Die Sehnsucht nach Sicherheit

Besonderer Gottesdienst am 20. September 2015 mit Predigt zu Matthäus 6,25-34

Besonderer Gottesdienst am 20. September 2015

Zu diesem Gottesdienst gehörte u.a. auch eine Theaterszene, die den Besuch eines Versicherungsvertreters darstellte und daran den Umgang mit Sicherheit thematisierte.

25 Jesus sprach auf dem Berg zu den Menschen: Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, dass ihr etwas zu essen habt, noch um euren Leib und darum, dass ihr etwas anzuziehen habt.
Ist nicht das Leben wichtiger als die Nahrung und der Leib wichtiger als die Kleidung?
26 Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie? 27 Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern?
28 Und was sorgt ihr euch um eure Kleidung? Lernt von den Lilien, die auf dem Feld wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. 29 Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen. 30 Wenn aber Gott schon das Gras so prächtig kleidet, das heute auf dem Feld steht und morgen ins Feuer geworfen wird, wie viel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen!
31 Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? 32 Denn um all das geht es den Heiden. Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht.
33 Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben. 34 Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat genug eigene Plage.

Was wir eben gehört haben, ist einer der stärksten und kühnsten Texte aus der ganzen Bibel. Er dreht unsere Sicht der Welt um: wirklich gefährlich und unwirtlich machen wir die Welt erst durch unsere Versuche, die Gefahren abzuwehren. Jesus fasst das alles zusammen unter dem Titel der »Sorge«. Sorge ist nicht nur das Grübeln in der Nacht, das uns nicht schlafen lässt und dafür sorgt, dass wir den nächsten Tag unausgeschlafen angehen und ihn damit noch schwieriger machen. Sorge ist eine ganze Art, sich zum Leben zu verhalten, und noch mehr als damals bringt sie heute einen ganzen Lebensstil hervor, sie prägt unsere Lebensorganisation und unsere Politik, mit dem Appell an Sorgen und Ängste werden Wahlen gewonnen und Geschäfte gemacht, sie setzen enorme Finanzströme in Bewegung, und sie halten uns lange von notwendigen Veränderungen ab.

Weltmacht Sorge

Die meisten großen Weltprobleme haben heute etwas zu tun mit einem falschen Umgang mit Ängsten: der Islamismus hat seinen entscheidenden Schub durch die Kriege in Afghanistan und im Irak bekommen. Die Finanzströme, die um den Globus jagen und mal hier und mal da Länder destabilisieren, sind zu einem guten Teil Gelder, die Menschen aus Sorge um die Zukunft sicher anlegen wollen. Die gefährlichen Waffen, die immer noch die ganze Welt bedrohen, verdanken sich dem Glauben, dass man mit Waffen die Unsicherheit verringern könnte. Und die Kontrollmechanismen, die jede Bürokratie entwickelt, behindern uns und blockieren Lösungen, wenn das Leben wirklich mal gefährlich wird.

Jesus gehörte nicht zu den Menschen, die denken, man könnte Gefahren bewältigen, indem man nicht hinschaut. In seiner Welt wurden solche Illusionen viel schneller bestraft als bei uns. Er lebte in einem eroberten und unterdrückten Land, in dem die Menschen sehr schnell ins Elend geraten konnten. Und man konnte sehr schnell sein Leben verlieren, wenn man ins Visier des Sicherheitsapparates geriet. So etwas wie Menschenrechte und Rechtssicherheit gab es nicht. Jesus selbst ist ja am Ende durch Justizmord aus der Welt geschafft worden, und ihm war schon lange vorher klar, dass es so kommen würde.

Gefährliche Kontrollillusionen

Das Leben ist hochgefährlich. Jesus wusste das. Aber er warnt uns vor der Strategie, darauf mit verschärfter Kontrolle zu antworten. Du kannst immer nur einen kleinen Teil der Welt kontrollieren. Da, wo deine Kontrolle nicht hinreicht, da entwickeln sich Dinge, die du nicht in den Griff kriegst. Niemand schafft es, eine abgeschottete Zone der Sicherheit aufrechtzuerhalten, wenn ringsum alles drunter und drüber geht. Schon gar nicht in Zeiten, wo das Internet und die modernen Verkehrsmittel die Welt immer stärker zu einer einzigen machen. Niemand kann heute mehr einen Krieg am anderen Ende der Welt führen und denken, dass davon nichts zu ihm zurück kommt.

Jesus sagt uns, dass wir die Illusion aufgeben müssen, wir könnten die Gefahren unter Kontrolle halten. Diese Illusion ist es, die die Welt endgültig zu einem gefährlichen Ort macht. Denn um durch Kontrolle Sicherheit zu schaffen, braucht man immer jemanden, der zur Not Gewalt einsetzen kann. Weshalb vertrauen wir Versicherungen? Doch nicht deswegen, weil da so viele nette Menschen sitzen, sondern weil wir sie zur Not verklagen können, wenn sie nicht zahlen. Wir haben zum Glück ein Rechtssystem, aber der Kern dieses Systems ist immer noch, dass es zur Not auch Gerichtsvollzieher und Polizei gibt, die das Recht durchsetzen. Wenn man es zu Ende denkt, dann arbeitet sogar so ein zivilisiertes Rechtssystem wie unseres am Ende mit der Androhung und Ausübung von Gewalt. Und jede Art von Gewalt kann auch aus dem Ruder laufen. Du tauschst nur eine Gefahr gegen die andere.

Die Gefahr akzeptieren

Jesus sendet eine zweifache Botschaft: ihr seid in großer Gefahr – und ihr habt einen Vater, von dessen Liebe ihr leben könnt. Die Welt ist zum Fürchten – aber den Seinen gibt’s der Herr im Schlafe. Nichts ist sicher – aber ihr seid geborgen.

Das ist eine große Ermutigung, die Gefahren nicht zu verleugnen, sondern sich ihnen gelassen zu stellen. Wir erleben es doch sowieso dauernd, dass wir in allen wichtigen Fragen keine Sicherheit haben. Wir sind nicht die Herren über unsere Gesundheit, wir kontrollieren nicht den Tag unseres Todes, niemand garantiert uns, dass unsere Partner verlässlich und unsere Kinder anständig bleiben. Ob die Renten sicher sind, das wird sich erst in der Zukunft zeigen. Wir sind von der Konjunktur ebenso abhängig wie vom Wetter, Meteoriten können die Erde verwüsten und Schnecken unseren Gemüsegarten. Frieden und Stabilität sind ein Geschenk, aber nichts, worauf wir ein verbrieftes Anrecht hätten. Wer uns Sicherheit verspricht oder sogar garantieren will, belügt uns, weil es das nicht gibt.

Der gemeinsame Ursprung der Welt

Was setzt Jesus dieser Unsicherheit entgegen? Das Vertrauen in den Vater im Himmel, der diese Welt geschaffen hat und sie mit seinem Segen und seiner Liebe erfüllt. Und diese Liebe Gottes nimmt Gestalt an in Menschen, die solidarisch zusammen leben und sich beistehen in all den Gefahren, die zum Leben dazu gehören. So eine Gemeinschaft hat Jesus ins Leben gerufen. In der biblischen Tradition nennt man das einen »Bund«. Gott hat am Sinai mit seinem Volk einen Bund geschlossen, und dazu gehörten Regeln, die dafür sorgten, dass niemand unter die Räder kam. Und Jesus schließt im Abendmahl einen neuen Bund, und natürlich gehört da dazu, dass man sich gegenseitig in Solidarität beisteht.

Gott hat die Welt so geschaffen, dass alle Geschöpfe zusammengehören und aufeinander angewiesen sind. Und wir gehen mit der Welt in Gottes Sinn um, wenn niemand allein gelassen wird, der in dieser gefährlichen Welt irgendwie unter die Räder gekommen ist.

Solidarität ist besser als Kontrolle

Sicherheit ist eine Illusion, aber menschliche Solidarität, die Gottes Solidarität mit der Welt widerspiegelt, ist eine sehr gute Antwort auf die Risiken und Gefahren, unter denen wir leben. Im Grunde ist sogar jede Versicherung letztlich nur eine große Gemeinschaft von Menschen, die im Schadensfall füreinander einstehen. Nur ist das so hinter Vertragsklauseln und Paragraphen versteckt, dass es uns gar nicht mehr klar ist.

Das sollte uns aber klar sein, damit wir uns keine falschen Hoffnungen machen. Wir sind immer irgendwie von anderen Menschen und ihrer Gerechtigkeit abhängig. In der Frage z.B., wer im Alter für uns sorgt, können wir entweder auf unsere Kinder vertrauen, oder auf die Solidarität aller Rentenversicherten, oder auf den Kapitalmarkt. Alle Varianten haben ihre Vor- und Nachteile. Aber immer sind es Menschen, auf die wir uns stützen, und Menschen kann man nur vertrauen, und es gibt keine Garantie, dass sie uns nie enttäuschen werden. Wir kommen aus der Nummer nicht raus.

Mammon betrügt

Weltfremd und naiv sind in Wirklichkeit alle Sicherheitsversprechen. Das biblische Stichwort dafür ist »Mammon«. Das ist der Götze, der Sicherheit verspricht und tatsächlich für die meisten Menschen die Welt unsicherer macht. Jesus sagt kurz vor unserer Stelle: ihr könnt nicht Gott und dem Mammon dienen. Ihr müsst entscheiden, wem ihr vertraut. Um realistisch mit der Welt umzugehen, hat Jesus seine Gemeinschaft der Solidarität gestiftet, diesen neuen Bund, den Gott mit seinen Menschen schließt.

Und er sagt: trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, dann kommt alles andere dazu. Wenn Menschen gemeinsam dafür eintreten, dass Gottes Gerechtigkeit diese Welt regiert, wenn sie sich von diesem Geist bewegen lassen, dann wird auch für die Einzelnen gesorgt sein. Wenn wir Kanäle sind, durch die der Segen Gottes fließt, dann werden wir selbst auch nicht leer ausgehen. Und wenn wir ein Land sind, das Solidarität übt, dann kommt das allen zugute, die es brauchen.

Gefährliche Zeiten der Entsolidarisierung

Das Schlimme ist, dass uns jetzt zwanzig oder dreißig Jahre lang eingeredet worden ist, dass Solidarität überflüssiger Luxus ist, und dass jeder ganz allein für sich selbst sorgen soll. Aber in so einer Gesellschaft, der der Geist der Solidarität ausgetrieben worden ist, sind wir alle extrem verwundbar. Gegenseitiger Beistand kann nicht durch Gesetze hergestellt werden. Es braucht vor allem Menschen, die gewöhnt sind zusammenzuhalten. Wenn aber die Güter der Erde immer ungleicher verteilt sind, wenn die Einkommensschere immer weiter auseinander klafft, wenn die einen unvorstellbar viel haben und die anderen mit Mühe über die Runden kommen, dann untergräbt das jeden Zusammenhalt.

Deswegen spricht Jesus von der grundlegenden Einheit der Welt, die durch Gottes Güte geschaffen ist und von seinem Segen erfüllt ist. Deswegen hat er in seiner von Gewalt und Raub geprägten Zeit eine alternative Gemeinschaft ins Leben gerufen, und das hat ausgestrahlt durch die Jahrhunderte. Wenn wir heute bei uns relativ sicher leben, dann ist das auch noch eine Ausstrahlung von diesem Impuls, der er gebracht hat, und der immer wieder wirksam geworden ist. Es ist an uns, diese Alternative in unserer Zeit neu umzusetzen. Jede Gesellschaft braucht diese christlichen Gemeinschaften, an denen man ablesen kann, dass Gott die Welt dazu geschaffen hat, dass sie von Freundlichkeit, Segen und Klarheit erfüllt ist.

Die Priorität der Gerechtigkeit Gottes

Und es braucht Menschen, die das tun. Menschen, für die diese Aufgabe wichtiger ist als alles andere, die zuerst nach der Gerechtigkeit Gottes trachten und darauf vertrauen, dass das unser bester Schutz ist. Wir teilen alle diese Sehnsucht nach Sicherheit, nach einem Leben, das nicht mehr gefährdet ist. Was solcher Sicherheit in dieser gefährlichen Welt am nächsten kommt, das ist: gemeinsam mit anderen nach Gottes Gerechtigkeit trachten. Dann wird uns alles, was wir brauchen, dazu gegeben werden, auf die eine oder andere Weise.

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