Die Herrlichkeit des Menschen

Predigt am 22. April 2018 zu Psalm 8

1 DEM MUSIKMEISTER. AUF DER GITTIT. EIN DAVIDSPSALM.
2 HERR, unser Herrscher‚*
wie herrlich ist dein Name auf der ganzen Erde!
Deine Hoheit zeigst du weit über die Himmel hin.*
3 Mit der Kinder und Säuglinge Mund
hast du eine Feste gegründet, deinen Gegnern zum Trotz,*
zum Schweigen zu bringen den Feind und den Rächer.
4 Schaue ich deinen Himmel, das Werk deiner Finger‚*
Mond und Sterne, die du befestigt hast:
5 Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst,*
des Menschen Kind, dass du seiner dich annimmst?
6 Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott‚*
hast ihn gekrönt mit Herrlichkeit und Pracht.
7 Du hast ihn als Herrscher gesetzt über das Werk deiner Hände‚*
alles legtest du ihm unter die Füße:
8 die Schafe und Ziegen und Rinder‚*
und auch die Tiere des Feldes,
9 die Vögel des Himmels und die Fische im Meer,*
und ihn, der dahinzieht die Pfade der Meere.
10 HERR, unser Herrscher‚*
wie herrlich ist dein Name auf der ganzen Erde!

Dieser Psalm fängt an als Lob Gottes und setzt sich fort als Lobpreis des Menschen. Der ganze Mittelteil ist ein Staunen über das menschliche Potential, dass dieses geringe Menschengeschöpf von Gott so überaus erhöht wird. Aber dieses Lob des Menschen ist gerahmt vom Lobpreis Gottes, der das alles erstaunlicher Weise genau so gewollt hat.

Großer Gott — kleiner Mensch?

Wir kennen ja vielleicht Traditionen, in denen Gott dadurch erhöht wird, dass man den Menschen möglichst klein macht. Luther z.B. hat von sich selbst immer mal wieder als von einem »fetten, stinkenden Madensack« gesprochen. Und immer mal wieder hören wir, dass wir als Menschen nichts tun können, dass wir ohnmächtig sind und Gott an unserer Stelle und für uns handeln muss. Und man glaubt, damit Gott besonders zu rühmen.

Hier im Psalm ist der Ton völlig anders. Die Herrlichkeit Gottes zeigt sich gerade darin, dass er den Menschen groß macht. Das ist es, worüber der Psalmsänger total erstaunt ist, wenn es sich klar macht: Gott hat die unendlichen Weiten des Weltalls geschaffen, er hat den Mond und die Sterne auf ihre Bahnen gesetzt, wir würden heute sagen: er die Milliarden und Abermilliarden Galaxien geschaffen, und wenn wir nachts unter dem Sternenhimmel stehen, dann wird uns erst bewusst, wie klein wir sind. Und trotzdem hat er sich in ganz besonderem Maß dem schwachen und äußerlich so unscheinbaren Menschen zugewandt. Wie kann das sein? Der Schöpfer des Universums schaut – auf uns?? In gewisser Weise sind wir doch wirklich nur nackte Affen. Warum sind ausgerechnet wir die Zentralfigur der Schöpfung? Warum schaut Gott vor allem auf uns, wenn er seine Schöpfung anschaut? Was ist denn an uns Besonderes? Sind nicht vielleicht viele, viele Planeten im weiten Weltall bewohnt wie die Erde?

Auf der Suche nach dem spezifisch Menschlichen

Es hat viele Theorien darüber gegeben, was das eigentlich Besondere am Menschen ist. Die einen sagen: die Vernunft ist das Einzigartige am Menschen, anderen meinen: es ist die Sprache. Oder es ist der Gebrauch von Werkzeugen. Oder es ist Freiheit von vielen Instinkten – wir bauen unsere Nester nicht instinktiv wie die Ameisen oder die Vögel, sondern planen unsere Häuser vorher, haben vorher ein Bild vom Ergebnis im Kopf. Oder ist es vielleicht die Fähigkeit zur Kooperation, dass wir gemeinsame Projekte anpacken können? Oder könnte es sein, dass das spezifisch Menschliche darin besteht, dass wir die Zukunft in Gedanken vorwegnehmen können, dass wir auch wissen, dass wir eines Tages sterben müssen?

Aber immer wenn jemand so eine Theorie darüber entwickelt, was das spezifisch Menschliche ist, dann kommt ein Forscher und sagt: Das ist aber kein grundsätzlicher Unterschied zu den Tieren. Auch Tiere können zielgerichtet handeln. Auch Tiere verständigen sich mit Signalen. Auch manche Tiere haben eine Ahnung von ihrer Sterblichkeit. Auch manche Tiere benutzen so etwas wie Werkzeuge, um sich Nüsse aufzuklopfen. Und viele Tierhalter sind fest davon überzeugt, dass ihr Hund sie zutiefst versteht und eigentlich sowieso der bessere Mensch ist.

Wenn wir jetzt noch einmal auf den Psalm schauen, dann können wir sehen, wie dort zwar beschrieben wird, dass der Mensch eine besondere Stellung gegenüber den Tieren hat. Aber der Mensch wird nicht in Abgrenzung zu den Tieren definiert. Dass der Mensch anders ist als die Tiere, dass er sie sogar beherrscht, das wird hier schlicht als Fakt vorausgesetzt. Aber das macht den Menschen nicht zum Menschen. Wir sind nicht deshalb etwas Besonderes, weil wir besser oder schlauer sind als die Tiere, sondern weil Gott sich aus Gründen, die wir nicht durchschauen, ausgerechnet uns zugewandt hat.

Der Mensch ist angeredet

Genau darüber staunt der Psalm: »Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du seiner dich annimmst?« Man könnte sogar sagen: die Sonderstellung des Menschen ist nicht darin begründet, dass wir vernünftig sind oder sprechen können, sondern gerade andersherum: weil Gott uns angeredet hat, deshalb konnten wir Sprache entwickeln. Weil Gott sich auf besondere Weise unserer angenommen hat, deshalb können wir seine Gedanken verstehen und sind etwas Besonderes.

Es ist wie bei vielen anderen Überlegungen: nimm Gott raus aus dem Bild, und alles kommt aus dem Gleichgewicht, es wird schief und problematisch. Wenn wir das Besondere des Menschen nicht wie der Psalm in der Erwählung durch Gott sehen, sondern in Abgrenzung zu den Tieren bestimmen, was folgt daraus? Dann müssen wir die Tiere klein machen, um uns groß zu machen. Sie kennen das vielleicht, dass reiche Leute gern auf Großwildjagd gehen, die letzten Elefanten oder Löwen abknallen, und man hat das Gefühl: die brauchen das, weil sie sich so bestätigen, dass sie noch stärker sind als Löwe oder Elefant. Wer sein eigenes Wesen in der Abgrenzung zu anderen sieht, der muss die anderen klein halten, weil sonst seine eigene Größe und seine Identität bedroht wäre.

Wenn wir aber einfach konstatieren, dass Gott uns unbegreiflicher Weise als etwas Besonderes gewollt hat, ohne dass wir irgendetwas dazu getan hätten, dann empfangen wir unser Wesen und unsere Sonderstellung von Gott und müssen uns nicht immer wieder unsere Überlegenheit bestätigen, indem wir die Tiere klein halten.

Der freie Mensch ist Gottes Ruhm

Gott braucht es ja auch nicht, dass er immer wieder bestätigt bekommt, wie viel stärker oder größer er ist als wir. Seine Herrlichkeit zeigt sich im Gegenteil gerade in der Größe seines Geschöpfes, des Menschen. Gottes Herrlichkeit zeigt sich an freien Menschen, die aus seiner Zuwendung leben und in Freiheit und Verantwortlichkeit die Schöpfung gestalten. Die wahre Größe des Menschen preist Gott.

Deswegen heißt es nicht: wie herrlich ist deine Schöpfung! Sondern: wie herrlich ist dein Name auf der ganzen Erde! Die Erwähnung des Namens Gottes erinnert immer daran, dass Gott sich ansprechbar gemacht hat, dass er mit uns in eine Beziehung eintritt. Die volle Herrlichkeit erreicht die Schöpfung also dann, wenn dort Wesen sind, die mit Gott kommunizieren, die von ihm angesprochen werden und ihm antworten. Erst damit ist die Schöpfung vollständig. Und diese Wesen, die Menschen, die hat Gott nur ein klein wenig geringer gemacht als sich selbst. Er wollte Wesen, mit denen er auf Augenhöhe, oder jedenfalls beinahe auf Augenhöhe kommunizieren kann.

Wenn man das auf unser Verhältnis zu den Tieren anwendet, dann würde das bedeuten: wir erreichen unsere wahre Größe als Menschen gerade dann, wenn wir die Tiere in ihrem ganzen Potential fördern, vielleicht Dinge an ihnen entdecken, von denen jetzt noch niemand ahnt, sie in jedem Fall nicht in Tierfabriken einsperren und als Anhängsel einer seelenlosen Maschinerie weit unter ihren Möglichkeiten vernutzen.

Aus dem Mund der Kleinen …

Und nun steht ganz am Anfang eine merkwürdige Zeile, die im Alten Testament ganz einzigartig ist. Aber wir haben vorhin in der Lesung gehört, dass Jesus sie zitiert (Matthäus 21,16), als die Priester sich bei ihm beschweren, weil die Kinder im Tempel »Hosianna dem Sohn Davids« schreien. Und da entgegnet Jesus mit dieser Stelle: »Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet«.

Der Zusammenhang hier im Psalm scheint zu sein: es gibt Mächte der Zerstörung, die nicht zulassen wollen, dass Gottes Herrlichkeit sich in seinem Geschöpf, dem Menschen, widerspiegelt. Es gibt schon von Anbeginn der Schöpfung an die Stimme der Skepsis, die sagt: so gut kann es doch gar nicht sein! Wir wollen doch nicht alle Hurrajubler sein. Einer muss doch mal ein bisschen Wasser in den Wein gießen. Alles hat zwei Seiten, und auch die Welt muss ihre dunkle Seite haben. Und diese Stimme der Skepsis, man könnte auch sagen: die Stimme des Meckerns und der Unzufriedenheit, die sucht Verbündete. Nichts wäre für sie schlimmer, als wenn alle anderen sagen würden: wunderbar! Herrlich! Gott hat es richtig toll hingekriegt! Dann käme nämlich heraus, dass nicht Gott das Problem ist, sondern der ewige Skeptiker selbst. Und deshalb versucht er, die Ehre Gottes zu beschädigen, indem er den Menschen beschädigt.

Wir wissen aus der Schöpfungsgeschichte, dass ihm das leider gelungen ist: er hat sein eigenes Misstrauen in den Menschen, das herrliche Geschöpf Gottes, eingepflanzt. Und jetzt sagt der Psalm: aber bei den Kindern und Säuglingen ist ihm das nicht gelungen. Die schreien ihre Lebensfreude heraus, und im Tempel scheren sie sich nicht um die heiligen Vorschriften der Priester, sondern nennen Jesus bedenkenlos den »Sohn Davids«. Der Feind hat vieles verdorben in der Welt, aber jede neue Generation muss er erst wieder neu mit Misstrauen infizieren, er muss ihnen mühsam die Freude am Leben austreiben. Und an den Kindern bekommen auch die Erwachsenen wieder eine Ahnung von der einfachen Freude am Sein, am Leben. Und immer wieder werden auch die Erwachsenen neu verzaubert von dem Augenblick, wenn ein neuer Mensch seine Lungen entfaltet und mit lauten Schreien die Welt begrüßt. Und für die Stimme der Skepsis ist das jedes Mal wieder ein Schlag ins Gesicht. Gottes Größe zeigt sich daran, dass er gerade durch die Kleinsten verherrlicht wird.

Alle tragen gleichermaßen Gottes Bild

So groß wird im Alten Testament vom Menschen gesprochen. Und das wird noch erstaunlicher, wenn man weiß, dass in der alten Welt bei den anderen Völkern so nur von den Königen gesprochen wurde. Der König, der war das Bild Gottes, der war der Inbegriff göttlicher Herrlichkeit. In wessen Adern königliches Blut floss, der war etwas ganz anderes als alle anderen. Aber hier wird vom Menschen gesprochen, von der ganzen Menschheit und von jedem einzelnen Menschen. Wir alle gemeinsam und auch jeder Einzelne haben die Herrlichkeit und Würde, die bei den anderen Völkern nur dem König zukam und seine Herrschaft begründete.

Es ist wahr, dass Menschen beschädigt sind in ihrem Auftrag, Bild Gottes zu sein. Es ist wahr, dass Menschen ihre Sonderstellung falsch verstanden und missbraucht haben, dass wir vergessen haben, dass diese Stellung ein Geschenk ist, auf das kein Recht haben, ein Auftrag, über den wir Rechenschaft ablegen müssen.

Gottes Grundentscheidung ändert sich nicht

Aber trotz allem bleibt diese Entscheidung Gottes gültig, dass die Menschen Stellvertreter Gottes in der Schöpfung und seine Ansprechpartner auf der Erde sind. Das ist unsere wahre Berufung. Und als Menschen sich immer weiter von dieser Berufung entfernten, da hat Gott selbst dafür gesorgt, dass mit Jesus ein Mensch lebte, der dieser Berufung gerecht wurde. Er erinnert uns an unsere wahre Wirklichkeit. Er ist der Anfang der neuen Menschheit, die sich von der Skepsis getrennt hat und voller Freude vor Gott auf seiner Erde lebt.

Dieser Psalm ist ein Aufruf, unsere wahre Größe in Gott zu entdecken und nicht gegen Gott oder ohne Gott. Eine Einladung, dankbar teilzunehmen am Staunen darüber, dass Gott gerade uns begnadet und berufen hat, gerade uns es zutraut, mit unserem Leben und unserem Lob seine Herrlichkeit zu vollenden.

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