Back to the roots!

Predigt am 23. Februar 2014 zu Offenbarung 2,1-7 (Predigtreihe Offenbarung 03)

1 »Schreibe an den Engel der Gemeinde in Ephesus: Der, der die sieben Sterne in seiner rechten Hand hält und zwischen den sieben goldenen Leuchtern umhergeht, lässt ´der Gemeinde` sagen: 2 Ich weiß, wie du lebst und was du tust; ich kenne deinen unermüdlichen Einsatz und deine Ausdauer. Ich weiß auch, dass du niemand in deiner Mitte duldest, der Böses tut, und dass du die geprüft und als Lügner entlarvt hast, die behaupten, Apostel zu sein, und es nicht sind. 3 Ja, du hast Ausdauer bewiesen und hast um meines Namens willen viel ausgehalten, ohne dich entmutigen zu lassen.
4 Doch einen Vorwurf muss ich dir machen: dass du deine erste Liebe verlassen hast. 5 Erinnerst du dich nicht, wie es damals war? Wie weit hast du dich davon entfernt! Kehr um und handle wieder so wie am Anfang! Wenn du nicht umkehrst, werde ich mich gegen dich wenden und deinen Leuchter von seinem Platz stoßen. 6 Eins allerdings muss ich anerkennen: Du verabscheust die Praktiken der Nikolaiten genauso wie ich.
7 Wer bereit ist zu hören, achte auf das, was der Geist den Gemeinden sagt! Dem, der siegreich aus dem Kampf hervorgeht, werde ich vom Baum des Lebens zu essen geben, der im Paradies Gottes steht.«

Mit diesen Versen beginnen die sogenannten sieben Sendschreiben der Offenbarung: sieben Briefe an Gemeinden in Kleinasien, im Gebiet der heutigen Türkei. Johannes kennt diese Gemeinden, wahrscheinlich hat er dort gewirkt. Das Merkwürdige ist, dass ihm in dieser Vision von Jesus aufgetragen wird, nicht direkt an die Gemeinden zu schreiben; er soll an ihren »Engel« schreiben.

Der »Engel« der Gemeinde

Das klingt rätselhaft, und ich kann auch nur sagen, was mir am plausibelsten scheint: Der Engel ist der gute Geist der Gemeinde, er ist in jeder Gemeinde der Anwalt Jesu und seines Weges, er steht auch in aller Verwirrung und Abirrung für die göttliche Berufung der Gemeinde. Er verkörpert die verheißungsvolle Seite jeder Gemeinde.

Dieser Engel ist aber nicht Gott, er ist nicht allwissend, er ist nicht gefeit gegen Fehler, sondern er muss auf die Spur gebracht werden, er muss an seine Aufgaben erinnert werden. Er hat Anteil an unseren Begrenzungen und Defiziten, aber er ist das hoffnungsvolle Potential jeder Gemeinde.

Ist das nicht eine schöne Vorstellung, dass hinter jeder Gemeinde ein Engel steht, der sie begleitet, der mit ihr leidet, mit ihr lernt, sich vielleicht manchmal auch mit ihr verirrt, der sich aber von Gott rufen lässt, der von Jesus ansprechbar ist?

Der Briefabschnitt vorher, auf den wir vor zwei Wochen gehört haben, der endet ja mit den Worten: »Die sieben Sterne sind die Engel der sieben Gemeinden, und die sieben Leuchter sind die sieben Gemeinden.« Und unser heutiger Abschnitt beginnt mit einer Erinnerung an diese große Vision am Anfang des Buches, in der Jesus sieben Sterne, also die Gemeindeengel, in seiner Hand hält und sich unter den goldenen Leuchtern, den Gemeinden, bewegt.

Jesus und die Gemeinden

In diesen Bildern – Johannes macht ja Theologie in Bildern – wird das Verhältnis zwischen Jesus und den Gemeinden ausgedrückt: er bewegt sich unter den Gemeinden, er ist ihnen nahe, er schaut auf sie, und wenn er die sieben Sterne in seiner Hand hat, dann heißt das, dass er sie durch ihre Engel, ihre ansprechbaren Repräsentanten, leitet.

Als ich darüber nachdachte, fiel mir zuerst das Bild von einem Einsatzleiter ein, der auf einem Bildschirm die Bewegungen seiner Leute verfolgt und in seiner Hand ein Mikrofon hat, mit denen er ihnen Anweisungen gibt. An diesem Vergleich ist was dran, aber es gibt einen wichtigen Unterschied: Jesus gibt keine Kommandos in einer militärischen Befehlsstruktur, wo die Antwort dann nur noch sein kann: »verstanden, Ende.« Sondern er muss seine Leute und seine Engel immer wieder neu überzeugen. Er führt sie nicht wie Marionetten, sondern er spricht sie an, er redet ihnen zu. Er regiert die Welt dadurch, dass es Gemeinden gibt, die auf ihn hören, aber nicht alle Gemeinden hören auf ihn. Er muss sie immer wieder neu gewinnen. Das geht nicht immer gut, aber doch ziemlich oft.

Jesus regiert die Welt, weil es Gemeinden gibt, die trotz vieler Mängel und Zwiespältigkeit für ihn ansprechbar sind. In vielen Situationen der Kirchengeschichte haben Gemeinden lange geschlummert, aber im entscheidenden Augenblick dann doch auf Jesus gehört, und das hat den Lauf der Welt mehr als einmal verändert. Trotz all unserer Fehler und Halbherzigkeiten sind Gemeinden der wichtigste Kanal, durch den Jesus die Welt beeinflusst. Aber das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern Jesus muss seine Gemeinden und ihre Engel immer wieder neu zurückholen auf ihren Weg. In der Offenbarung sind wir sozusagen live dabei, wenn Jesus um sein Volk ringt.

Man kann übrigens vermuten, dass es dort in Kleinasien so etwas wie einen Engelskult gab: man hat Engel als mächtige himmlische Wesen verehrt, und Johannes knüpft auch an diese Vorstellung an, aber er macht deutlich: die Engel sind genauso korrekturbedürftig wie Menschen, und sie sind in der Hand Jesu, sie werden von ihm gelenkt. Also konzentriert doch eure Aufmerksamkeit bitte nicht auf die Engel, sondern auf den Chef!

Ephesus: eine Gemeinde mit Urteilskraft

Und nun kommt also die erste Botschaft an den Engel der Gemeinde von Ephesus. Ephesus war eine reiche Handelsstadt; die Gemeinde dort ist von Paulus gegründet worden, an sie ist der Epheserbrief gerichtet. Und zuerst wird die Gemeinde gelobt, dass sie eine klare Urteilskraft bewiesen hat, als umherziehende Verkündiger sich dort einnisten wollten, sogenannte »Apostel«, die die junge Bewegung unter Kontrolle bringen wollten.

Mit solchen Leuten hat schon Paulus zu kämpfen gehabt: kaum hatte er irgendwo eine Gemeinde neu ins Leben gerufen, dann kamen über kurz oder lang Leute, die sagten: ist ja ganz nett, wie der Paulus hier schon mal angefangen hat, aber jetzt kommen wir mit dem vollen, richtigen Evangelium, und von jetzt ab sind wir hier die Chefs. Und auf den bescheidenen Paulus folgten großspurige Alphatypen, die nicht Diener der Gemeinde sein wollten wie Paulus, sondern die ihr gewaltiges Ego raushängten und sich bedienen ließen.

Das passiert bis heute in den meisten jungen Bewegungen, nicht nur in christlichen, dass sofort Trittbrettfahrer aufspringen und versuchen, die lebendige Energie des Aufbruchs für sich zu nutzen. Im christlichen Milieu arbeiten sie oft mit prophetischen Eingebungen oder sind fürchterlich fromm und nutzen den Eifer und die Hingabebereitschaft der engagierten Gläubigen aus.

Das Erbe des Paulus

Aber in Ephesus hat das nicht geklappt, die Gemeinde hat sich nicht beeindrucken lassen. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass Paulus sie bei seinem letzten Besuch noch vor dieser Gefahr gewarnt hat. Im 20. Kapitel der Apostelgeschichte legt er den Leitern der Gemeinde dringend ans Herz: wenn ich hier weg bin, werden reißende Wölfe kommen, die über eure Gemeinde herfallen. Darum seid wachsam und schützt die Gemeinde davor!

Das hat offenbar gewirkt, die Epheser waren tatsächlich wachsam und sind nicht auf die Apostel mit dem gewaltigen Ego hereingefallen. Später kamen die Nikolaiten, wahrscheinlich eine frühe christliche Verirrung, über die man heute nur noch Vermutungen anstellen kann, und versuchten ebenfalls, sich in der Gemeinde einzunisten. Auch da haben die Epheser Urteilskraft und einen klaren Kopf bewahrt. So weit, so gut.

Nach dem Kampf bleibt Misstrauen

Aber anscheinend hatte dieser richtige Abwehrkampf gegen falsche Christen eine problematische Konsequenz: die Christen von Ephesus wurden misstrauisch. Wenn man dauernd darauf achten muss, nicht ausgenutzt zu werden und nicht auf falsche Fährten gelockt zu werden, dann traut man irgendwann keinem mehr. Die selbstverständliche Solidarität, die die Stärke so einer jungen Bewegung ist, die schrumpft nach und nach. Gastfreundschaft war ein Kennzeichen der jungen Christenheit. Wenn du aber ein paar Mal erlebt hast, wie deine Gastfreundschaft missbraucht wird, dann schaust du zweimal hin, wen du dir ins Haus holst.

Vorhin in der Evangelienlesung (Matthäus 24,9-14) haben wir ja schon von Jesus gehört, wie er seine Jünger warnt, dass falsche Propheten kommen werden, und wie er das im Zusammenhang nennt mit dem »Erkalten der Liebe«.

Zurück zur ursprünglichen Solidarität

Und deswegen ist die Botschaft Jesu nach Ephesus: finde wieder zurück zur ersten Liebe, zu dem selbstverständlichen Zusammenhalt, der die junge christliche Bewegung damals so attraktiv gemacht hat. Diese Selbstverständlichkeit, mit der man andere Christen in sein heiliges Wohnzimmer lässt; dieses feste Vertrauen, dass man sich dabei keine Sorge machen muss, weder um sein Tafelsilber noch um seine Ehefrau; diese tiefe Verbundenheit mit anderen Christen, die man noch gar nicht lange kennt; die Bereitschaft, großzügig mit anderen zu teilen, wenn es um die Sache Jesu geht: all das sind Kennzeichen einer lebendigen christlichen Gemeinschaft. Ja, es besteht immer die Gefahr, dass das ausgenutzt wird, aber die viel größere Gefahr ist, dass diese Hingabebereitschaft verschwindet und sich stattdessen Misstrauen und Kälte ausbreitet.

Bis heute gibt es so eine Szene selbsternannter Wächter und Warner, die überall falsche Lehre und den Untergang des christlichen Abendlandes wittern. Das ist so eine freudlose Szene, ich wende mich inzwischen nur noch schaudernd ab, wenn ich im Internet mal darauf stoße.

Es ist so wichtig, dass man seine Identität nicht in dem findet, wogegen man ist; dass nicht das Negative ins Zentrum rückt, sondern dass man verwurzelt bleibt in dem großen Positiven, das Jesus gebracht hat: eine neue Gemeinschaft von einer Tiefe und Übereinstimmung, die sich jemand, der das nie erlebt hat, gar nicht vorstellen kann. Das ist das lebendige Herz des christlichen Glaubens, und wenn es von Misstrauen überwuchert wird, dann stirbt die Bewegung.

Die Unterscheidung der Geister ist eine wichtige Sache, wir brauchen mündige Gemeinden, die nicht auf jeden Blender reinfallen, der mit beeindruckenden frommen Sprüchen um sich schmeißt. Aber wir dürfen nicht vergessen, was der christliche Normalfall ist, nämlich eine große Solidarität unter denen, die sich von Jesus haben ansprechen lassen – quer durch alle Konfessionen hindurch.

Jesus macht den Engel der Gemeinde darauf aufmerksam, was die Gemeinde verloren hat, während sie den – richtigen – Abwehrkampf gegen die falschen Christen führte. Und jetzt ist es Zeit, sich wieder an den Ursprung zu erinnern und wieder an die ursprüngliche Liebe anzuknüpfen. Sie wird dann noch tiefer und klarer werden als am Anfang, weil sie jetzt nämlich auch die Erfahrungen aus der Kampfzeit in sich aufgenommen hat.

Nach der Pubertät

Es ist ja kein Zufall, dass solche pseudochristlichen Blender sich besonders in ganz jungen christlichen Bewegungen tummeln. Da hat man noch kein durch Erfahrung bestätigtes Urteil, da sind alle noch unsicher, da gibt es viel Begeisterung aber wenig reife Führungspersonen. Das ist so ein bisschen wie die Pubertät einer Gemeinde, der jugendliche Überschwang, wo man denkt: was kostet die Welt? Nur der Himmel ist die Grenze! Und dann muss man erst lernen, dass es Fußangeln und Fallen gibt, von denen man vorher nichts ahnte. Und leider bleiben dabei junge christliche Bewegungen manchmal auf der Strecke, so wie auch manchmal Menschen an ihrem jugendlichen Überschwang zu Grunde gehen.

Aber wenn man durch diese Sturm-und-Drang-Zeit hindurch ist und es dann noch schafft, sich die Energie und Begeisterung der Jugend in verwandelter Form zu bewahren, dann ist etwas Großes geschehen. Dann hat man wirklich eine wichtige Klippe überwunden.

Und deshalb beendet Jesus die Botschaft nach Ephesus mit einem Satz, in dem es ums Überwinden geht: wer siegreich aus diesem Kampf hervorgeht, der darf vom Baum des Lebens essen, der im Paradies steht. Wenn ihr es geschafft habt, ein klares Urteil zu entwickeln, ohne dadurch in ständiges Misstrauen abzurutschen, dann seid ihr im Paradies angekommen. Dann lebt ihr in einer Liebe und Urteilskraft, die sich ein Außenstehender gar nicht vorstellen kann. Die Trittbrettfahrer aller Art durchschaut ihr sofort, ihre Sprüche und ihr Stil beeindrucken euch nicht mehr, aber mitten in einer Gesellschaft voll aufgeblähter Egos kennt ihr die wirkliche Liebe, die die richtige Nahrung für unser Herz und unser Leben ist.

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