Die Hoffnung der Mobbing-Opfer

Predigt am 4. März 2018 zu Psalm 4

DEM MUSIKMEISTER. MIT SAITENSPIEL.
EIN DAVIDSPSALM.

Wenn ich rufe, gib mir Antwort,*
du Gott, der für mich Recht schafft.

Du hast mir Raum geschaffen in der Bedrängnis,*
sei mir gnädig und höre mein Beten!

Ihr Mächtigen, wie lange noch schmäht ihr meine Ehre‚*
wie lang liebt ihr das Nichtige und sucht die Lüge?

Erkennt: Den Treuen hat der HERR sich auserwählt.*
Der HERR — er hört es, wenn ich zu ihm rufe.

Erschreckt und lasst die Sünde!*
Bedenkt es auf eurem Lager und werdet stille!

Bringet rechte Opfer dar‚*
auf den HERRN setzt euer Vertrauen!

Viele sind es, die sagen: /
»Wer läßt uns Gutes erfahren?*
Über uns, o HERR, erhebe dein leuchtendes Antlitz!«

Du hast mir weit größere Freude ins Herz gelegt‚*
als jene sie haben bei Korn und Wein in Fülle.

In Frieden leg ich mich nieder und schlafe;*
denn du allein, HERR, lässt mich sorglos wohnen.

Wir hören hier die Worte eines Menschen, der von anderen verleumdet und unter Druck gesetzt wird. Das ist in den Psalmen eine der am häufigsten erkennbaren Situationen: da scheint es mächtige Leute zu geben, die jemanden fälschlich beschuldigen oder Schlechtes über ihn verbreiten.

Bild: geralt via pixabay,
Lizenz: creative commons CC0

Und dieser manipulierte Dorfklatsch ist vermutlich deshalb so gefährlich, weil es damals ja keine Gerichte in unserem Sinn gab, wo man gegen ein Urteil auch Berufung einlegen kann. Streitigkeiten entschieden damals die Ältesten, die Oberhäupter der Familien, die sich im Stadttor trafen. Und die waren natürlich viel stärker manipulierbar durch das allgemeine Gerede, als es ein ordentliches Gericht ist. Da gab es direkte und indirekte Korruption, oder man traute sich nicht, dem Chef einer besonders angesehenen Familie zu widersprechen.

Außerdem sind in so einem überschaubaren Ort natürlich alle voneinander abhängig, und wenn über jemanden böse Gerüchte verbreitet wurden, dann konnte der nicht einfach sagen: rutscht mir doch den Buckel runter! Das hatte schnell Auswirkungen im Alltag, wenn der Rest des Dorfes mit einem nichts mehr zu tun haben will, wenn die Nachbarschaftshilfe nicht funktioniert und der Bauer von gegenüber mir nicht mehr seinen Pflug leiht, wenn meiner kaputt ist.

Nun muss man aber sagen, dass das alles Vermutungen sind. Man kann so eine Situation aus den Psalmen rekonstruieren, aber worum genau es bei diesen Verleumdungen und Streitigkeiten genau geht, das wird nie klar gesagt. Die konkrete Situation ist in der Regel nur andeutungsweise erkennbar. Viele Psalmen werden dem König David zugeschrieben, der ja ein großer Dichter und Sänger war. Manchmal werden sie sogar einer besonderen Situation in seinem Leben zugeschrieben. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass alle Psalmen, über denen »Ein Davidspsalm« steht, auch wirklich von David stammen.

Aber das muss kein Nachteil sein. Die Psalmen sind eben keine Geschichtsbücher, in denen uns 3000 Jahre alte Dorfkonflikte beschrieben werden, sondern sie sind Dichtung, und weil sich da jemand an Gott richtet, ist es Gebetsdichtung. In den Psalmen sind die genauen Umstände so unpräzise beschrieben, damit sich viele Menschen darin wiederfinden können. Und die Situation, dass andere dich zu Unrecht beschuldigen, das ist eben eine universal menschliche Situation. Klatsch wird zwar bei uns heute nicht mehr am Dorfbrunnen weitererzählt, sondern bei Facebook oder WhatsApp oder auf Bewertungsportalen, aber das macht die Sache nicht angenehmer.

Wer in der Schule oder am Arbeitsplatz gemobbt wird, wo er den Leuten nicht einfach aus dem Weg gehen kann, der hat ein großes Problem. Da kann man krank von werden. In der ehemaligen DDR war das sogar staatlich organisiert durch die Stasi, da hat man Oppositonelle systematisch zermürbt, indem man mit genauer Planung Gerüchte über sie verbreitet hat.

Deswegen sagt ja auch das 8. Gebot: »Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten«. Es geht nicht ums Lügen allgemein, sondern um Lügen, mit denen man andere in ihrem Umfeld unmöglich machen will, vielleicht sogar ihre soziale Existenz zerstört. Es geht um Menschen, die über andere eine falsche Geschichte erzählen und damit ihre Ehre, ihre Reputation, ihren Ruf ruinieren wollen. Man nennt das heute eher Mobbing, aber die Mechanismen sind die gleichen.

Ganz viele Psalmen beschreiben also eine Mobbing-Situation. Wenn man die Psalmen nicht nur in Auszügen liest, sondern ganz, dann ist es total auffällig, wie oft das vorkommt. Und erst recht auffällig ist es, dass Gott dabei derjenige ist, auf den die Gemobbten hoffen. Wir würden es ja vielleicht eher so erwarten, dass da gesagt wird: nimm das als Anlass, in dich zu gehen, überlege, ob die nicht vielleicht Recht haben, irgendwie musst du doch auch Schuld haben, wenn die dir so etwas vorwerfen, du bist schließlich auch ein Sünder.

Aber in den Psalmen ist Gott nicht jemand, der Menschen die von außen angegriffen werden, auch noch von innen bedrängt und ihnen ein schlechtes Gewissen macht. Stattdessen ist Gott in den Psalmen immer wieder der letzte und einzige Verbündete, den einer noch hat. So wie in unserem Psalm 4 gleich in der ersten Strophe nach der Überschrift:

Wenn ich rufe, gib mir Antwort,*
du Gott, der für mich Recht schafft.

Gott erscheint in den Psalmen immer wieder als der starke Verbündete, der dem Gemobbten beisteht und ihm Recht verschafft. Man kann sogar vermuten, dass es dafür im Tempel ein Ritual gab, in dem sich der Angegriffene verteidigen konnte, eine Art Gottesurteil, das die Priester vollzogen. Auch darüber wissen wir leider nichts wirklich Klares, aber in den Psalmen finden sich immer wieder Andeutungen, dass der Tempel eine Art Berufungsinstanz war, wo Menschen Zuflucht fanden, die in ihrer Gemeinschaft verurteilt worden waren. In den Gesetzen des Mose hören wir von einem Ritual für Frauen, die fälschlich des Ehebruchs beschuldigt wurden. Aber über das meiste haben wir nur Andeutungen.

Hier in unserem Psalm scheint es nun so zu sein, dass im Tempel so eine Art Gottesurteil zugunsten des Beters ausgegangen ist, denn es heißt ja:

Du hast mir Raum geschaffen in der Bedrängnis,*
sei mir gnädig und höre mein Beten!

Und das Problem scheint zu sein, dass die Verleumder trotz dieses Gottesurteils nicht aufhören mit ihrem Gerede. Denn anschließend wendet sich der Beter direkt an seine Verleumder:

Ihr Mächtigen, wie lange noch schmäht ihr meine Ehre‚*
wie lang liebt ihr das Nichtige und sucht die Lüge?

Anscheinend akzeptieren die nicht, dass Gott sich in irgendeiner Weise für diesen Beter ausgesprochen hat. Aber das Gute ist, dass dieser Psalm ihm Worte gibt, um die Situation zu kennzeichnen. Jemand, der gemobbt wird, der findet sich ja in einem Strudel von negativer Energie wieder, von allen Seiten dringen die Angriffe und Verleumdungen auf ihn ein. Das ist äußerst verwirrend. Natürlich fragst du dich in so einer Situation, ob die vielleicht Recht haben. Wenn es alle sagen, vielleicht bin ich ja wirklich so? Und es kann sein, dass Menschen dann das Urteil der anderen über sich akzeptieren und sich selbst als wertlos ansehen.

Wir hören das heute dauernd von Menschen, die von anderen missbraucht worden sind, dass die Täter denen dann auch noch einreden, sie seien selbst schuld, weil sie böse wären, und die schämen sich sowieso schon und können sich dann erst recht nicht wehren, weil sie in ihrem Selbstwert beschädigt worden sind. Aber das läuft alles indirekt und verwirrend ab, dass sie gar nicht begreifen, was da mit ihnen geschieht.

Hier in unserem Psalm wird deshalb ein anderes Deutungsmuster angeboten: da sind Mächtige, die die Ehre, das Ansehen anderer zerstören wollen. Und dazu bedienen sie sich der Lüge und sind verliebt in das »Nichtige«, damit ist gemeint das Kaputte und Zerstörerische. Es sind Menschen, die Unheil stiften, es sind Zerstörer. Und damit hat so ein Mensch endlich Worte für das, was ihm angetan wird. So wie es gut ist, dass es heute Worte wie »Mobbing« oder »Missbrauch« gibt, die Menschen helfen, ihre Situation zu begreifen.

Der Vorzug der Psalmen ist aber, dass sie Gott in diese Situation hineinbringen als den großen Verbündeten gegen die Verleumder. Und der Beter ruft seine Feinde auf, das endlich anzuerkennen:

Erkennt: Den Treuen hat der HERR sich auserwählt.*
Der HERR — er hört es, wenn ich zu ihm rufe.

Erschreckt und lasst die Sünde!*
Bedenkt es auf eurem Lager und werdet stille!

Er sagt damit: ich habe einen Verbündeten, unterschätzt den nicht! Denkt noch mal darüber nach, ob ihr euch mit Gott anlegen wollt! Wir scheuen uns heute, so direkt Gott ins Spiel zu bringen, ja sogar mit ihm zu drohen, weil damit ja auch viel Schindluder getrieben worden ist. Aber ich glaube, dass man das durchaus ernst nehmen sollte: es ist gar nicht so selten, dass Menschen, die andere hartnäckig verleumden, ein böses Ende finden. Zerstörer zerstören immer auch sich selbst mit. Auf jeden Fall bringen sie sich um die Erfahrung, dass man sich auf Gott verlassen kann. Und in dieses Vertrauen lädt der Psalmbeter sie ein:

Bringet rechte Opfer dar‚*
auf den HERRN setzt euer Vertrauen!

Er beschreibt die zynische Haltung, die sich einstellt, wenn man aus diesem Vertrauen herausgefallen ist:

Viele sind es, die sagen: /
»Wer läßt uns Gutes erfahren?*

Das ist die Haltung von Menschen, die sagen: um mich kümmert sich ja doch keiner, ich muss für mich selbst sorgen! Wir erleben, wie zerstörerisch sich das in der Politik auswirkt, wenn Menschen sich in diese Haltung verrennen: ich bin denen da oben doch egal! Selbst wenn es stimmt (und es stimmt ja leider manchmal), dann ist das eine zerstörerische Haltung, aus der nichts Gutes entsteht, für niemanden. Dagegen setzt der Psalmbeter die Bitte:

Über uns, o HERR, erhebe dein leuchtendes Antlitz!«

Und er beschreibt, dass es tatsächlich eine Gemeinschaft mit Gott gibt, die unabhängig ist von den Umständen, unter denen Menschen leben müssen:

Du hast mir weit größere Freude ins Herz gelegt‚*
als jene sie haben bei Korn und Wein in Fülle.

Es gibt tatsächlich eine Freude, die von innen kommt und die einem niemand nehmen kann. Alle äußeren Reichtümer und Erlebnisse müssen ja bei uns innen ankommen, und wenn das gestört ist, dann nützt auch die tollste Urlaubsreise nichts: sie bleibt äußerlich. Was nützen Korn und Wein in Fülle, wenn Menschen mit sich und ihrem Ursprung nicht im Reinen sind?

Dagegen sagt der Psalmbeter: auch wenn ich verleumdet werde,

In Frieden leg ich mich nieder und schlafe;*
denn du allein, HERR, lässt mich sorglos wohnen.

Vielleicht hat er eine Art Zuflucht im Tempel gefunden, die genauen Umstände wissen wir nicht, aber Gott hat dafür gesorgt, dass er wieder ruhig schlafen kann. So wie Petrus viel später in der Nacht vor seiner geplanten Hinrichtung tief und fest schlief.

Gott schaut auf uns und übersieht uns nicht. Und so begegnet Gott bis heute angegriffenen und verleumdeten Menschen, die sich an ihn wenden, und schenkt ihnen ruhigen Schlaf.

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