie den anderen davon erzählen, damit die wissen, wer da unter ihnen gewesen ist. Bis dahin sollen sie schweigen. Es gibt Erfahrungen, die man zerredet, wenn man sie zur Unzeit an die große Glocke hängt.
Was aber hat Gott ihnen gesagt? »Dies ist mein Sohn, ihm gilt meine Liebe, ihn habe ich erwählt. Auf ihn sollt ihr hören!« Ihr wisst jetzt, was hinter Jesus steht. Es ist die Vollmacht Gottes selbst, der Glanz des Himmels, der sich umsetzt in ein Menschenleben, der durch den Staub und Dreck der Straßen geht und sich immer wieder umsetzt in Worte der Wahrheit und Taten der Vollmacht. Aber wir sollen nicht denken, deshalb könnten wir sie in unsere Geschichten einbauen und zähmen.
Immer wieder legt Jesus einigen die Hand auf die Schulter und führt sie diesen unerwarteten Weg, nimmt sie weg von allem, was vertraut und sicher war, weil er sie sehen lassen will, was in Wirklichkeit diese Welt bewegt. Er zeigt ihnen die große Geschichte Gottes, und wenn sie zurückkomme, sind sie nicht mehr dieselben, und sie werden mit anderen Ohren auf seine Worte hören.