Karwoche mit N.T. Wright

Ostern in einem Verlierergebiet der Globalisierung

CoverbildN.T. Wright, ehemaliger anglikanischer Bischof von Durham, war in der Karwoche 2007 auf Einladung des örtlichen Pfarrers zu Gast in einer von Deindustrialisierung und Niedergang gezeichneten Gemeinde seiner Diözese, Easington Colliery. Täglich hat er dort eine Predigt gehalten. Dabei herausgekommen ist eine kurzgefasste Kreuzestheologie und gleichzeitig ein Beispiel dafür, wie gelebte Theologie in Zeiten der Globalisierung aussehen kann:

N.T. Wright: Christians at the Cross
Finding Hope in the Passion, Death 
and Resurrection of Jesus
(2007)

Ein vierstimmiges Lied

Wright beschreibt seinen Weg mit der Gemeinde durch die Karwoche als eine Einübung in einen vierstimmigen Liedsatz. Da ist einmal die Melodiestimme, der Sopran: das ist die Leidensgeschichte Jesu (in diesem Fall hauptsächlich nach dem Johannesevangelium). Aber diese Melodie wird grundiert und gestützt von der Bassstimme, dem Alten Testament, in dieser Predigtreihe vertreten vor allem durch die Gottesknechtslieder aus dem Buch Jesaja. Wenn man die Passionsgeschichte ohne diese Grundierung liest, wird man sie vom falschen Kontext her verstehen, auf jeden Fall nicht vollständig.
Zwischen Bass und Sopran liegen noch Tenor und Alt. Der Tenor steht für den Schmerz und die Trauer in unserer Welt: für die Zerstörung von Gemeinschaften und sozialen Netzen durch die Globalisierung, für Armut, Gewalt, Drogen und Unsicherheit, die seit der Schließung der Zeche 1993 auch in Easington Colliery Einzug gehalten haben. Für Unglück und plötzliche Katastrophen wie das Grubenunglück von 1951.
Wrights Ansatz: wenn es gelingt, diese Stimme innerhalb des ganzen Liedes zu hören, dann gibt es Hoffnung, auch für sehr desolate Verhältnisse. Schmerz und Sorgen können sich auf eine nicht voraussagbare Weise verändern, wenn sie mit dem Kreuz Jesu in Verbindung gebracht werden.
Schließlich die Altstimme: das ist unser persönliche Geschichte, die wir einzubringen haben in das Lied. Der Alt steht selten im Vordergrund, aber ohne ihn fehlt dem Ganzen etwas, und manchmal hat er eine ganz besondere Aufgabe. Die Karwoche ist eine Einübung, unsere ganz persönliche Melodie im Einklang mit Gottes Melodie zu singen.
So wird dieses Bild eines vierstimmigen Chorsatzes eine Hermeneutik im Kleinen.

Der Beitrag der Bassstimme:

Aus dem Alten Testament lernen wir: Gott will die Welt nicht zerstören und dann wieder ganz von vorne anfangen. Er will die Welt heilen. Dazu hat er sein Volk befreit und das Passafest eingesetzt. Dazu sendet er seinen Knecht, der auf neue Art Gottes Projekt verfolgt. Und deshalb sollen Christen auf seine Art den Gemeinschaften dienen, in denen sie leben. Nicht mit lauten Propagandaaktionen, sondern indem sie demütig und dienend Licht in die dunklen Zonen der Welt bringen.

Der Beitrag des Tenors

Wenn wir den Schmerz einer Gemeinschaft wie Easington Coliery und die Trauer unseres Herzens in die Leidensgeschichte Jesu hineinbringen, dann werden sie auch Anteil haben an dem Sieg Jesu. Aber wir wissen vorher nicht, wie Gott das Neue hineinbringen wird.

Die Melodie des Soprans:

Die Sünden, für die Jesus starb, waren kein abstrakter theologischer Begriff. In der Passionsgeschte sind die schlimmsten menschlichen Sünden fast vollständig vertreten. Jesus ertrug das Schlimmste, was das Böse einem Menschen antun kann. Aber er hat bis zuletzt mit Liebe geantwortet.

Der Beitrag der Altstimme:

Durch Jesus können wir vermeiden, auf das Böse mit Bösem zu antworten, zynisch zu werden oder uns in eine Opferhaltung bringen zu lassen. Wir können frei von dem werden, was man uns angetan hat. Das ist Vergebung.

Gründonnerstag – Einsetzung des Abendmahls:

Die Eucharistie ist ein Vollzug, der diese Wahrheiten verkündigt (1. Korinther 11,26), und damit ist nicht gemeint, dass das eine gute Gelegenheit wäre, um eine Predigt zum Thema zu halten. Der Vollzug selbst verkündet. In der Karwoche 2007 gab es in Easington Colliery auch die Möglichkeit, Sorgen und Leid auf Zettel zu schreiben, die in einem Korb gesammelt und am Karfreitag zum Kreuz gebracht wurden. Aber in erster Linie ist die Eucharistie das Symbol, in dem dieser Zusammenhang ausgedrückt wird (ein Gedanke, dem ich unbedingt nachgehen möchte).

Karfreitag – der Punkt, auf den alles zuläuft:

Jesaja 53 erzählt eine Geschichte von Gewalt und zerstörtem Menschsein. Aber es ist auch ein Lied über die Frucht des Leidens und Gottes Neuanfang mitten in Dunkelheit und Sinnlosigkeit. Und wenn Johannes die Kreuzigung Jesu beschreibt, dann steht in der Mitte das Wort Jesu: „es ist vollbracht“. So wie Gott am sechsten Schöpfungstag sein Werk abschloss, so beendet Jesu am sechsten Tag der Woche sein Rettungswerk. Gott kam in unser Chaos, hielt bei uns aus und brachte uns so die neue Schöpfung. Dieser Sieg muss jetzt umgesetzt werden (im Englischen hat Wright dafür das treffende Wort „implemented“).

Ostern – der Tag des Sieges:

Zu viele Christen haben Ostern so verstanden, dass Jesus auferstand und in den Himmel ging, und so wäre auch unser Ziel der Himmel bzw. das Paradies. Aber der Himmel bzw. das Paradies ist ein heller Tunnel zum neuen Himmel und zur neuen Erde. Und in Jesu Auferstehung ist schon ein Stück dieser neuen Welt hierher zu uns gekommen. Da ist jemand aus der Zukunft zu uns gekommen und sagt uns, dass wir besser aufstehen und an die Arbeit gehen sollten, weil eine neue Welt angebrochen ist. Wir sollen dafür sorgen, dass sich die neue Schöpfung in der alten ausbreitet. Dazu lassen wir alles Dunkle und Böse am Kreuz zurück.
Dieser kurze Abriss schöpft das Büchlein (80 Seiten) nicht annähernd aus. Besonders die starken lokalen Bezüge machen das Besondere aus und sind eine Ermutigung, selbst welche zu finden. Das Buch bietet einen Abriss der zentralen christlichen Themen in Wrights inspirierender Sicht. Ich werde mit ihm die Passionszeit und Ostern gestalten und habe für eine Predigt am 2. März schon hemmungslos daraus geklaut. Ich kann das Buch nur empfehlen. Hoffentlich findet sich mal ein Verlag, der eine deutsche Übersetzung herausbringt. Aber Wrights geschliffene, mit trockenem Humor gewürzte Sprache ist im Original natürlich ein – vielleicht unübersetzbarer – Genuss.

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