Der Gott, der dabei ist

Predigt am 1. Juli 2018 zu Psalm 23

1 Ein Psalm Davids.

Der HERR ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.

2 Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser.

3 Er erquicket meine Seele.
Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.

4 Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück;

denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.

5 Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.
Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.

6 Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,
und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.

Ob dieser Psalm ganz oder teilweise wirklich von König David stammt, das ist hier genauso ungewiss wie bei den meisten Psalmen, über denen steht »Ein Psalm Davids«. Aber es ist in der Tat ein Psalm mit königlichen Anklängen: die Könige wurden in der alten Zeit als »Hirten« ihrer Völker bezeichnet. Darin ist das Herrscherliche mit dem Fürsorglichen verbunden: die Herrscher sagten, wo es lang geht, aber sie mussten auch dafür sorgen, dass es ihren Völkern gut ging: schon im eigenen Interesse, aber es wurde auch von ihnen erwartet.

Königliche Assoziationen

In Israel hat sich das dann so weiter entwickelt, dass es eine große Enttäuschung über die real regierenden Könige gab. Die Propheten haben oft über die »Hirten Israels« geklagt, die sich selbst weiden und die Herde vernachlässigen. Und deswegen kam dann Gott ins Bild als der eigentliche Hirte seines Volkes. Im Neuen Testament wird das wieder aufgenommen, da sind die Leiter der Gemeinde ihre Hirten, aber Jesus oder Gott ist der eigentliche Hirte der Gemeinde, der sprichwörtliche »Gute Hirte«.

Im 23. Psalm hat nun jemand die Vorstellung vom Volk, das von Gott als seinem Hirten geführt wird, auf einen einzelnen Menschen übertragen. Und man kann sich gut vorstellen, dass tatsächlich mal ein König, vielleicht sogar wirklich David, auf die Idee gekommen ist, zu sagen: ich soll mein Volk wie ein Hirte führen, aber ich brauche selbst auch jemanden, der so auf mich aufpasst, und das kann dann nur Gott sein.

David, Jesus und der Psalm

Und egal, ob es nun historisch stimmt: es passt gut zusammen mit dem, was wir von David wissen. David ist einer der ersten Menschen, von dem wir sehr viel über seine persönliche Gottesbeziehung wissen. Der ist wohl tatsächlich jemand gewesen, der sein Leben immer im Dialog mit Gott geführt und durchdacht hat. Deshalb wurde er von Gott auch als König ausgewählt, weil er einer war, der aus ganz persönlicher Motivation heraus Gott bei allem mitreden ließ.

Und einen langen Zeitraum seines Lebens hat er ja in großer Unsicherheit verbracht: als der Prophet Samuel ihn zum König salbte, da war eigentlich Saul König von Israel, und zwischen den beiden gab es ein – sagen wir – sehr kompliziertes Verhältnis, das eine Zeit lang auch militärisch ausgetragen wurde: Saul versuchte, Davids habhaft zu werden, und der versteckte sich in der Wüste und in Berghöhlen, gemeinsam mit seinen Leuten, die ein wilder, zusammengewürfelter Haufen aus Heimatlosen und Entwurzelten waren.

Es gehörte zu Davids wichtigsten Aufgaben, immer wieder Nahrung zu beschaffen für sich selbst und diesen Haufen wilder Männer, die ihm vertrauten. Sie hatten wenig Sicherheit und waren tatsächlich darauf abgewiesen, dass sie Tag für Tag wieder jemanden fanden, der ihnen etwas abgab zum Lebensunterhalt. Man kann sich sogar vorstellen, dass viel später Jesus sich selbst mit seinen Jüngern in diesem Bild von David und seinen Leuten wiedererkannt hat. Wir haben ja vorhin in der Lesung (Markus 8,14-21) gehört, wie er sie fragt: habt ihr je Mangel gehabt, so lange ihr mir folgt? Und sie bestätigen: nein, du hast immer für uns gesorgt. Und dann ist die Antwort Jesu: also macht euch darum keine Sorge, Essen ist nicht das Problem, aber hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer! Also: achtet darauf, dass ihr euch von frommen Kontrollettis kein falsches Gottesbild einreden lasst! Und man kann sich gut vorstellen, wie Jesu Vertrauen in den Vater im Himmel, der Menschen und Spatzen mit Nahrung versorgt, aus alttestamentlichen Texten wie dem 23. Psalm gewachsen ist.

Vertrauen, aber nicht romantisch

Denn in der Tat ist dies ein Text über Vertrauen. Die Menschen in der biblischen Zeit waren allerdings besser als wir davor geschützt, das allzu romantisch zu verstehen. Damals konnte man nicht ganz so schnell an niedliche, kuschelige Schäfchen denken, weil die Leute besser wussten, dass es harte Arbeit ist, eine Herde zu beaufsichtigen. Man muss dauernd darauf achten, dass alle beieinanderbleiben, gelegentlich muss man wilde Tiere abwehren, die Schafe haben durchaus einen strengen Geruch, und Wohnwagen mit Dusche waren auch noch nicht erfunden. Romantisch geht anders.

Aber es bleibt, dass hier jemand davon spricht, wie Gott sich um seine Bedürfnisse kümmert. Gott achtet auf einen Menschen, er sieht, was er braucht, er schaut auf seinen Lebensweg und führt ihn so, dass er alles bekommt, was er nötig hat. Die Bilder dafür sind das saftige grüne Gras, das ja im vorderen Orient durchaus nicht überall sprießt und wächst; es sind die Wasserstellen, wo das Wasser nicht schnell weg fließt, sondern ruhig verweilt, so dass man bequem trinken kann.

Eine Welt voller Schrecken und Güte

Hier beschreibt also jemand die Welt als Ort, an dem die belebende Zuwendung Gottes immer wieder zu erfahren ist. Die Welt ist keine seelenlose Maschine, sondern sie ist ansprechbar, in, hinter und unter ihr ist ein Gegenüber zu entdecken, das für uns ist und nicht gegen uns. Die Welt ist nicht einfach so, wie sie ist, sondern sie antwortet unterschiedlich, je nachdem, wie wir sie ansprechen. Jeweils wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es auch wieder heraus. Man muss es nicht wahrnehmen, aber in der Welt ist eine freundliche Kraft des Lebens tätig, und wenn wir nach ihr Ausschau halten, wird sie sich uns erschließen.

Das heißt aber nicht, dass uns jemand glauben machen will, dass die Welt eben doch ein Ponyhof ist. Nein, in der Welt gibt es die dunklen Täler, und auch dem Beter dieses Psalms bleiben sie nicht erspart. Es gibt die Feinde, die in den Psalmen wirklich fast überall zu finden sind. Hier in diesem kurzen Psalm ist das nicht in Einzelheiten beschrieben, aber die Feinde bilden einen sehr präsenten Hintergrund, der an prominenter Stelle sichtbar wird. In der Bibel ist es normal, dass Menschen Feinde haben; man muss sich die gar nicht machen, die kommen von allein.

Gott bleibt bei uns

Und die Hoffnung ist nicht, dass Gott uns das alles erspart, sondern dass er mit uns da hindurch geht. Und er tut das »um seines Namens willen«. Der Name sagt etwas über die Person, die ihn trägt und über ihre Geschichte. Wenn Gott sich um uns kümmert, dann tut er das nicht, weil wir ihn genervt haben mit unseren Bitten, und er endlich mal Ruhe haben will, sondern er hat sich aus freien Stücken entschieden, unser Gott zu sein und für uns zu sorgen. Es ist Gottes eigene Sache. Er setzt seine Ehre da hinein, für seine Menschen zu sorgen. Gottes Ehre und Freude sind freie Menschen, die vertrauensvoll und mutig ihren Weg mit ihm gehen. Menschen, die auch in den dunklen Tälern des Lebens sagen: ich fürchte mich nicht, »denn du bist bei mir«.

Das ist der entscheidende Satz, der Dreh- und Angelpunkt des Psalms. Dass Gott mit uns ist, das ist der Grund allen Vertrauens. Dass Gott auch durch die finsteren Zonen der Welt begleitet, das lässt Menschen mutig in die Dunkelheiten der Welt hineingehen. In diesem Vertrauen ist Jesus aufs Kreuz zugegangen und ist nicht geflohen. Und so sollen wir lernen, dass unsere Sicherheit in dem Satz liegt, dass Gott mit uns ist und nicht in den vielen Sicherheiten, auf die wir uns normalerweise ganz routinemäßig verlassen.

Aber Gott ist nicht berechnbar

Und so sind Menschen immer wieder auch in Leid und Anfeindung Gott begegnet, so haben Menschen auch in Gefängnissen und Lagern erlebt, dass Gott bei ihnen ist, dass er sie getröstet und auch beschützt hat, dass er sie davor bewahrt hat, zerstört zu werden. Es gibt die Zeugnisse von Christen, die davon sprechen, wie sie zuerst völlig überwältigt waren und Gott nicht gefunden haben, als sie in die Gewalt von Geheimpolizei und Sicherheitskräften kamen, aber dann irgendwie doch auf Gott stießen mitten in Gewalt und Dunkelheit. Wir, denen das bisher erspart geblieben ist, können uns nicht wirklich vorstellen, wie das gehen soll. Wir können es nur ahnen. Es ist auch kein Automatismus, keine selbstverständliche oder berechenbare Erfahrung, und bei mir muss das überhaupt nicht so ablaufen wie bei jemanden, von dem ich gelesen oder gehört habe.

Man kann das vielleicht ein wenig hochrechnen von weniger dramatischen Situationen der Hilfe, die wir erlebt haben; man kann versuchen, sich zu erinnern, wie es war, wenn Gott einen anspricht und deutlich macht: ich bin da! Fürchte dich nicht! Und wenn wir dann trotz allem gut schlafen konnten, dann ist das ein Hinweis darauf, dass Gottes Nähe die entscheidende Hilfe ist, egal, wie das dann genau aussieht. Wenn einer das erlebt, das muss gar nicht jeden Tag neu passieren, sondern das kann einen auch für lange zeit stützen und begleiten.

Und wir sollen auch für Menschen beten, die in grauenvollen Umständen leben müssen, in den syrischen Foltergefängnissen zum Beispiel, und wir sollen wenigstens nicht mitleidlos die Augen verschließen vor all denen, die in die Gewalt von grausamen Feinden geraten sind. Wenigstens das sollen wir tun.

Gottes freies Geschenk

Dietrich Bonhoeffer, der ja selbst viel an Druck und Feindschaft ertragen musste, hat gesagt: Gott gibt uns das alles, Kraft und Schutz und Beistand, aber er gibt es nicht im Voraus, damit wir nicht denken, es käme aus unseren Möglichkeiten. Gottes Nähe ist nicht immer gleichmäßig da, sondern sie ereignet sich, immer wieder, als sein freies Geschenk, und auch in Reaktion auf unsere Bitten.

An dieser Stelle wandelt sich dann auch das Bild im Psalm: Gott erscheint als ein fürsorglichen Gastgeber, der seinem Gast den Tisch deckt, ihn mit wohlriechendem Öl salbt und ihm im Überfluss einschenkt. Wahrscheinlich denkt da jemand an Mahlzeiten im Schutzraum des Tempels – der Tempel war ja früher auch eine Art Asylraum, wo Menschen vor Feinden und Verfolgern sicher waren. Die Feinde waren nicht verschwunden, sondern sie wurden sogar noch Zeuge, wie der, den sie in die Zange nehmen wollten, in dem Schutzraum Gottes aufgenommen und versorgt wird. Und wer die Fürsorge Gottes selbst erlebt hat, der bildet dann hoffentlich auch wieder selbst einen Schutzraum, in dem andere der Güte und Gegenwart Gottes begegnen. Gott spricht manchmal sehr direkt zu uns und manchmal durch das, was andere in seinem Auftrag tun, ob sie es wissen oder nicht.

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