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Zu Hartmut Rosas Buch „Beschleunigung und Entfremdung“ (Teil 2)

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““Wenn die Beschleunigung im Herzen der modernen Gesellschaft selbst angesiedelt ist, dann stellt sich natürlich die Frage, ob es wirksame Gegenkräfte der Entschleunigung gibt. Und tatsächlich beschreibt Rosa 5 entschleunigende Faktoren, die jedoch (um es gleich vorwegzunehmen) nicht gegen die beschleunigende Dynamik des Wettbewerbs ankommen.

  • Natürliche Geschwindigkeitsgrenzen: Als Beispiele führt Rosa etwa die Dauer einer Schwangerschaft oder einer Erkältung an. Es ist bis jetzt noch nicht gelungen, diese und andere Prozesse wirksam zu beschleunigen. Aber in vielen anderen Fällen hat die Moderne tatsächlich scheinbar „natürliche“ Geschwindigkeitsbegrenzungen auf spektakuläre Weise überwunden.
  • Entschleunigungsoasen: In manchen Nischen scheint tatsächlich „die Zeit stehengeblieben“ zu sein; manche Konsumgüter besetzen solche Nischen mit dem Hinweis, dass sie auf traditionelle Art mit Zeit zum Reifen hergestellt seien. Aber die meisten dieser Entschleunigungsoasen geraten in der Spätmoderne verstärkt unter Beschleunigungsdruck und müssten ggf. bewusst geschützt werden.
  • Entschleunigung als Dysfunktionalität: Als Nebenfolge der Beschleunigung entstehen an manchen Orten dysfunktionale Verlangsamungen, wie etwa Staus, aber auch Depressionen.
  • Beabsichtigte Entschleunigung: Bei dieser Art von Entschleunigung kann es sich um systemimmanente Auszeiten ( … Manager im Kloster, Yogastunden … ) handeln, die Menschen fit machen sollen für die nächste Runde im Hamsterrad; möglich ist aber auch eine funktionale Entschleunigung, die davon ausgeht, dass ein stabiler Rahmen die Voraussetzung für jede Weiterentwicklung ist. Um die Zukunft der Gesellschaft nicht zu untergraben, muss dieser stabile Rahmen vor weiterer Dynamisierung geschützt werden. Ein Beispiel für eine solche gezielte Entschleunigung wäre z.B. die Kontrolle der Kapitalflüsse durch Regeln oder eine Tobinsteuer. Es ist aber auch bezeichnend, dass es bis jetzt nicht gelungen ist, solche Regeln durchzusetzen.
  • Erstarrung als Rückseite der Beschleunigung: Die Beschleunigung könnte die utopische Energie der Gesellschaft aufzehren und so das ganze System in eine rasende Orientierungslosigkeit versetzen. Wenn sich die Entwicklung nicht mehr in ein sinnvolles Narrativ („Fortschritt“) kleiden lässt, kann sich das wie das Ende der Geschichte anfühlen.

Unter der Voraussetzung, dass sich in diesen fünf Kategorien alle relevanten entschleunigenden Faktoren finde, scheint es tatsächlich in modernen Gesellschaften zu einem massiven Ungleichgewicht zwischen Be- und Entschleunigung zu kommen. Denn keiner dieser fünf entschleunigenden Faktoren ist eine echte Gegenkraft.

Welche Folgen das laut Rosa für unser Selbst- und Weltverhältnis hat, darüber im nächsten Post.

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