Es ist vollbracht – Gott ist König

Predigt am 3. Mai 2015 zu Offenbarung 11,15-19 (Predigtreihe Offenbarung 19)

15 Der siebte Engel blies seine Posaune. Da ertönten laute Stimmen im Himmel, die riefen: Nun gehört die Herrschaft über die Welt unserem Herrn und seinem Gesalbten; und sie werden herrschen in alle Ewigkeit. 16 Und die vierundzwanzig Ältesten, die vor Gott auf ihren Thronen sitzen, warfen sich nieder, beteten Gott an 17 und sprachen: Wir danken dir, Herr, Gott und Herrscher über die ganze Schöpfung, der du bist und der du warst; denn du hast deine große Macht in Anspruch genommen und die Herrschaft angetreten.
18 Die Völker gerieten in Zorn. Da kam dein Zorn und die Zeit, die Toten zu richten: die Zeit, deine Knechte zu belohnen, die Propheten und die Heiligen und alle, die deinen Namen fürchten, die Kleinen und die Großen, die Zeit, alle zu verderben, die die Erde verderben.
19 Der Tempel Gottes im Himmel wurde geöffnet und in seinem Tempel wurde die Lade seines Bundes sichtbar: Da begann es zu blitzen, zu dröhnen und zu donnern, es gab ein Beben und schweren Hagel.

Als Jesus starb, zerriss der Vorhang des Tempels von oben bis unten (Matthäus 27,51). Und damit wurde deutlich, dass das Allerheiligste leer war – die Bundeslade, die da ursprünglich gestanden hat, der uralte Schrein mit den Gesetzestafeln des Mose, ist irgendwann im Lauf der Geschichte abhanden gekommen, zerstört, verbrannt. Ein Symbol dafür, dass auf menschlicher Seite der Bund mit Gott nicht intakt geblieben ist, denn die Zerstörung des ursprünglichen Tempels war eine Folge des Abfalls vom Bund.

Das Herz Gottes

Jetzt erfahren wir: es gibt noch einen anderen Tempel, einen Tempel im Himmel. So wie der Jerusalemer Tempel das Zentrum des Volkes Gottes und eigentlich der ganzen Welt war, so ist der himmlische Tempel das Zentrum des Himmels. Jetzt, nachdem das siebente Siegel am Buch mit dem geheimen Plan Gottes geöffnet wurde ist und die siebte Posaune erklungen ist, wird er sichtbar. Und nicht nur sichtbar wird der himmlische Tempel, sondern auch seine Tore werden geöffnet. Da zerreißt kein Vorhang, sondern freiwillig gehen die Tore auf, und man kann einen Blick bis ins Allerheiligste werfen. Man könnte sagen: Jetzt tun wir einen Blick ins Herz Gottes, ins Zentrum des Himmels. Und was sehen wir? Da ist noch immer die Bundeslade, die himmlische Entsprechung zum irdischen Erinnerungszeichen an den Bund Gottes mit Mose und Israel. Auf Gottes Seite ist dieser Bund nie in Frage gestellt gewesen. Sein geheimer Plan ist geboren aus der Treue Gottes zu seinem Volk und der ganzen Schöpfung. Jetzt wird sichtbar, dass Gott die ganze Zeit über beständig sein Ziel verfolgt hat.

Wem gehört die Welt?

Bild: tpsdave via pixabay, Lizenz: creative commons CC0
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Und deswegen freuen sich die 24 Ältesten, die Vertreter des Gottesvolkes aus Juden und Heiden, sie jubeln und und danken Gott und sagen: jetzt ist es geschehen! Gott ist König geworden! Endlich ist es so weit, dass die Herrschaft auf der Erde Gott und seinem Gesalbten, seinem Beauftragten gehört, Gott und seinem Christus.

Darum geht es in der Bibel: wer ist der König der Welt? Wem dienen die Mächte dieser Welt? Wer gestaltet das Antlitz der Erde? Wird aus der Welt ein Garten oder eine Wüste? Ein Friedensreich oder ein KZ, ein – sagen wir mal – weltweites Nordkorea? Diese schreckliche Alternative ist der Grund dafür, dass die Vertreter des Gottesvolk so dankbar sind. »Jetzt sind die Würfel gefallen!« sagen sie. »König der Welt ist Gott. Gott sei Dank!«

Das geheime Buch ist geöffnet, Gottes Herz liegt offen vor uns. Wir sehen, dass er treu ist.

Wo passiert das?

Aber die Frage ist: welche irdische Realität entspricht diesem Augenblick, wo der ganze Himmel aufatmet? Es gibt ja im biblischen Denken eine Entsprechung zwischen Himmel und Erde. Jede Veränderung im Himmel zieht auch Bewegungen auf der Erde nach sich. Und jede irdischen Wirklichkeit hat auch ihre verborgene Entsprechung auf der unsichtbaren Seite der Welt. Am Tempel haben wir das gerade schön beobachten können, dass es auch einen Tempel auf der verborgenen Seite der Welt gibt; wahrscheinlich ist der irdische Tempel nach dem Vorbild des himmlischen gestaltet.

Und nun gehen genauso parallel die Öffnung des himmlischen Tempels und der zerrissene Vorhang im Jerusalemer Tempel. Wann zerriss dieser Vorhang? In dem Moment, in dem Jesus sein Leben in Treue zu Gott und den Menschen vollendet. Im Johannesevangelium sagt er selbst in diesem Moment: »es ist vollbracht«, und im Himmel wird erklärt: »Jetzt hat Gott seine königliche Herrschaft angetreten.«

Das muss man erstmal verkraften: Der Tod Jesu ist seine Thronbesteigung. Und mit diesem Tod gewinnt er seinen ersten Anhänger direkt im Zentrum die Macht: den Offizier, der das Hinrichtungskommando leitet. Seinen Henker. Wenn der sagt: »der hier war der wahre Sohn Gottes«, dann sagt er sich damit los von seinem obersten Chef, dem Kaiser, zu dessen Titeln »Sohn Gottes« gehörte. Durch seinen Tod gewinnt Jesus einen Handlanger der Macht für sich und für Gott. So regiert er.

Macht und ihre Karikatur

Das ist ein totaler Kontrast zu der Art, wie sonst unter uns Herrschaft ausgeübt wird. Herrschaft bedeutet normalerweise: jemand ist in der Lage, andere unter Druck zu setzen, sie äußerstenfalls mit dem Tod zu bedrohen. Aber wenn Gott König wird, dann bekommen Worte wie »König«, »Macht« und »herrschen« einen völlig anderen Inhalt. Man müsste sagen: dann bekommen sie ihren eigentlichen Inhalt zurück. Unser Verständnis von Herrschaft ist eine schreckliche Verzerrung dessen, was eigentlich damit gemeint war. Aber selbst die Bibel muss zur Beschreibung der Königsherrschaft Gottes die alten, kontaminierten Worte benutzen.

Ursprünglich ist die Welt so angelegt, dass jedes Geschöpf den anderen dient. In jedem Ökosystem trägt jedes Teil zum Gedeihen des Ganzen bei, und als so ein Ökosystem ist die Schöpfung geplant gewesen. Der Job des Menschen war es, Regulator zu sein, die Erde zu bebauen und zu bewahren. Und er ist Bild Gottes, er repräsentiert die Schöpfung vor Gott. Wenn Gott mit seiner Schöpfung reden will, dann wendet er sich an Menschen.

Erst als Menschen ihren Auftrag überschritten und sein wollten wie Gott, da begannen sie, sich der Gewalt zu bedienen. Damals ist das entstanden, was wir heute als Herrschaft kennen: eine Karikatur des menschlichen Dienstes an allen anderen Geschöpfen. Immer mächtigere Gebilde entstanden, bis hin zu den Großreichen: Machtmaschinen, wie sie die Welt vorher nicht gekannt hatte, mit dem Römischen Imperium als vorläufigem Höhepunkt und dem Imperator, dem Kaiser, als Zentrum des Systems. Es gab gute und schlechte Kaiser, kluge und wahnsinnige, aber was sich durchhielt, war das Prinzip der Herrschaft. Wir haben heute noch viel größere Macht, als römische Imperatoren sie je hatten, aber das Prinzip ist geblieben.

Kontaminierte Worte

Bis heute schauen Menschen mit Grauen und Faszination gleichzeitig auf solche Machtgebilde. Und es wird alles schief, wenn sie dann die Bibel lesen, dort etwas von Gottes Macht hören und denken, damit wäre die Karikatur von Macht gemeint, wie wir sie aus unserer Geschichte und unserer Gegenwart kennen. Und die einen sind dann fasziniert und möchten eine mächtige Kirche, die allen vorschreibt, wie sie zu leben haben, und die andern wollen das um keinen Preis und regen sich dauernd wahlweise über den tyrannischen Gott oder den heuchlerischen Papst auf, was für den Blutdruck überhaupt nicht gut ist. Und beide haben die Bibel an einem entscheidenden Punkt falsch verstanden: wenn Gott König wird, dann wechselt nicht nur der, der gerade auf dem Thron sitzt, sondern die Art, wie Herrschaft ausgeübt wird, erlebt eine echte Revolution.

Denn als Jesus lebte und starb, da bekam die menschliche Königsherrschaft über die Schöpfung ihren wahren Sinn zurück. Wunden heilen, Frieden stiften, Ausgeschlossene einbeziehen, Lasten abnehmen, Menschen jubeln lassen – das ist die Aufgabe des Königs. So »herrscht« er über die Erde, um es mit diesem kontaminierten Wort zu sagen.

Ein kosmischer Showdown

Und wenn diese beiden Arten von Herrschaft aufeinandertreffen, dann gibt das so eine Art Showdown. Jesus, das Lamm, auf der einen Seite, und die Monster, die Machtmaschinen, die unsere Welt verwüsten: das ist die der ultimative Gegensatz. Gegen den sind alle sonstigen Feindschaften, Rivalitäten und Aversionen, die wir aus der Tagesschau kennen, nur vorläufige Missverständnisse. Deswegen kracht und blitzt es in der Offenbarung so oft, weil sie den fundamentalen Konflikt beschreibt, von dem unsere ganze Welt untergründig geprägt ist: wem gehört die Schöpfung? Wer ist König – Gott oder sein Gegner? Kein Bereich der Welt ist dabei neutral, alles ist von diesem Konflikt betroffen. Auch da, wo wir es normalerweise gar nicht bemerken.

Dieser Showdown hatte zwei Runden: zuerst wollte der Versucher Jesus locken mit Macht, Ruhm und Reichtum. Und beim zweiten Mal ließ er ihn am Kreuz zu Tode foltern. Und beide Male ließ Jesus sich nicht von seinem Weg abbringen. Er ließ sich nicht zu der Karikatur von Herrschaft bekehren, sondern blieb beim Original. Das ist es, was im Himmel gefeiert wird. Denn in diesem Moment ist die Entscheidung über das Schicksal der Welt gefallen. Die Offenbarung malt das mit ihren grellen Farben aus, damit wir Bilder dafür haben, dass durch das Leben und den Tod Jesu die Grundlagen der Welt verschoben sind. Dieses Ereignis ändert die Spielregeln für immer.

Und was jetzt?

Bleibt noch das Problem, warum wir jetzt erst 11 von den 22 Kapiteln der Offenbarung hinter uns haben. Und auch das ist angedeutet in dem Dank der 24 Ältesten: jetzt wird Gericht gehalten. Jetzt wird den Opfern der Geschichte endlich Gerechtigkeit widerfahren. All die Unzähligen, die am Straßenrand der Geschichte verreckt sind, die von den Machthaber aller Imperien für ihre Ziele verheizt worden sind, die Ausgebeuteten und Geschundenen jeder Epoche, sie sollen nicht die Verlierer bleiben. Und die Unheilstifter und Zerstörer sollen zerstört werden.

Auch hier müssen wir umdenken, wenn Gott, wie es heißt, »Gericht hält«. Wir haben dann gleich so einen finsteren Rachegott im Auge, der akribisch nachforscht, ob er etwas finden kann, wegen dem er uns in der Hölle braten lassen kann. Und er findet immer etwas, und sei es nur der böse Gedanke über die Nachbarin wegen ihres geringen Engagements beim Unkrautjäten.

Keine Angst vor dem Gericht!

Aber auch das ist so weit weg von dem, was in der Bibel gemeint ist. Gerechtigkeit ist ein elementarer menschlicher Wunsch. Und er ist berechtigt. Gott hat ihn in uns hineingelegt, denn es ist auch sein Wille. Es soll doch nicht sein, dass die KZ-Häftlinge und ihre Opfer sich irgendwann wieder begegnen, und es spielt keine Rolle mehr. Es kann doch nicht sein, dass diejenigen, die die Erde vergiften und die, die daran sterben, einfach in einen Himmel kommen und alles ist kein Thema mehr. Ja, es gibt Versöhnung, wahrscheinlich haben wir davon gehört, wie jetzt in dem wahrscheinlich letzten Auschwitz-Prozess eine Jüdin ihrem ehemaligen Wachmann vergeben hat, aber das ist eben kein Automatismus. Es ist nichts, was so einfach selbstverständlich wäre. Sonst würde nicht darüber berichtet.

Möchten wir denn in der neuen Welt einfach so gemeinsam leben mit Hitler und Stalin und den Drogenbossen und dem kleinen Tyrannen von nebenan, der es nicht bis zum Diktator geschafft hat und nur seiner Familie das Leben zur Hölle macht? Sollen die alle ganz selbstverständlich mit am Tisch sitzen? Das kann es doch nicht sein!

Es muss Gerechtigkeit geben. So viele sind gestorben in der Hoffnung, das ihre Peiniger wenigstens Gott nicht entkommen, wenn sie sich schon hier auf der Erde der Gerechtigkeit entzogen haben. Soll Gott diese Hoffnung wirklich enttäuschen? Gott wird die verderben, die die Erde verderben. Das ist eine Hoffnung, keine Bedrohung, jedenfalls nicht für die, die sich nach Gerechtigkeit sehnen. Der Durst nach Recht und Gerechtigkeit wird am Ende gestillt werden, das hat Jesus in der Bergpredigt versprochen.

Wie Gott das macht, das durchschauen wir nicht wirklich. Wahrscheinlich bekommt auch das Wort »Gericht« eine sehr andere Bedeutung, wenn Gott es ist, der Gericht hält. Aber es wird so werden, dass alle, die nach Gerechtigkeit gehungert und gedürstet haben, am Ende aufatmen und sagen: ja, es ist gut geworden. Er hat es richtig gemacht. Gott ist treu.

Jetzt kommen erst die Drachen

Die zweite Hälfte der Offenbarung schaut deshalb das Ganze noch einmal unter der Fragestellung an, wie Gott mit den destruktiven Mächten umgeht, mit den Imperien, die die Erde verderben. Jetzt, wo Gottes Messias sichtbar geworden ist, kommen sie aus der Deckung und werden in ihrer ganzen Brutalität sichtbar. Beim nächsten Mal gibt es deshalb dann auch Drachen.

Es ist wie im richtigen Leben: zu wissen, wer der Feind ist, ist der halbe Sieg. Die andere Hälfte kommt ab Kapitel 12.

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