Der Alptraum einer Hochzeit von Hölle und Erde

Predigt am 8. Februar 2015 zu Offenbarung 9,1-21 (Predigtreihe Offenbarung 16)

1 Der fünfte Engel blies seine Posaune. Da sah ich einen Stern, der vom Himmel auf die Erde gefallen war; ihm wurde der Schlüssel zu dem Schacht gegeben, der in den Abgrund führt. 2 Und er öffnete den Schacht des Abgrunds. Da stieg Rauch aus dem Schacht auf, wie aus einem großen Ofen, und Sonne und Luft wurden verfinstert durch den Rauch aus dem Schacht.

Quelle: Bluesnap via pixabay, creative commons CC0

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3 Aus dem Rauch kamen Heuschrecken über die Erde und ihnen wurde Kraft gegeben, wie sie Skorpione auf der Erde haben. 4 Es wurde ihnen gesagt, sie sollten dem Gras auf der Erde, den grünen Pflanzen und den Bäumen keinen Schaden zufügen, sondern nur den Menschen, die das Siegel Gottes nicht auf der Stirn haben.

5 Es wurde ihnen befohlen, die Menschen nicht zu töten, sondern nur zu quälen, fünf Monate lang. Und der Schmerz, den sie zufügen, ist so stark, wie wenn ein Skorpion einen Menschen sticht. 6 In jenen Tagen werden die Menschen den Tod suchen, aber nicht finden; sie werden sterben wollen, aber der Tod wird vor ihnen fliehen. 7 Und die Heuschrecken sehen aus wie Rosse, die zur Schlacht gerüstet sind; auf ihren Köpfen tragen sie etwas, das gold schimmernden Kränzen gleicht, und ihre Gesichter sind wie Gesichter von Menschen, 8 ihr Haar ist wie Frauenhaar, ihr Gebiss wie ein Löwengebiss,

Quelle: Defense-Imagery via pixabay, creative commons CC0

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9 ihre Brust wie ein eiserner Panzer; das Rauschen ihrer Flügel ist wie das Dröhnen von Wagen, von vielen Pferden, die sich in die Schlacht stürzen. 10 Sie haben Schwänze und Stacheln wie Skorpione und in ihren Schwänzen ist die Kraft, mit der sie den Menschen schaden, fünf Monate lang. 11 Sie haben als König über sich den Engel des Abgrunds; er heißt auf hebräisch Abaddon, auf griechisch Apollyon. 12 Das erste «Wehe» ist vorüber. Noch zweimal wird das «Wehe» kommen.

13 Der sechste Engel blies seine Posaune: Da hörte ich eine Stimme, die von den vier Hörnern des goldenen Altars her kam, der vor Gott steht. 14 Die Stimme sagte zu dem sechsten Engel, der die Posaune hält: Binde die vier Engel los, die am großen Strom, am Eufrat, gefesselt sind. 15 Da wurden die vier Engel losgebunden, die auf Jahr und Monat, auf Tag und Stunde bereitstanden, um ein Drittel der Menschheit zu töten. 16 Und die Zahl der Reiter dieses Heeres war vieltausendmal tausend; diese Zahl hörte ich.

Quelle: Wikipedia

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17 Und so sahen die Pferde und die Reiter in der Vision aus: Sie trugen feuerrote, rauchblaue und schwefelgelbe Panzer. Die Köpfe der Pferde glichen Löwenköpfen und aus ihren Mäulern schlug Feuer, Rauch und Schwefel. 18 Ein Drittel der Menschen wurde durch diese drei Plagen getötet, durch Feuer, Rauch und Schwefel, die aus ihren Mäulern hervorkamen. 19 Denn die tödliche Macht der Pferde war in ihren Mäulern und in ihren Schwänzen. Ihre Schwänze glichen Schlangen, die Köpfe haben, mit denen sie Schaden zufügen können.

20 Aber die übrigen Menschen, die nicht durch diese Plagen umgekommen waren, wandten sich nicht ab von den Machwerken ihrer Hände: Sie hörten nicht auf, sich niederzuwerfen vor ihren Dämonen, vor ihren Götzen aus Gold, Silber, Erz, Stein und Holz, den Götzen, die weder sehen, noch hören, noch gehen können. 21 Sie ließen nicht ab von Mord und Zauberei, von Unzucht und Diebstahl.

Warum bekommen wir dieses Alptraum-Szenario zu hören? Was soll es uns sagen? Worauf weisen indirekt auch all die anderen, ähnlichen Horrorgeschichten hin, die im Film oder in der Literatur im Umlauf sind? Warum sehen Menschen sich Horrorfilme an, in denen die Menschheit ausgerottet wird, durch Aliens, durch Zombies, durch Killerviren, durch Drachen oder Kampfroboter? Was bewegt uns dazu, solche Geschichten zu erfinden, zu erzählen oder ihnen zuzuhören?

Die Schlüsselszene: der geöffnete Abgrund

Am Anfang des Kapitels steht die »Schlüsselszene« im wahrsten Sinne des Wortes: ein Stern fällt vom Himmel, er bekommt den Schlüssel zum Abgrund und schließt ihn auf. Das ist einer der Verse, wo man deutlich merkt, dass es moderne Humorlosigkeit ist, solche Bilder wörtlich zu nehmen. Auch in der Zeit von Johannes wäre es eine absurde Vorstellung gewesen, dass ein Himmelskörper mit einem Schlüssel ein Tor aufschließt. Sterne stehen für himmlische Mächte. Sie sind die Super-Stars der Antike, und das Motiv, dass ein Engel aus dem Himmel verbannt wird und dann auf der Erde Unheil anrichtet, das begegnet einem in der Bibel auch an anderen Stellen. Aber das nur nebenbei.

In diesem Kapitel wird zweimal davon erzählt, wie Mächte der Zerstörung losgelassen werden, die vorher daran gehindert waren, ihre volle Unheilsmacht zu entfalten. Da ist einmal der Abgrund, aus dem eine Rauchwolke voller Kampfheuschrecken mit Skorpionenstacheln quillt. Skorpionenstiche tun extrem weh, und es ist eine Horrorvorstellung, von solchen fliegenden Skorpionen angegriffen zu werden. Stellt euch vor, Mückenstiche wären nicht nur lästig, sondern würden schreckliche Schmerzen verursachen, und dann würden wir in riesige Mückenschwärme hineingeraten. Am Ende sind die Schmerzen so schlimm, dass Menschen lieber sterben würden, aber sie können es nicht. Als ob Menschen gefoltert werden und ihre Peiniger achten gut darauf, dass sie sich ihnen nicht durch den Tod entziehen können. Das ist ein Alptraum, der nackte Horror.

Ein schwarzes Loch in der Welt

Und dann die vier Engel am Euphrat, die ein riesiges Reiterheer losschicken, das über Dörfer und Städte herfällt und Menschen abschlachtet. Der Euphrat war damals die Grenze zwischen dem Mittelmeerraum und dem Reich der Parther. Die Parther waren für das römische Imperium die Bedrohung aus dem Osten, die brutalen Barbaren, die schon ganze römische Heere einschließlich der Feldherren gnadenlos niedergemetzelt hatten. Die Parther waren es übrigens auch, die die Todesstrafe durch Kreuzigung erfunden haben. Die Römer haben sie nie besiegen können. Die Vorstellung, dass todbringende Kampfreiter aus dem Osten die Zivilisation überfluten könnten, war damals auch so ein Alptraum, so als ob uns heute der »Islamische Staat« mit einer unerschöpflichen Flut modernster Panzer überrollen würde und verbrannte Erde hinterlässt.

Und Johannes sagt mit seinen Bildern: dieser Horror schlummert im Untergrund der Welt. Noch werden wir verschont, noch ist das Tor verschlossen, noch sind die Barbaren blockiert, aber seid ihr sicher, dass das immer so bleiben wird? Seht der Realität ins Auge, dass in der Welt so etwas wie ein schwarzes Loch klafft, in dem das Grauen wohnt, eure schlimmsten Alpträume.

Die Hölle auf Erden?

Johannes wird in der Offenbarung noch davon sprechen, dass das Ziel Gottes die Hochzeit von Himmel und Erde ist, dass Gott unter den Menschen wohnen will und seine Herrlichkeit die Welt erfüllen soll. Aber wir dürfen nicht denken, dass das eine Selbstverständlichkeit ist. Es gibt noch eine ganz andere Möglichkeit: die Hochzeit von Hölle und Erde. Es könnte auch so sein, dass am Ende nicht Gottes Herrlichkeit die Erde erfüllt, sondern das endlose Grauen. Es gibt Plätze auf der Welt, wo man schon ahnen kann, wie so etwas aussehen würde: Nordkorea. Guantanamo. Auschwitz. Der Kongo unter belgischer Herrschaft im 19. Jahrhundert. Das sind nur ein paar Beispiele – uns würden bestimmt noch mehr Namen einfallen.

Wir sollten uns nicht so sicher sein, dass das nur die Relikte einer dunklen Vergangenheit sind. Es könnten genauso gut auch die Vorboten der Zukunft sein. Johannes macht zwar deutlich, dass Gott sich von diesem Dunkel letztlich nicht an die Wand drücken lässt, aber wenn wir diese dunkle Bedrohung einfach ausblenden, dann machen wir uns etwas vor. Wir reden hier nicht über Geschmacksfragen, wir reden nicht über private Vorlieben, mit denen es jeder so halten soll, wie er möchte. Wir reden über eine sehr reale Bedrohung im Untergrund der Welt, die nicht wir bisher in Schach gehalten haben, sondern Gott.

Ein feindseliges Potential

Menschen haben dafür gesorgt, dass sich die ungelösten Probleme immer höher häufen, dass immer mehr Waffen durch die Welt vagabundieren, dass immer mehr Söldner und Landsknechte und Warlords vom Krieg leben und nichts anderes mehr kennen. Menschen sorgen dafür, dass sich im Untergrund der Welt immer mehr Wut und Hass und primitive Lust an der Macht ansammeln. Wer sich heute öffentlich so exponiert, dass er irgendeiner Gruppe quer kommt, der kriegt ganz schnell einen Haufen Drohbriefe und Hassmails. Besonders, wenn er auch noch einen ausländisch klingenden Namen hat und/oder eine Frau ist. Auch unter der zivilisierten Oberfläche brütet ein schlimmes Potential an Feindseligkeit. Es wird im Augenblick von unserem Rechtsstaat und seinen Institutionen meistens in Schach gehalten, aber wehe, wenn das mal losgelassen werden sollte.

Man kann das natürlich alles verharmlosen und sagen: es wird schon nicht so schlimm kommen, weil ich mir das gar nicht vorstellen mag. Aber die Offenbarung möchte unserer Vorstellungskraft auf die Sprünge helfen. Es kann noch viel schlimmer kommen. Alpträume können wahr werden. Aber es muss nicht sein.

Wir haben vorhin in der Lesung (Markus 7,14-23) gehört, wie Jesus im Herzen von jedem Menschen so ein schwarzes Loch sieht, aus dem dunkle Gedanken aufsteigen, die dann Gestalt annehmen und zu Taten werden. Man könnte sagen, dass Johannes mit diesem Bild vom Schacht zum Abgrund das Gleiche für die Gesamtheit der Welt sagt: auch da gibt es ein dunkles Geheimnis, das fortwährend alle möglichen Arten von Zerstörung und Verderben produziert.

Heilsames Erschrecken

Aber wenn dieser Abgrund im Herzen der Menschen und im Herzen der Welt überwunden werden soll, dann muss er sich erst in seiner ganzen Abscheulichkeit zeigen. Wir kennen das doch, dass Menschen manchmal erst sich oder anderen schlimme Dinge antun müssen, bis sie realisieren, was sie angerichtet haben und dann endlich über sich selbst erschrecken. Manchmal dringt das erst vor Gericht zu einem durch, manchmal auch erst nach Jahren im Gefängnis: ich habe Menschenleben ausgelöscht, einfach so, und warum? Heute weiß ich noch nicht mal mehr, warum! Für nichts! Was war da in mir, das mich getrieben hat?

Und das geht auch ganzen Völkern so, dass in ihnen erst Entsetzliches geschehen muss, bevor sie zur Besinnung kommen. Deutschland hat zwei verlorene Weltkriege gebraucht, bis es sich von Militarismus und Nationalismus und Gefühllosigkeit einigermaßen befreit hat – hoffen wir, dass es dabei bleibt.

Die Option der Verhärtung

Aber das ist kein Automatismus. Menschen werden von Katastrophen aller Art nicht in jedem Fall näher zu Gott und zur Umkehr gebracht. Sie können sich auch noch mehr verhärten, und dann werden irgendwann die Kreaturen des Abgrunds losgelassen. Denken Sie an das Waffenarsenal in privater Hand in den USA: jedes Mal, wenn da wieder ein gekränkter Looser in einer Schule ein Blutbad angerichtet hat, werden mehr Waffen gekauft, nicht weniger. Es ist wie mit dem ägyptischen Pharao, der trotz aller Plagen nicht umkehrte und Israel in die Freiheit ziehen ließ. Sie lernen es nicht. Was muss denn noch alles passieren?

Gott hört manchmal damit auf, sich den Ausgeburten des Abgrunds entgegen zu stellen, damit Menschen realisieren, was auf dem Spiel steht. Wir sind nämlich nicht im Kino, sondern in der wirklichen Welt. Im Unterschied zu einem Horrorfilm will die Offenbarung uns nicht ein wohliges Gruseln und 90 Minuten Nervenkitzel bescheren, sondern wenigstens wir sollen aufgerüttelt werden. Kirche ist kein Kaffeekränzchen für Leute, die sich irgendwie die Zeit vertreiben müssen. In der Gemeinde Jesu geht es um Weichenstellungen für die Zukunft der Welt, es geht darum, die Seele der Menschheit zu retten. Und daran werden wir durch so ein Kopfkino voll dunkler Bedrohungen erinnert.

Wir sind zwar irgendwie geschützt vor den schlimmsten Bedrohungen. Wir werden hier an das Siegel, das Zeichen, erinnert, das diejenigen tragen, die zu Gottes Volk gehören. Denen sollen die Kampfheuschrecken nichts tun: immer wieder Hinweise darauf, dass das Chaos Gott nicht an die Wand spielen kann, dass es den Krieg nicht gewinnen wird. Aber das heißt nicht, dass wir denken sollen, das alles ginge uns nichts an, weil es nur die anderen trifft.

Die Rolle der Gemeinde Jesu

Vor ein paar Tagen telefonierte ich mit jemandem, die im Siegerland in der Kirche engagiert ist. Das Siegerland ist altes Erweckungsgebiet, wo es früher mal einen großen christlichen Aufbruch gegeben hat. Aber das ist jetzt auch schon ziemlich lange her. Und sie erzählte mir, wie im Augenblick da Gemeinden wieder aufwachen, weil sie anfangen, sich um Flüchtlinge zu kümmern. Und da gibt es so Geschichten wie diese: in einem kleinen Dorf wurde eine Flüchtlingsfamilie untergebracht, und dann wurden Paten gesucht, die sich etwas um die Familie kümmern. Und in diesem winzigen Ort, der noch nicht mal eine eigene Kirche hat, haben sich 20 Familien gemeldet. Gemeinden kommen in Bewegung, weil sie nicht mehr nur für sich selbst leben, sondern ihre Aufgabe entdecken, für die sie da sind. Und das ist im Augenblick in Deutschland zum Glück kein Einzelfall.

Wie ist das gekommen? Menschen haben das Dunkel in unserer Welt wahrgenommen, das Dunkel in den Herkunftsländern der Flüchtlinge, aber auch das Dunkel der Ablehnung, das es in unserem Land gibt. Und sie haben sich herausfordern lassen, dagegen die Solidarität Jesu mit den geringsten Brüdern und Schwestern zu setzen. Sie haben sich herausfordern lassen, auf die Liebe Jesu zu setzen.

Kein automatischer Countdown

Wenn Gott uns daran erinnert, was im Untergrund der Welt lauert, dann will er uns daran erinnern, dass wir die Leute sind, die sich dem entgegenstellen. Jedenfalls sollen wir die sein. Die Offenbarung ist nicht gemeint als unerbittlich ablaufender Countdown zum Weltuntergang. Selbst die vier Engel am Euphrat sind zwar für einen bestimmten Moment vorbereitet, aber das heißt nicht, dass sie wirklich unter allen Umständen losgelassen werden müssten. Die 10 ägyptischen Plagen wären ja auch eher zu Ende gewesen, wenn der Pharao vorher eingelenkt hätte. Gott ist flexibel, er reagiert auf Menschen, er zieht nicht einen festgelegten Plan durch, ohne nach rechts und links zu schauen. Wenn Menschen umkehren, antwortet Gott darauf.

Raum für Umkehr

Johannes sieht aber, was passieren wird, wenn Menschen sich immer tiefer in ihre Sackgassen verrennen. Dass Gott ihm das zeigt, gehört gerade zu Gottes Versuchen, Menschen aus Sackgassen herauszuholen. Wenn wir daraus ein System machen und glauben, wir könnten Gottes Planungen berechnen, liegen wir schief. Aber wenn wir das als Ruf zur Umkehr sehen und als Anstoß, uns dem Dunkel da entgegen zu stellen, wo es uns begegnet, dann ist die Botschaft angekommen.

Ob wir als Gemeinde Jesu unsere Aufgabe gut erfüllen, oder ob wir lieber Kaffeekränzchen halten, davon hängt für den Lauf der Welt viel mehr ab, als wir glauben.

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