Magier auf ihrer geistlichen Reise (Die Kindheit Jesu I)
Predigt am 29. Dezember 2002 zu Matthäus 2,1-12
1 Jesus wurde in Betlehem in Judäa geboren, zur Zeit, als König Herodes das Land regierte. Bald nach seiner Geburt kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem 2 und fragten: »Wo finden wir den neugeborenen König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.« 3 Als König Herodes das hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem.
4 Er ließ alle führenden Priester und Gesetzeslehrer im Volk Gottes zu sich kommen und fragte sie: »Wo soll der versprochene Retter geboren werden?« 5 Sie antworteten: »In Betlehem in Judäa. Denn so hat der Prophet geschrieben: 6 ‚Du Betlehem im Land Juda! Du bist keineswegs die unbedeutendste unter den führenden Städten in Juda, denn aus dir wird der Herrscher kommen, der mein Volk Israel schützen und leiten soll.’«
7 Daraufhin rief Herodes die Sterndeuter heimlich zu sich und fragte sie aus, wann sie den Stern zum erstenmal gesehen hätten. 8 Dann schickte er sie nach Betlehem und sagte: »Geht und erkundigt euch genau nach dem Kind, und wenn ihr es gefunden habt, gebt mir Nachricht! Dann will ich auch hingehen und ihm huldigen.«
9 Nachdem sie vom König diesen Bescheid erhalten hatten, machten sich die Sterndeuter auf den Weg. Und der Stern, den sie schon bei seinem Aufgehen beobachtet hatten, ging ihnen voraus. Genau über der Stelle, wo das Kind war, blieb er stehen. 10 Als sie den Stern sahen, kam eine große Freude über sie. 11 Sie gingen in das Haus und fanden das Kind mit seiner Mutter Maria. Da warfen sie sich vor ihm zu Boden und huldigten ihm. Dann holten sie die Schätze hervor, die sie mitgebracht hatten, und legten sie vor ihm nieder: Gold, Weihrauch und Myrrhe.
12 In einem Traum befahl ihnen Gott, nicht wieder zu Herodes zu gehen. So zogen sie auf einem anderen Weg in ihr Land zurück.
Die Astrologen, die hier verhältnismäßig kurz erwähnt sind, haben Karriere gemacht. Als Heilige Drei Könige sind sie sehr bekannte Gestalten, auch wenn sie eindeutig keine Könige waren, sondern Magier, möglicherweise aus Babylonien oder Medien, Angehörige der Priesterklasse, die gleichzeitig über das geheime Weisheitswissen vieler Jahrhunderte verfügten. Davon, dass es drei waren, steht übrigens auch nichts in der Bibel.
Warum aber ist diese Astrologengesandtschaft so populär geworden? Ich glaube, das liegt einmal an diesem Motiv der Reise. Die Reise ist ja ein ganz bekanntes Bild für den Weg und die Entwicklung eines Menschen. Der äußerlich gesehen lange Weg ist ein Bild für die innere Entwicklung, die Menschen auf sich nehmen. Wir wissen ja, dass man sich auch innerlich verändert, wenn man eine weite Reise macht, und das gilt erst Recht in Zeiten, die noch keine Flugreisen kannten, und wo man nicht in Hotels rund um den Erdball überall die gleiche Hotelkultur und die gleichen Qualitätsstandards fand. Zu Fuß oder auf einem gemächlich voranschreitenden Kamel so eine Strecke von Hunderten und Tausenden von Kilometern zu bewältigen, das fordert einen enorm. Da bleibt man wirklich nicht derselbe. Da ändern sich die Perspektiven. Wer heute auf eine Pilgerreise geht, aber eine richtige zu Fuß und nicht im bequemen Zug oder Omnibus, sucht genau dieses Erlebnis.
Und nun machen sie sich ja auch nicht auf, weil sie vielleicht Handel treiben wollen oder eine politische Gesandtschaft sind. Nein, sie folgen einem Stern und damit der Stimme ihrer Sehnsucht. Wahrscheinlich kannten sie schon zu Hause die Hoffnung Israels. Zwischen Babylonien und Israel hat es lange, gute Verbindungen gegeben, seit das Volk Israel im Babylonischen Exil war. Längst nicht alle Juden sind damals zurückgekehrt, sondern es gab weiterhin eine große jüdische Gemeinschaft in Babylonien. Und die heidnischen Magier hatten Zugang zu dieser geistigen Strömung direkt vor ihrer Haustür und haben auch die Hoffnung Israels in den Schatz ihrer Überlieferungen aufgenommen.
Es ist ja nicht so, dass das für die Heiden so eine deutliche Alternative wäre: entweder die besondere Überlieferung von dem einen Gott Israels, oder unsere Götter und Weisheiten, sondern das wird irgendwie integriert und geht ineinander über. Da strömt etwas von der Hoffnung Israels auch in die heidnischen Systeme hinein. Die Menschen sind beeindruckt von der geistlichen Kraft, auf die sie da stoßen, und möchten sich davon eine Scheibe abschneiden.
Aber bei diesen Magiern ist es mehr. Denn die machen sich ja sogar auf diese weite Reise. Sie sind ein Symbol dafür, dass Menschen nach der Wahrheit fragen, nicht, weil sie sich davon materielle Vorteile versprächen, sondern weil sie es wirklich wissen wollen. Und das ist ihnen so wichtig, dass sie aufgrund eines vagen Hinweises so eine weite Reise ins Ungewisse antreten. Sie sind ein Beispiel dafür, was Menschen alles auf sich nehmen, um die Wahrheit zu finden.
Und es gibt ja jede Menge Geschichten darüber, Weihnachts- bzw. Dreikönigs-Geschichten darüber, wie sie auf Irrwege geraten und dabei vom Weg abkommen, aber am Ende doch ans Ziel ihrer Reise gelangen. Oder wie einer von ihnen unterwegs irgendwo hängenbleibt und sesshaft wird und sich mit dem Zweitbesten zufrieden gibt. Oder wie einer aufgehalten wird und dann erst zur Kreuzigung Jesu ankommt, aber durch seine Erfahrungen auf der langen Reise ist er vorbereitet, so dass er zu dem sterbenden Jesus Zugang finden kann.
Verstehen Sie, warum die Reise so ein gutes Bild für geistliche Wirklichkeiten werden kann? Gott lockt uns heraus aus unserem alten Leben, er sorgt immer mal wieder dafür, dass wir spüren, wie uns irgendetwas fehlt. Und die entscheidende Frage ist, ob wir dann auf die Suche gehen, oder ob wir schnell wieder den Deckel drauf machen und uns sagen: es reicht doch, es stimmt doch alles mit mir, ich erfülle die geistliche Norm, ich muss mir diese Fragen aus dem Kopf schlagen. Und dann tun wir das auch, aber irgendwann melden sie sich wieder, manchmal auch in anderer Gestalt. Unser Herz gibt sich nicht wirklich mit einem Ersatz für die Wahrheit zufrieden. Aber wenn wir ihm nicht erlauben, seinen Weg zu gehen, dann verstummt es langsam und verliert seine Lebendigkeit.
Oder wenn wir es stattdessen abspeisen mit kleinen Leidenschaften, mit einem Hobby oder mit den Scheinproblemen eines Romans oder einer Fernsehserie, mit Aktivitäten aller Art, dann kann es sich tatsächlich dahinein verstricken, aber dann fehlt uns die Kraft, auf unserer geistlichen Reise weiterzugehen. Unser Herz, das uns bisher die Energie gegeben hat, die wir für diese Reise brauchten, das setzt sie jetzt ein für die kleinen Leidenschaften des Alltags, für die klassischen Irrwege von Geld, Sex und Macht oder für Harmlosigkeiten aller Art, aus denen so hochbedeutsame Dinge werden.
Es ist ein immer wiederkehrendes Problem, wenn Menschen mit einer brennenden Liebe zur Wahrheit um ihrer selbst willen zu Jesus finden, dann in eine Gemeinde gehen und erwarten, dass sie dort genau diese Liebe zur Wahrheit vorfinden werden. Stattdessen finden sie Menschen, die sich mit viel kleineren Dingen abgefunden haben. Und das führt dann entweder zu großer Enttäuschung oder – noch schlimmer – dazu, dass sie sich ihre Leidenschaft mühsam abgewöhnen, weil sie glauben, die sei falsch.
Zum Glück sehen wir an den Magiern aus dem Osten, dass es nicht notwendig so enden muss. Die Suche nach der Wahrheit ist ein ganz starker Antrieb. Und es ist schwer vorhersehbar, wen dieser Wunsch ergreifen wird. Es sind Menschen aus aller Herren Länder, Menschen mit dem unterschiedlichsten sozialen Status, es kann im Prinzip jeden packen, dass er unbedingt, koste es, was es wolle, die Wahrheit finden will.
Und die Botschaft dieser Geschichte ist: ja, das ist richtig, das lohnt sich, das sollen wir tun. Auch wenn wir dabei vom Weg abkommen und auf Irrwege geraten, Gott wird dafür sorgen, dass wir nicht dauerhaft in die Irre gehen. In dem menschlichen Streben nach Wahrheit steckt so viel von der ursprünglichen, schöpfungsmäßigen Nähe des Menschen zu Gott – wer diesem Streben ehrlich folgt, der ist am richtigen Platz, und Gott wird ihm helfen, die Wahrheit schließlich auch zu finden.
Das gilt, obwohl die Magier ja eigentlich geheime Künste anzapfen, die Gott seinem Volk verboten hat. Man würde heute über sie sagen, dass sie in okkulte Aktivitäten verstrickt sind. Aber das wird ausgeglichen durch ihre Liebe zur Wahrheit. Und wenn sie eben auf die Sprache der Sterne hören, dann sorgt Gott dafür, dass sie seine Botschaft in einer Sprache zu hören bekommen, die sie verstehen. Und sie gehen los und werden so geführt, dass sie am Ende den Richtigen anbeten.
Auf der anderen Seite sehen wir die Verantwortlichen im Gottesvolk, die zwar die richtige Quelle der Erkenntnis haben, nämlich die Bibel, aber nicht von der Liebe zur Wahrheit getrieben sind. Das ist ja erstaunlich, dass selbst der König Herodes weiß, wen er fragen muss, wenn es um Gott geht, und dass seine Theologen ihm auch die richtige Antwort geben, aber ihnen allen fehlt die Leidenschaft für die Wahrheit.
Für die Theologen ist das so eine Art Lehrbuchwahrheit, die sie brav zitieren, ohne eine Spur von der Leidenschaft, die die Magier auf ihre weite Reise gebracht hat. Und erst recht der König macht aus den biblischen Wahrheiten einfach einen Faktor in seinem Machtkalkül. Herodes hatte Übung darin, unliebsame Konkurrenten vorsorglich zu beseitigen, nicht erst dann, wenn sie den Aufstand probten. Er hat sogar einige seiner Söhne umgebracht, weil er fürchtete, dass sie ihm gefährlich werden könnten.
Also: auf der einen Seite die Bibelkundigen im Gottesvolk, die über den Schlüssel zur Wahrheit verfügen, die Wahrheit aber nicht lieben; und auf der anderen Seite die Magier mit ihren geheimen Künsten, die eine große Leidenschaft für die Wahrheit um ihrer selbst willen mitbringen. Das ist eine Konstellation, die sich ähnlich beim erwachsenen Jesus wiederholen wird. Da gibt es sogar Heiden, die einen Zugang zu ihm finden, aber die Verantwortlichen seines eigenen Volkes lehnen ihn bis auf einige wenige Ausnahmen ab.
Das ist natürlich eine bescheuerte Konstellation, und eigentlich müssten die Bündnisse andersherum laufen: die Liebe zur Wahrheit und die Liebe zur Bibel sind die natürlichen Verbündeten, während zu denjenigen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit unterdrücken, okkulte Praktiken viel besser passen. Und zum Glück muss es ja nicht immer bei dieser schiefen Konstellation bleiben.
Aber das Werk des Feindes besteht vor allem darin, Verwirrung zu stiften und die eigentlichen Verbündeten auseinander zu bringen. Er versucht, die verschiedenen Impulse Gottes gegeneinander zu lenken, so dass Energien, die im Kern gute und berechtigte Anliegen sind, gegeneinander kämpfen und sich neutralisieren. Und die Verantwortung dafür haben die Verantwortlichen des Gottesvolkes, wenn sie das zulassen oder sogar selbst dafür sorgen.
Wenn es aber schon zu dieser schiefen Frontlinie gekommen ist, dann steht Gott auf der Seite der – ich nenne sie mal: unkonventionellen Wahrheitssucher, denen wirklich an der Wahrheit liegt. Da können die anderen noch so gut ihre Glaubenswahrheiten rezitieren – aber ihnen fehlt die Begeisterung für die Wahrheit, ja, sie haben noch nicht einmal ein Gespür dafür, dass es so etwas wie Wahrheit gibt, und deshalb geht Gott an ihnen vorbei und lässt die anderen zu Jesus finden und ihn anbeten.
Die Magier aus dem Osten sind eine große Ermutigung, uns von unserer geistlichen Reise nicht abbringen zu lassen, uns nicht vorzeitig zur Ruhe zu setzen, uns auch nicht von merkwürdigen Verhältnissen im Gottesvolk irritieren zu lassen. Die Magier folgten ihrem Stern. Mit ehrlichem Herzen und großer Beharrlichkeit. Der Stern, das Bild der Wahrheit, war ihre Sache, und von dieser Sache ließen sie sich nicht abbringen. Auch wenn sie ihn in Jerusalem kurzzeitig aus den Augen verloren. Und so wird Gott jeden begleiten und behüten, der seinem Stern und der Stimme seines Herzens folgt. Er wird auch in Sackgassen geraten, aber wenn er nur am Stern festhält, wird Gott ihn zurückbringen auf den Weg zu seinem Ziel.