Im Rhythmus der Psalmen: Wenn schon hassen, dann richtig

Dritter Teil meiner Gedanken aus dem Psalmen-Workshop beim Emergent-Forum in Berlin am 1.12.2013

Dies ist die dritte Folge von Gedanken aus meinem Psalmenworkshop beim Emergent Forum 2013. | Teil 1 | Teil 2 |

Jede Beschäftigung mit den Psalmen stößt eher früher als später auf die Strafwünsche gegen übermächtige Feinde. An einigen Stellen, den sogenannten „Rachepsalmen“ (z.B. Psalm 58) wird das sehr intensiv ausgemalt. Aber auch in vielen anderen Psalmen taucht die Bedrohung durch böswillige und gottlose Feinde auf – mit dem entsprechenden Appell an Gott, er möge diese Gegner scheitern lassen und sie darüber hinaus mindestens das erleiden lassen, was sie dem Bedrohten anzutun planten bzw. antaten.

Mit diesen Psalmen tun wir uns in der Moderne traditioneller Weise schwer. Wie passen diese Erwartungen an Gott mit dem Bild eines „lieben“, vergebenden, sanften, gewaltfreien usw. Gottes zusammen, den wir unseren Mitmenschen nahebringen wollen? Und – schwierigere Frage – wie passen sie mit der Feindesliebe zusammen, die Jesus beschrieb und lebte?

Leider habe ich erst nach dem Workshop einen Post auf dem Mosaik-Blog entdeckt, wo es um genau diese Frage geht. Ein paar Zitate daraus:

Der Text ist für Menschen, die unterdrückt werden. Der Text ist für die Menschen, deren Lage uns ein mulmiges Gefühl vermittelt.

und weiter:

Wie geht man mit Bibelstellen um, die Hoffnung auf Genugtuung, Vergeltung, Wut und Rache an Stelle derer ausdrücken, deren Stimmen nicht einmal bis zu uns heranreichen?  Diese Stellen werden
ignoriert
angezweifelt
verbildlicht
vergeistlicht
verniedlicht
für ungültig erklärt
stumm geschaltet.
Diese Stellen haben keinen Platz in der Anbetungszeit am Sonntag. Man druckt sie auch nicht auf Kalender oder postet sie mit einem kitschigen Bild auf Facebook. Diese Verse finden nicht statt.

Wie die Menschen, von denen sie handeln. Wir sollten lieber den Sicherheitsabstand einhalten. Unterdrückung, Ausbeutung, Ungerechtigkeit, Gewalt – das hat mit uns nicht zu tun. Warum sollten wir uns damit abgeben?

und schließlich:

Wir brauchen diese Texte ebenfalls. Unbedingt. Und das nächste Mal, wenn ein Text mir vorkommt, als beschreibe er eine andere dunkle Welt, dann möchte ich mich fragen  Was muss ein Mensch erlebt haben, um so etwas zu schreiben?

Das ist also die erste Antwort – eher eine Rückfrage: in solchen Psalmen kommt eine Wirklichkeit zur Sprache, die uns in der Regel sehr fremd ist. Und vielleicht zeigt sich in der Abwehr der Vergeltungsgedanken weniger, dass uns die Feindesliebe Jesu schon in Fleisch und Blut übergegangen ist.  Könnte es nicht eher sein, dass es die Realität der Unterdrückung und des brutalen Unrechts ist (ich spare mir drastische Blitzlichter – im Prinzip weiß jeder, worum es geht), die Menschen aus dem modernen,  zivilisierten Westen erschreckt, wenn sie sich in den Psalmen sehr deutlich ausspricht?

Und würde es nicht auch im bürgerlich-zivilisierten Westen zur Klarheit beitragen, wenn heftige Konflikte auch wahrgenommen würden, anstatt unter den Teppich eines „Wir wollen ja alle das Beste, nur auf unterschiedlichen Wegen“-Feelings gekehrt zu werden?

Hinzufügen will ich noch zwei andere Gedanken:

zum einen ist ja gerade charakteristisch, dass die Rache bzw. Strafe in den Psalmen Gott überlassen wird. Das bedeutet aber auch, dass Menschen damit überfordert sind und die Finger davon lassen sollten. Natürlich kann man sich auch unter diesem Vorzeichen immer noch als „Werkzeug“ des vergeltenden Gottes verstehen – aber das liegt außerhalb der legitimen Interpretationsspannweite der Psalmen.

Zum anderen können hier die Gedanken aus meinem vorigen Post zu den Psalmen zum Tragen kommen: im Psalter stehen unterschiedliche Wahrheiten nebeneinander, ohne sich gegenseitig aufzuheben und ohne, dass eine Art arithmetisches Mittel gebildet wird. Das arithmetische Mittel aus Hass und Feindesliebe wäre Nettigkeit: Abneigung, die die Formen wahrt. Ist es wirklich das, was Jesus mit Feindesliebe meinte?

Ich glaube eher, dass beides im vollen Maße wahr ist: ja, es gibt massives Unrecht, rücksichtslosen Missbrauch, schamlose Lüge. Und es ist natürlich, menschlich, angemessen, darauf so zu reagieren, dass man sagt: „Gott, mach ihn platt. Tu ihm an, was er mir tun wollte. Lass sie in der Hölle schmoren.“ Gut, wenn du und ich das noch nicht in dem Maß erleben mussten, aber es ist Realität. Es muss ausgesprochen werden dürfen. Und wer sich da überhaupt nicht reindenken kann, der weiß sehr wenig über die Realität der Welt. Es gibt den Schrei nach Vergeltung, der alle Argumente auf seiner Seite hat, und die Psalmen geben ihm Raum und Worte.

Erst wenn das klar ist, kann man im vollen Sinn von Feindesliebe sprechen. Nicht in dem Sinn, dass man sie aus sicherem Abstand den Opfern nahelegt, damit ihre Erfahrung weniger (ver)störend wirkt. Sondern im Wissen, dass Hass auch den auffrisst und zerstört, der ihn aus gutem Grund empfindet. Im Wissen, dass durch Rache die Täter sich auch noch in den Opfern fortpflanzen. Als Bereitschaft, Gott das Problem der vergeltenden Gerechtigkeit zu überlassen, weil es für Menschen mindestens eine Nummer zu groß ist.

Erst beides zusammen ergibt das volle Bild. Die Psalmen üben mit uns, die ganze Realität zu sehen: ungeschönt und ungezähmt, und trotzdem (gerade so!) voller Hoffnung und Hilfe.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Thomas Jakob

    Vor der Frage, wie ich mit Hassversen in Psalmen umgehen soll, habe ich bei Psalm 139 gestanden. Diesen Psalm finde ich so gut, dass ich ihn auswendig gelernt habe. Die Verse 19-23 habe ich allerdings weggelassen:

    „Ach Gott, wolltest du doch die Gottlosen töten! Dass doch die Blutgierigen von mir wichen! Denn sie reden von dir lästerlich, und deine Feinde erheben sich mit frechem Mut.
    Sollte ich nicht hassen, HERR, die dich hassen, und verabscheuen, die sich gegen dich erheben? Ich hasse sie mit ganzem Ernst; sie sind mir zu Feinden geworden.“

    Anscheinend ist hier zum geringeren Teil der Psalmist selbst bedroht („dass doch die Blutgierigen von mir wichen“). Der Rest bezieht sich auf Gottlose, Lästerer und Feinde Gottes. Der Psalmist lädt sich hier selbst mit Hass auf. Das sieht für mich aus wie das jüdisch-christliche Pendant zu einem ganz falsch verstandenen Dschihad.

    Damit will ich nichts zu tun haben. Ich nehme zur Kenntnis, dass diese Verse in der Bibel stehen und sortiere sie schlicht unter „unheilige Stellen in der Heiligen Schrift“ ein. Ohne irgendwelche Rechtfertigungsversuche.

    In meinem EG sind diese Verse bei Psalm 139 übrigens auch weggelassen worden.

    Thomas

  2. Walter

    Hallo Thomas, schön dich auch hier zu treffen! Je länger ich in den Psalmen lese, um so klarer wird mir, dass man das nicht auseinandersortieren kann: hier der legitime Protest der Opfer, dort der religiöse Dschihad. Die „Lästerer“ usw. sind nicht Leute, die das Ego des Beters (oder seines Gottes) verletzt haben und dafür bestraft werden müssen. Sondern es sind Leute, die (gerne auch in religiösem Habitus) anderen ihren Lebensraum zerstören. Sozusagen praktische Atheisten. Die Bibel (im Gegensatz zu manchen ihrer glühenden Verteidiger) stellt auf das reale Verhalten ab, nicht auf die Ideologie.

    Stell dir die formell christlichen Sklavenhändler vor, gegen die Sharp, Wilberforce und die Quäker gekämpft haben: macht es nicht Sinn, solche Menschenhändler als Gottlose, Lästerer und Feinde Gottes zu bezeichnen (weil sie sein Ebenbild zerstören)? Und sich deutlich zu machen, dass man mit denen nichts zu tun haben will (das ist nämlich die Stoßrichtung des biblischen Wortes „Hassen“: nicht die Emotion, sondern ein Nein ohne jedes Ja)?

    Aber auch, wenn du mir hier exegetisch nicht folgen könntest, würde ich sagen: mindestens in der Gegenwart ist das reale Problem unter uns nicht irgendein christlicher Dschihad. Das echte Problem ist die die Gleichgültigkeit unseres gesellschaftlichen Mainstreams, die sich leider auch in die Christenheit hineingefressen hat. Die tötet und zerstört weltweit ungezählte Menschen und Tiere.

    Deshalb wären die fraglichen Texte doch wohl mindestens insofern „Heilige Schrift“, als sie Christen vor die Frage stellen, ob sie denn mit der gleichen Energie und Entschiedenheit (mit der diese Texte sich gegen Blutgierige, Frevler usw. stellen) ein Nein ohne jedes Ja zu Unterdrückung, Ausbeutung, Menschenhandel usw. sprechen?

    Die Eindeutigkeit und Entschiednheit der Psalmen haben wir bitter nötig. Nicht die Psalmen brauchen Dekonstruktion, sondern „unser“ Selbstbild als die nicht-fanatischen, toleranten, humanen Aufgeklärten.

    Weniger abgekürzt und im Ganzen abgewogener wird einiges davon übrigens dargelegt in einem Text, auf den mich eine jüdische Freundin aufmerksam machte: http://www.haus-ohrbeck.de/download/VortragUrsulaSilber-deutsch.pdf

  3. Thomas Jakob

    Hallo Walter,

    ich habe etwas Bedenkzeit gebraucht, bevor ich auf Deinen Kommentar reagiere. Deine Auslegung der kritischen Verse in Psalm 139 überzeugt mich nicht. Wenn man das Hassen der Gottlosen und Lästerer interpretiert als die entschiedene Ablehnung von Menschen, die in ihrem Handeln gottlos und lästerlich sind, dann kann ich nicht mehr widersprechen.

    Aber aus meiner Sicht hast Du zweifach den Bedeutungsspielraum dessen, was da steht, eingeschränkt, um anschließend diese doppelt reduzierte Bedeutung zur gültigen zu erklären. Wenn man so etwas macht, dann muss die Einschränkung m. E. absolut zwingend sein, nur möglich reicht nicht. Das aber sehe ich hier nicht.

    Es mag sein, dass das hebräische Wort, das wir mit hassen übersetzen, nüchterner war, aber selbst dann wird es hier durch den Kontext aufgeladen. Es ist zusätzlich die Rede von Verabscheuen, es wird sogar der Tod der Gottlosen gefordert. Das ist mehr als eine leidenschaftliche Grenzziehung, das ist Exzess.

    Und im Sinne der Gottlosigkeit und des Lästerns werden eben nicht nur die Taten gewertet, sondern ausdrücklich auch das Reden.

    Nebenbei gesagt, zeigt Dein Beispiel der sich christlich nennenden Sklavenhändler aus meiner Sicht sogar die Notwendigkeit einer modernen Auslegung der Bibel. Zur Zeit der Bibel war Sklaverei ein selbstverständlicher Teil der Wirtschaftsordnung, bei historisch werktreuer Betrachtung kann es eigentlich nur scheitern, die Sklaverei aus der Bibel heraus ganz grundsätzlich kritisieren zu wollen. Dort wurden zwar Regeln aufgestellt, wie man mit Sklaven umzugehen hatte, aber nicht die Sklaverei grundsätzlich abgelehnt. Wilberforce, Sharp und all die anderen hatten natürlich trotzdem recht, aber eben deshalb, weil sie die mitfühlenden, toleranten, humanistischen, aufgeklärten Seiten der Bibel den zeitabhängig überholten vorgezogen und übergeordnet haben.

    Ich gebe Dir recht, dass wir Christen heute mehr mit Gleichgültigkeit und praktischem Atheismus zu tun haben als mit Dschihad- bzw. Kreuzzugsmentalität. Und ich bin weit davon entfernt, die Bibel aufweichen und auf das Nette, Liebe und Freundliche beschränken zu wollen. Meine bevorzugte Mischung ist schon länger 2/3 AT, 1/3 NT. Aber wenn ich eine Stelle finde, die mir quer heruntergehen würde, dann schlucke ich sie nicht, sondern protestiere. Ich meine, dass dazu auch der Gläubige das Recht hat. Abraham hat wegen Sodom sogar direkt mit Gott verhandelt, ohne Bibel dazwischen, und obendrein mit Chuzpe. Die Angewohnheit, sich nur auf den Bauch zu werfen und Ja und Amen zu sagen, ist m. E. erst später aufgekommen.

    Danke übrigens für den verlinkten Artikel. Ganz allgemein steht da viel Wahres drin, aber für mein spezielles Thema mit Psalm 139, 19-23 ändert er nichts an meiner Einschätzung.

    Herzliche Grüße

    Thomas

Schreibe einen Kommentar