Theologische Enkeltrickser

Predigt am 4. Januar 2015 mit 1. Johannes 5,11-13

11 Und das ist das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn. 12 Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht. 13 Das habe ich euch geschrieben, damit ihr wisst, dass ihr das ewige Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes.

Wenn wir das heute hören, dann klingen die Worte wie fromme Vokabeln, die man eben in der Kirche zu hören bekommt, die für Eingeweihte sicher irgendeinen Sinn ergeben, aber sie stehen in keiner Beziehung zu realen Lebensprozessen. Und erst recht würde niemand darauf kommen, dass die mal in Verlauf eines heftigen Konflikts geschrieben worden sind, um die eine Seite zu unterstützen. Das ist das Problem, dass sich nach fast 2000 Jahren die Begriffe so sehr verändert haben.

Bild: geralt via <a target="_blank" href="http://pixabay.com" rel="noopener noreferrer">pixabay</a>, Creative Commons CC0
Bild: geralt via pixabay, Creative Commons CC0

Aber wer die fünf Kapitel des ersten Johannesbrief ganz liest, der merkt noch heute, dass es damals heftige Auseinandersetzungen gegeben haben muss. Da ist von Lügenpropheten die Rede, die fälschlich behaupten, Gottes Geist hätte ihnen etwas eingegeben (4,1). Da ist sogar vom Antichristen die Rede (4,3). Und das sind nicht irgendwelche gottlosen Böslinge da draußen, sondern der Feind sitzt mitten in der Gemeinde Gottes. Schon in biblischer Zeit. Schon damals reichte es nicht einfach die richtigen frommen Worte zu benutzen, denn die gebrauchten beide Seiten. Du musstest deine eigene Urteilsfähigkeit benutzen, du musstest ein Gespür für die Wahrheit haben. Und das versucht Johannes in diesem Brief zu stärken.

Gleiche Worte, gegensätzliche Bedeutung

Das Problem war, dass nicht überall dort, wo »Christus« draufsteht, auch wirklich Jesus drin ist. Es gab damals mindestens zwei Gruppen, die die gleichen Worte benutzten, die beide sagten, dass sie an Gott und an Christus glaubten, und trotzdem standen sie zueinander wie Feuer und Wasser.

Heute würde wahrscheinlich irgendwer kommen und sagen: wir sind doch alle Christen, seid ein bisschen toleranter, es geht uns doch um die gleiche Sache! Und Johannes hätte gesagt: nein, das tut es eben nicht, das ist ja das Problem, dass die sich all die frommen Worte gekapert haben und so tun, als ob sie dazugehören, und in Wirklichkeit verschieben sie die Bedeutung der Worte ins Gegenteil. Wenn Jesus noch im Grab liegen würde, dann würde er dort jetzt pausenlos rotieren. Aber zum Glück ist er auferstanden, er lebt und regiert, und er schickt mich, seinen Lieblingsjünger, damit ich diesen Leuten entgegentrete.

Segeln unter falscher Flagge

Versteht ihr, das ist so ein bisschen wie beim Enkeltrick, mit dem Betrüger immer wieder alte Leute um ihr Geld bringen. Die rufen an und tun so, als wären sie der nette Enkel aus Berlin, und der braucht durch ein dummes Missgeschick kurzfristig 10.000 €, und die liebe Oma würde ihm doch bestimmt schnell mal aushelfen können, und dann ist das Geld weg. Und ich habe immer gedacht: das kann doch nicht sein, das muss man doch merken, dass das nicht der nette Kevin ist, sondern irgendein fremder Gauner. Das muss man doch spüren! Aber anscheinend gibt es das, dass der Opa oder die Oma unsicher sind und kein Gefühl dafür haben, ob das der echte Enkel ist oder nicht.

Und wahrscheinlich muss man auch im Glauben mit so einer Art Enkeltrick rechnen: Menschen kennen Jesus anscheinend oft nicht so gut, dass sie einfach spüren würden, wenn da jemand angeblich in seinem Auftrag redet, aber in Wirklichkeit unter falscher Flagge segelt. Der Lieblingsjünger Johannes kennt natürlich Jesus und spürt sofort, dass da was nicht stimmt, aber viele andere sagen: wieso, die gebrauchen die richtigen Worte, die treten überzeugend auf, die sind fromm und reden im Namen Gottes, das kann doch nicht falsch sein!

Manchmal ist der Bauch wichtiger als der Kopf

Ich kann mich erinnern, vor 10 oder 20 Jahren drückte mir jemand eine Kassette in die Hand und sagte: den Prediger musst du dir unbedingt anhören! Der ist toll und redet so vollmächtig! Ich hab mir den dann angehört und fand es nicht großartig, aber auch nicht richtig schlecht, ein bisschen merkwürdig, aber vor allem gefiel mir der Ton nicht, in dem der Typ redete. Ich hab die Kassette dann irgendwo beiseite gelegt und vergessen, bis ich viele Jahre später zufällig mitbekam, dass sich um diesen Prediger herum eine richtige Sekte gebildet hatte, mit einer ganz ungesunden Struktur, mit schlimmen sexuellen Fehltritten, mit Leuten, die ihre Geltungssucht hemmungslos auslebten.

Das hätte ich aus den Worten der Predigt selber damals nicht vorhergesehen, aber es passte zu dem dummen Eindruck, den ich beim Zuhören hatte. Ich sag das nicht, um mich damit zu brüsten, wie toll ich alles durchblicke, sondern um deutlich zu machen: manchmal sind die Worte gar nicht unbedingt falsch, aber du brauchst immer ein Gespür dafür, was da wirklich los ist.

Und andersherum kann jemand theologisch unbeholfen sein, aber du merkst: er hat das Herz auf dem rechten Fleck. Und hoffentlich kommt dann irgendwann theologisch auch noch alles an die richtige Stelle! Paulus nennt das die »Unterscheidung der Geister«, und das ist mehr, als die Bibel zu kennen oder die richtigen theologischen Begriffe zu kennen. Es geht darum, zu spüren: ist das jetzt Jesus, passt das zu ihm, oder ist das eine Fälschung?

Um es noch mal mit dem Enkeltrick zu sagen: wenn einer anruft und sagt: »Hallo Oma, hier ist der liebe Kevin, wir haben uns ja schon lange nicht mehr gesehen, ich soll dich auch von Mama grüßen, ich hoffe, du bist gesund und es geht dir gut«, dann sind die Worte eigentlich ok, aber wenn man den Enkel wirklich kennt, dann müssten da eigentlich die Alarmglocken klingeln, weil irgendwas nicht stimmt. Und so muss man auch ein Gespür dafür entwickeln, ob da, wo groß und deutlich »Jesus« draufsteht, auch wirklich Jesus drin ist.

Lernen durch Versuch und Irrtum

Aber das ist nicht einfach, so was lernt man erst nach und nach, durch Versuch und Irrtum, und deshalb war es damals so wichtig, dass der Jünger Johannes sich einschaltete, der Jesus kannte wie kein anderer, und sagte: traut eurer Intuition, das sind wirklich Ross­täuscher, lasst euch von denen nicht beeindrucken. Ihr kennt Jesus tatsächlich, die haben keine Ahnung vom echten Jesus. Und deswegen ist das ewige Leben, also das Leben der kommenden Welt, bei euch und nicht bei denen. Und so hat Johannes sein Teil dazu beigetragen, dass die in ihrem Urteil sicherer wurden, und sie müssen seinen Brief so hilfreich gefunden haben, dass er später ein Teil der christlichen Bibel geworden ist.

Und tatsächlich ist das bis heute eine gute Frage: kannst du dir das von Jesus vorstellen? Kannst du dir Jesus vorstellen, wie er Leuten ein schlechtes Gewissen macht? Kannst du dir Jesus vorstellen, wie er vor der Überfremdung unseres Landes warnt? Kannst du dir Jesus vorstellen, wie er … dies und jenes tut. Es hilft auch nicht in jedem Fall, aber es ist als Frage sehr hilfreich. Es ist überhaupt hilfreich, wenn wir nicht nur in theologischen Begriffen denken, sondern gerade auch mit den ganzen Geschichten über Jesus vertraut sind und so ein Gespür für seine ganze Art bekommen.

Gott ist Liebe zu seinen Geschöpfen

Johannes sagt jedenfalls in seinem Brief: an Jesus sehen wir, dass Gott Liebe ist, und wer über so Gott redet, dass man das nicht spürt, der kennt den wirklichen Gott nicht. Gut, Liebe ist heute auch nur ein Begriff, denn man so oder so auslegen kann, aber eine Richtung gibt er schon an. Gerade in Verbindung mit der Lebenspraxis Jesu.

Johannes sagt seinen Leuten: wer vom göttlichen Christus redet und ihn nicht von der menschlichen Praxis Jesu her versteht, der liegt völlig schief, der ist der Antichrist. Wenn Christus nur noch ein leerer Name ist, der nicht mehr gefüllt ist mit der Erinnerung an den menschlichen Jesus, der hier auf der Erde unter uns gelebt hat und am Kreuz gestorben ist, dann reden die von einem anderen Gott. Dann fangen wir an, ein Phantom zu verehren, das noch den Namen Christus trägt, aber in Wirklichkeit ist es ein ganz anderer. So wie einige in der Nazizeit versucht haben, aus Jesus einen blonden, blauäugigen nordischen Helden zu machen.

Der irdische Jesus ist fundamental

Wir müssen immer fragen: ist das Reden von Gott verankert in der Geschichte des menschlichen, irdischen Jesus? Und wird dann mein irdisches, menschliches Leben auch mit hineingezogen in diese Geschichte Jesu unter den Menschen? Das ist für Johannes die entscheidende Frage. Er sagt seinen Leuten: ihr habt das ewige Leben, weil ihr verbunden seid mit der Geschichte Jesu, die damals begonnen hat, als er über die staubigen Landstraßen Israels ging und von seinen Jüngern gesehen und berührt werden konnte. Diese Geschichte geht in eurem Leben weiter, und das ist das ewige Leben. Ihr habt es hier und heute, und ihr müsst das nicht in Frage stellen. Ihr seid geerdet, so wie Jesus nicht in himmlischen Fantasieräumen schwebte, sondern die Mühen, Freuden und Schmerzen dieser Erde auf sich nahm. Jesus hat Gottes Geschöpfe geliebt. Wer Jesus so kennt, dass er der Erde treu bleibt, der ist auf der richtigen Spur.

Genau das ist anscheinend bei den Lügenpropheten nicht passiert. Die waren nicht an der Erde interessiert, sondern an einem Fantasiehimmel und an religiösen Aufwallungen. Der Antichrist ist nicht jemand, der die Kirche mit aller Macht bekämpft, sondern jemand, der das Christentum so umdeutet, dass zwar noch der Name drauf steht, aber in Wirklichkeit ist drinnen etwas ganz anderes.

Es geht nicht ohne Urteilskraft

Johannes hat dagegen keine Patentlösung, keinen Scanner für den Heiligen Geist und keinen Bibel-Detektor, keine Killerargumente, mit denen die Diskussion beendet ist, weil gegen die keiner mehr ankommt. Er kann nur seinen Leute immer wieder die Geschichte Jesu Christi in Erinnerung rufen – seinen »Namen«, wie er das nennt – und sie sicher machen, dass dies die große Gabe Gottes ist: Jesu Leben in unserem, das ewige Leben, das volle und reiche Leben, zu dem jeder Mensch berufen ist und das irgendwie jeder ersehnt, auch wenn er es nicht weiß. Und irgendwie muss man im Lauf der Zeit ein Gespür dafür entwickeln. Der Lieblingsjünger lebt nicht mehr unter uns, Pastoren, Bischöfe und andere Würdenträger haben sich alle schon mal dramatisch geirrt, jeder theologische Satz ist schon mal missbraucht worden. Niemand kann dir dein eigenes Urteil abnehmen. Also fang an, dein Urteilsvermögen zu trainieren. Wie gesagt, Versuch und Irrtum, anders geht es nicht. Trau dich was, aber schau anschließend genau hin, was daraus wird.

Am Ende müssen wir alle darauf vertrauen, dass sich das Echte durchsetzt, dass das Original stärker ist als Fälschung, dass Gott einem Menschen den richtigen Weg zeigen wird, wenn er ehrlich danach fragt. Es gibt keine Garantie, dass wir richtig liegen. Aber das Bild Jesu hat eine eigene Kraft, die sich am Ende doch durchsetzt. Das ermutigt uns, in Erkenntnis unserer Fehlbarkeit trotzdem fröhlich und mutig nach bestem Wissen und Gewissen unseren Weg zu gehen.

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