Die Auferstehung Jesu ist noch nicht alles
Predigt am 12. April 2004 (Ostermontag) zu 1. Korinther 15,12-20
12 Wenn aber von Christus gepredigt wird, dass er von den Toten auferstanden ist, wie sagen dann einige unter euch: Es gibt keine Auferstehung der Toten? 13 Gibt es keine Auferstehung der Toten, so ist auch Christus nicht auferstanden. 14 Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich. 15 Wir würden dann auch als falsche Zeugen Gottes befunden, weil wir gegen Gott bezeugt hätten, er habe Christus auferweckt, den er nicht auferweckt hätte, wenn doch die Toten nicht auferstehen. 16 Denn wenn die Toten nicht auferstehen, so ist Christus auch nicht auferstanden. 17 Ist Christus aber nicht auferstanden, so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch in euren Sünden; 18 so sind auch die, die in Christus entschlafen sind, verloren. 19 Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen. 20 Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind.
Der große Theologe Karl Barth wurde einmal gefragt: »Herr Professor, werde ich nach dem Tode wirklich meine Lieben wiedersehen?« Und er antwortete: »Ja, gewiss. Die andern aber auch!!«
Damit meinte er natürlich: wenn du für den Himmel nur erhoffst, dass dein kleiner Lebensbereich mit den Menschen, die dir nahe stehen, irgendwie noch länger erhalten bleibt, dann greifst du viel zu kurz in deiner Hoffnung. Als Gott Jesus auferweckte, da legte er den Grundstein für eine ganze neue Welt, wo nicht einfach alles weitergeht wie bisher.
Dass Jesus auferstanden ist, das erneuert die ganze Welt. Darum geht es Paulus, wenn er hier so betont von der Auferstehung der Toten spricht. Da scheint es Leute gegeben zu haben, die sagten: »Ja, wir glauben schon, dass Jesus auferstanden ist, wir merken ja seine Kraft, er gibt uns richtig neuen Schwung ins Leben, aber eine künftige Auferstehung aller Menschen? Nein, das glauben wir nicht, das können wir uns nicht vorstellen.«
Für uns klingt das irgendwie merkwürdig: Wie kann man an die Auferstehung Jesu glauben, aber die Auferstehung der anderen Menschen hält man für unmöglich?
Aber wir kennen etwas ganz ähnliches. Viele Menschen feiern bei uns Weihnachten, sie fühlen sich angerührt von dem Gedanken an das kleine Kind Jesus, das unter schlimmen Bedingungen zur Welt kommt, und von den Engeln und dass alles irgendwas mit Gott zu tun hat. Aber heißt das auch, dass Menschen dann glauben, dass dort in Bethlehem der Retter der Welt geboren ist, wegen dem alle Menschen nun in einem ganz anderen Horizont leben? Nein. So wie Menschen heute Weihnachten feiern können, ohne zu verstehen, was das für die ganze Welt bedeutet, so konnten sie damals den auferstandenen Jesus feiern, aber sie bezweifelten, dass seine Auferstehung auch noch die Auferstehung der Toten und die Erneuerung der Welt nach sich ziehen würde.
Und da sagt Paulus: Stop! Das passt nicht zusammen! Die Auferstehung Jesu feiern, aber die Auferstehung der Toten nicht erwarten – das geht nicht! Wie sollte Gott Jesus vom Tod retten können, aber bei den anderen kriegt er es offenbar nicht mehr hin? Oder hat er keine Lust dazu? Wenn man nicht die Hoffnung für die ganze Welt und alle Menschen festhält, dann verliert man am Ende auch das, was man geglaubt hat, nämlich die Auferstehung Jesu.
Das ist genau wie Weihnachten: wenn man nicht mehr an den Heiland und Retter der Welt glaubt, dann wird aus Weihnachten ein Familienfest, wo man sich fürchterlich auf die Nerven gehen kann, mit viel Stress vorher, und keiner weiß mehr so richtig, wofür das gut ist.
Bei den großen Festen der Christenheit geht es nie um die Erinnerung an große Ereignisse der Vergangenheit. Es geht immer darum, dass Gott durch Jesus etwas tut, durch das die Situation der ganzen Welt bis heute grundlegend verändert wird: Jesus wird geboren, und dadurch verbindet sich Gott endgültig mit dem Schicksal der ganzen Menschheit. Jesus stirbt und besiegelt damit ein Leben, das von Anfang bis Ende nach dem Herzen Gottes ist. Jesus wird auferweckt, und damit bestätigt Gott seinen Weg und beginnt mit der Erschaffung einer neuen Welt – Jesus ist der Anfang. Dass man seine Lieben wiedersieht, gehört da auch mit zu, aber es geht um viel mehr, der Horizont ist viel, viel weiter gespannt.
Auferstehung der Toten bedeutet Weltrevolution. Auferstehung der Toten bedeutet den ultimativen Aufstand Gottes gegen die Todeswelt. Auferstehung der Toten bedeutet: die ganze Weltgeschichte von Adam an wird neu aufgerollt. Es kommt alles noch einmal zur Sprache. »Siehe, ich mache alles neu« sagt Gott. Jedes einzelne Leben und die ganze Welt. Ich bin nicht damit einverstanden, wie Menschen bei euch gelebt haben und gestorben sind.
- Gott schaut auf die Menschen, die viel zu früh gestorben sind, an einem Unfall oder an einem Kunstfehler im Krankenhaus.
- Er sieht die Kinder, die durch Gewalt umgekommen sind,
- er denkt an die alten Leute, die sich um ihr Leben betrogen fühlen und Recht damit haben.
- Er sieht den jungen Mann, den bei Unruhen eine verirrte Kugel getroffen hat, und keiner weiß, woher sie kam und warum gerade er jetzt nicht mehr lebt.
- Er sieht die indische Mutter, die sich in der Arbeit für ihre Familie aufgerieben und nie Dank dafür bekommen hat.
Ich könnte stundenlang so weiterreden und erzählen von Menschen, die traurig und schlimm gestorben sind und von Menschen, die traurig und schlimm leben mussten, und ich hätte doch immer noch nur ganz wenig von all den traurigen Schicksalen in der Welt erwähnt. Aber Gott kennt sie alle. Er leidet mit ihnen allen. Und als Jesus starb, da starb er für alle, und als Gott ihn auferweckte, da dachte er nicht nur an Jesus, sondern er begann mit der großen Revision der Unrechts- und Unglücksgeschichte der Menschheit.
Und die Frage ist: Ist dieser Gedanke nur Folklore, ist das ein netter Trost, damit wir hier beruhigter durchs Leben kommen, oder ist das harte Realität?
Paulus sagt: entweder es gibt keine Auferstehung – dann spart euch doch die christlichen Sprüche, den Glauben, die Gottesdienste, das Geld und was noch dazugehört. Das ist dann alles leeres Gerede, vielleicht schön für Ostern und tröstend, wenn wir jemanden begraben müssen. Aber es ist Opium, Träumerei, eine Beruhigungspille für die Seele, kraftlose Ideologie. Es wärmt unser Herz, aber es hat keine Folgen in der Wirklichkeit. Dafür sollte sich keiner abarbeiten oder sein Leben geben.
Oder es gibt Auferstehung, dann ist es der Durchbruch zu einer ganzen neuen Welt, das stellt die Welt des Todes auf den Kopf, da wird die Welt noch einmal neu erfunden. Und dann gibt es nichts Wichtigeres, als dass wir aktiv zu Jesus Christus und seiner neuen Welt dazugehören.Dann ist es sinnvoll, sich mit viel Geduld um Menschen zu kümmern, dann müssen wir darauf achten, dass wir nicht gegen Gottes Willen handeln. Dann ist jedes unbedeutende Wort von Bedeutung für die Zukunft, es reicht über den Tod hinaus, egal, wie erfolgreich oder erfolgsarm es aktuell ist.
Wenn es aber irgendwann einmal schlicht heißt: Licht aus! Ende, Schluss! Und nichts kommt mehr. Was ist dann die konsequente Folge? Paulus beschreibt es einmal so: Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot. Wenn es schon in ein paar Jährchen oder auch erst in ein paar Jahrzehnten mit uns zu Ende ist, dann lasst uns bis dahin wenigstens ordentlich einen draufmachen. Nach mir die Sintflut!
Sollen wir etwa die Menschen dann noch belasten mit Glaubenssätzen und Geboten und Konfirmandenunterricht und Gottesdiensten und Bibeln und andern solchen Dingen? Und vor allem: mit Verantwortung, mit Nachdenken, wie man sein Leben möglichst richtig führen soll, mit dem Mitleiden an dem Schicksal anderer Menschen? Das Leben ist so kurz, und wenn diese paar Jahre das einzige sind, was wir haben, dann lasst uns sehen, dass wir sie so schön wie möglich zubringen.
Ich habe mal eine Untersuchung gelesen von jemandem, der die europäische Einstellung zum Leben in den letzten Jahrhunderten untersucht hat. Und der hat herausgefunden, dass es im europäischen Lebensgefühl einen entscheidenden Bruch gegeben hat, als die Menschen anfingen, an einer Zukunft nach dem Tod bei Gott zu zweifeln. Seit dieser Zeit versuchen die Menschen, um fast jeden Preis länger zu leben und in dieser Lebenszeit auch mehr zu erleben und vor allem das Leid und die Krankheit um jeden Preis zu reduzieren.
Ich habe neulich einen Artikel gelesen von jemandem, der Stimmung unter Jugendlichen beobachtet (Klaus Hurrelmann), und der hat dort beobachtet, dass die sich ganz ungern auf irgendetwas verbindlich festlegen. Sie tun viele Sachen gerne, aber sie vermeiden es, sich wirklich mit irgendetwas ganz zu identifizieren. Ich denke, dass das aber nicht nur für Jugendliche gilt, da fällt es vielleicht nur am meisten auf. Und er schreibt: der Grund dafür ist, dass sie nicht wissen, ob nicht noch etwas Besseres kommt. Es gibt so viele Möglichkeiten, und ich könnte ja die allerbeste verpassen, wenn ich mich auf eine zweitbeste festlege. Also muss ich mir unbedingt einen Wechsel offenhalten! Und so kann die Angst, etwas zu verpassen, im Extremfall dazu führen, dass man das ganze Leben immer nur probeweise lebt. Und dass man nichts ins Leben investiert aus Angst, es könnte die falsche Stelle sein.
Andererseits: Wer nicht mit der Hoffnung auf die Auferstehung der Toten lebt, der muss sich mit irgendetwas seine Angst vor dem Dunkel und dem Ende betäuben. Das kann Arbeit und Fortschritt sein, der Weg, den Europa als Ganzes gewählt hat. Die Gemeinde in Korinth, an die Paulus schreibt, die haben es ganz pfiffig gemacht, die haben sich tatsächlich mit Jesus getröstet. Die haben gesagt: »Ja, Jesus ist natürlich auferstanden, wir merken es immer wieder, wie er uns begeistert. Enorm, wie er unser Leben verwandelt. Enorm, was wir alles erfahren durch den Heiligen Geist (und man muss sagen, da passierte in Korinth viel). Aber das reicht uns völlig. Nein, eine allgemeine Auferstehung der Toten – daran wollen wir nun doch nicht denken. Und dann müssten wir uns eigentlich viel mehr Mühe mit der Welt und der Gegenwart geben, wir hätten dann so viel Verantwortung, wenn es für diese Welt noch eine ganz andere Zukunft gibt. Es reicht uns, dass wir hier für uns selbst so viel Gutes erfahren.«
Aber Paulus sagt: Jesus ist auferstanden, und zwar als Erstling der Entschlafenen, also als Modell für die ganze Welt. Jesus wollte ja nie allein sein. Immer hat er Menschen mitgenommen auf seinen Weg, die Jünger und viele andere. Ihm lag an den Menschen, die vom Leben gezeichnet waren, die gescheitert und gebrochen leben mussten, und keiner war da, der sie heilen konnte. Er hat sein Leben für andere gelebt, und er ist für alle gestorben und auferstanden. Und wenn wir überzeugt sind, dass alles eine Zukunft hat, dann gehen wir seinen Weg mit und bleiben der Erde treu.
Wenn wir uns einen Augenblick mal vorstellen, das Letzte, was wir von Jesus wüssten, wäre seine Kreuzigung gewesen. Falls wir dann heute überhaupt noch etwas von ihm wüssten – was würde das bedeuten? Es würde heißen, dass Gott den Weg Jesu nicht bestätigt hätte. Es würde heißen: Dieser Weg Jesu wäre zwar eine tolle Sache, herzerwärmend und ermutigend anzusehen, aber am Ende wäre er doch vom Bösen besiegt . Und gerade so wäre es sehr entmutigend. Man könnte sagen: wenn einer es schaffen würde, hier auf der Erde etwas Positives hinzukriegen, dann doch wohl Jesus – und selbst der ist gescheitert. Dann lasst wirklich die Finger davon. Dann seht zu, dass ihr euch noch ein paar schöne Jahre macht, anstatt eure Lebenszeit in die Welt und die Menschen zu investieren. Das bringt eh nichts, man sieht es ja an Jesus.
Weil aber Jesus auferstanden ist, als Anfang der neuen Welt Gottes, deshalb gibt es auch Zukunft für alle, die ums Leben gebracht oder um ihr Leben betrogen worden sind. Und es geht nichts von dem verloren, was im Namen Jesu getan wird. Jesus sagt einmal: wenn jemand euch, meinen Jüngern, um meinetwillen auch nur einen Becher Wasser gibt, das wird von Gott nicht vergessen werden. Oder wer hier abwäscht nach einer Gemeindeveranstaltung oder eine Gruppe leitet oder Einkaufen geht oder Musik macht, irgendetwas Kleines oder Großes, und er macht es um Jesu willen und in seinem Namen, damit ist er drin in der großen Hoffnung Gottes für die Welt. Es gibt eine Zukunft Gottes für die ganze Welt, und unsere persönlichen Hoffnungen sollen da mit hineinkommen. Wenn wir im Glaubensbekenntnis die Auferstehung der Toten bekennen, dann ist dieser Horizont gemeint, und ohne ihn wäre der christliche Glaube bloß ein raffiniertes Genussmittel für die Seele. Vielleicht kommt ja die ganze Kraftlosigkeit unseres Christentums davon, dass wir unsere Hoffnung so begrenzt haben. Und dann sind wir auch praktisch sehr begrenzt. Aber seht doch: Gott steht voll und ganz hinter dem Weg Jesu, der durch die ganze Welt führt. Er wird ihn zu Ende führen, bis jeder Winkel der Erde davon erreicht ist.