Emergent Forum #ef10 in Essen: Emergenz in der Praxis

Versuch eines Resumees

  1. Dieses Forum war nicht nur durch die Inhalte, sondern auch im Stil wahrscheinlich das bisher emergenteste (kann man „emergent“ steigern?). Der Schwerpunkt lag eindeutig bei den Teilnehmern und ihren Aktivitäten, in den Themenräumen, in in der Lounge und im Rock-Cafe. Um es grotesk zu überspitzen: ein Kongress mit Spitzenreferenten braucht keine Teilnehmer, um abzulaufen; das Forum hätte ohne seine Teilnehmer nicht funktioniert.
  2. Wer also war da? Mit etwa 130-150 Leuten (genau gezählt hat, glaube ich, keiner – oder doch?) waren wir etwa ein Drittel mehr als im Vorjahr. Und geschätzte 40 % waren zum ersten Mal auf einem Forum. Die Mund-zu-Mund-Propaganda scheint zu funktionieren. Der Altersschwerpunkt lag dabei ganz deutlich zwischen gut 20 und gut 30 Jahren; darüber wurde die Luft schnell dünner.
  3. Bei meiner ersten emergenten Veranstaltung 2007 war ich über eine beinahe reine Männergesellschaft verwundert. Bei diesem Forum gab es ein ziemlich ausgeglichenes Geschlechterverhältnis. Für einen Landeskirchler (wir müssen ja wahrscheinlich demnächst Männerschutzgebiete einrichten) wie mich immer noch eine ungewohnte Erfahrung.
  4. Das charakteristische Bild aus diesen Tagen in Essen sind für mich viele kleine und große Runden, in denen intensiv und mit wertschätzender Neugier untereinander diskutiert wird. Von Anfang an konnte man mit vielen interessanten Leuten ins Gespräch kommen, die man vorher nicht kannte. Oder bisher nur aus dem Internet (Simon und Martin haben das ausdrücklich reflektiert). Am intensivsten erlebt habe ich das im Plenum am Samstag Mittag (ich habe allerdings schon den Abend und den Sonntag nicht mehr miterlebt, weil ich zu Hause arbeiten musste): der große Saal summte nicht wie der buchstäbliche Bienenkorb, sondern glich mit seinem Stimmengewirr eher einem Marktplatz. Spätestens da war ich mir sicher: es hat sich gelohnt, so konsequent auf die Teilnehmenden und ihre Aktivität zu setzen. Der Ansatz, Räume bereitzustellen, in denen nicht vorhersehbare Lernprozesse ablaufen können, hat funktioniert. Ja, das war das Forum: ein Ort für unübersehbar viele Lernprozesse; ein Ermöglichungsrahmen, in dem sich Menschen gegenseitig auf vielen kleinen und großen Lernschritten begleitet haben. Und das Ganze selbstorganisiert ohne großen Apparat.
  5. Dankbar waren wir aber für die großzügige Gastfreundschaft des Essener Weigle-Hauses. „Wenn sich irgendwo etwas gutes Neues bewegt, dann möchten wir da dabei sein“ hatte Rolf Zwick uns am ersten Abend sinngemäß begrüßt. Und das Haus war für das Forum ein beinahe perfektes Umfeld: mit der Lounge und all den vielen größeren und kleineren Räumen, in denen viele unterschiedliche Prozesse gleichzeitig Platz hatten. Dazu kamen die engagierten und freundlichen Mitglieder des Staffs, die anscheinend eine gut funktionierende Organisationskultur im Rücken haben. Und nie habe ich Tobias Klug genervt oder unfreundlich erlebt, trotz der unzähligen kleinen und großen Fragen, die an diesen Tagen bei ihm aufgelaufen sein müssen.
  6. Das vierte Forum war somit eine Illustration der Emergenztheorie: soziale Systeme haben das Potential, sich selbst zu organisieren. Sie sind nicht kontrollierbar und für Überraschungen gut. Sie entwickeln sich weiter und passen sich an Veränderungen an. Es mag sein, dass es auch etwas dauert, bis sich deutlicher herausstellt, wohin die Reise geht. Emergent Deutschland bleibt spannend. Wenn man aber den Echos im Internet zuhört, hat man den Eindruck: nächstes Jahr werden noch ein paar mehr dabei sein.
  7. Eben gerade lese ich noch auf der Website von Emergent Deutschland die Anfrage von Jay, ob es nicht – bei aller Wertschätzung der dezentralen Formen – auch ein paar Elemente geben könnte, die das Ganze wieder stärker zusammenführen (Jay hat es nicht verdient, dass sich ein etwas merkwürdiger Kritiker an ihn angehängt hat). Das ist sicherlich eine Anregung, die in die Überlegungen zum nächsten Forum eingehen wird. Wir sind eben ein lernendes System.

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