Eine wunderbare Freundschaft

Predigt am 3. Februar 2013 zu Apostelgeschichte 16,6-15

6 Paulus und seine Begleiter zogen nun durch den Teil Phrygiens, der zur Provinz Galatien gehört. Eigentlich hatten sie vorgehabt, die Botschaft ´Gottes` in der Provinz Asien zu verkünden, aber der Heilige Geist hatte sie daran gehindert. 7 Als sie sich dann Mysien näherten, versuchten sie, nach Bithynien weiterzureisen, aber auch das ließ der Geist Jesu nicht zu. 8 Da zogen sie, ohne sich aufzuhalten, durch Mysien, bis sie in die Hafenstadt Troas kamen.
9 Dort hatte Paulus in der Nacht eine Vision. Er sah einen Mazedonier ´vor sich` stehen, der ihn bat: »Komm nach Mazedonien herüber und hilf uns!« 10 Daraufhin suchten wir unverzüglich nach einer Gelegenheit zur Überfahrt nach Mazedonien; denn wir waren überzeugt, dass Gott selbst uns ´durch diese Vision` dazu aufgerufen hatte, den Menschen dort das Evangelium zu bringen.
11 Nachdem unser Schiff von Troas ausgelaufen war, fuhren wir auf direktem Weg zur Insel Samothrake. Am folgenden Tag kamen wir nach Neapolis, 12 und von dort ging die Reise ´landeinwärts` nach Philippi. Philippi, eine ´römische` Kolonie, war die bedeutendste Stadt in diesem Teil der Provinz Mazedonien. Hier blieben wir einige Tage 13 ´und warteten, bis es Sabbat war`. Am Sabbat gingen wir vor das Stadttor an den Fluss, wo wir eine jüdische Gebetsstätte vermuteten und dann auch tatsächlich einige Frauen antrafen, die sich dort versammelt hatten. Wir setzten uns zu ihnen und begannen mit ihnen zu reden.
14 Eine dieser Frauen – sie hieß Lydia – war eine Purpurhändlerin aus Thyatira, die an den Gott Israels glaubte. Während sie uns zuhörte, öffnete ihr der Herr das Herz, so dass sie das, was Paulus sagte, bereitwillig aufnahm. 15 Nachdem sie sich dann mit allen, die in ihrem Haus lebten, hatte taufen lassen, lud sie uns zu sich ein. »Wenn ihr überzeugt seid, daß ich ´jetzt eine Christin bin und` an den Herrn glaube«, sagte sie, »dann kommt in mein Haus und seid meine Gäste!« Sie drängte uns ´so, dass wir einwilligten`.

Wir werden hier Zeuge einer wunderbaren Freundschaft zwischen Gott und Menschen, wo eins ins andere greift und jeder aktiv dazu beiträgt, dass das Evangelium von Asien nach Europa kommt.

Paulus, Silvanus, Timotheus und vielleicht Lukas, der später die Apostelgeschichte geschrieben hat, haben Gemeinden in der heutigen Türkei besucht, die Paulus früher schon gegründet hat. Und sie wollen von da aus einfach weiter machen, Richtung Westen gehen, über den Bereich hinaus, in dem sie bisher schon tätig waren, weiter hinein in die römische Provinz Asien, die damals den südlichen Teil von Kleinasien umfasste. Für alle, die schon mal in der Gegend waren: »Asia« war damals ungefähr die Gegend zwischen Izmir und Antalya.

Aber der Heilige Geist hindert sie daran. Für uns heute klingt das etwas rätselhaft – für Lukas, der es geschrieben hat, war das so normal, dass er gar nicht näher schreibt, wie das genau aussah. Irgendwie machte ihnen der Heilige Geist deutlich: da nicht! Vielleicht hatten sie einfach ein schlechtes Gefühl, als sie aufbrechen wollten, vielleicht waren Bergpässe nicht passierbar, vielleicht bekamen sie prophetische Worte von Gott, vielleicht war es alles zusammen – jedenfalls war es für sie klar: da nicht entlang!

Wir haben heute oft das Gefühl, dass Gott nicht eindeutig ist, dass man ihn so oder so verstehen kann, dass da vieles grundsätzlich rätselhaft ist und jeder ihn eben so verstehen muss, wie er es selbst am besten findet, aber am Anfang der christlichen Bewegung war das nicht so. Das erste Jahrhundert der christlichen Bewegung vermittelt gerade den Eindruck einer großen Klarheit: in einer Welt voller Verwirrung, Desorientierung und Dunkelheit sind es die Christen, die ihren Weg mit Sicherheit und Eindeutigkeit finden und gehen.

Es geht dabei nicht um irgendwelche Dogmen, die man den anderen um die Ohren haut, sondern es geht um die praktischen Entscheidungen des Alltags – rechts abbiegen oder links an der Kreuzung -, wo Paulus und die anderen frühen Christen ganz selbstverständlich Gottes Willen kennen und dann tun. Sie wissen zwar nicht, wieso Gott ihren eigentlich sehr einleuchtenden Plan stoppt, aber natürlich handeln sie nicht gegen seinen Willen und so wenden sich eben statt nach Westen in den Norden. Wahrscheinlich denken sie: Gott will uns offenbar im Norden haben, am Schwarzen Meer, also gehen sie in die Richtung. Aber auch da stoßen sie wieder auf ein Stopschild, auch das erklärt Lukas nicht genauer, aber es ist klar: das Schwarze Meer ist es auch nicht.

Nach links sollen sie nicht, nach rechts auch nicht, also bleibt ihnen nur der Weg genau dazwischen, und der bringt sie immer näher ans Ägäische Meer, den Teil des Mittelmeeres, der Europa und Asien trennt. In Troas, dem ehemaligen Troja, erreichen sie schließlich das Meer.

Damit sind sie an einer alten Grenzlinie zwischen zwei Kulturen angekommen: hier sind sich die Griechen und erst die Trojaner, dann die Perser als die Vertreter der östlichen Kulturen begegnet, sie haben miteinander gekämpft, ihre Einflusssphären haben sich mal nach Osten und mal nach Westen verschoben, sie haben voneinander gelernt und sich gegenseitig beeinflusst, und im Grunde ist das bis heute so geblieben. Bei der Frage, ob die Türkei nach Europa gehört, in die Europäische Union hinein, geht es immer noch und wieder darum, wo diese Grenze zwischen Europa und Asien verlaufen soll. Kulturell war das eine unglaublich fruchtbare Grenze: die entscheidenden Kulturleistungen entstehen nicht da, wo Kulturen unvermischt und rein sind, sondern wo sie sich begegnen und miteinander kommunizieren.

Und für den Schritt über diese Grenze reichen nicht mehr die normalen, alltäglichen Hinweise des Heiligen Geistes, sondern dafür gibt es eine besondere Offenbarung Gottes, die Lukas extra schildert: Paulus hat in der Nacht eine Vision, in der ihn ein Mazedonier ausdrücklich ruft und um Hilfe bittet. Die Mazedonier leben drüben, am anderen Ufer, schon in Europa. Vermutlich erkennt Paulus den Mann an seiner Kleidung. Auch das ist nicht ohne tiefere Bedeutung: von Mazedonien aus begann Alexander der Große seine siegreiche Eroberung Asiens, die das Gesicht der Welt dauerhaft veränderte. In der Folge hatte auch Israel viel zu leiden, weil die Nachfolger Alexanders dem Land die hellenistische Kultur aufzwingen wollten, die sich damals entwickelte. Jetzt ruft ausgerechnet ein Vertreter dieses Landes die christlichen Juden zu Hilfe. Welche Ironie! In der verborgenen Welt Gottes geht die Bewegung genau andersherum als in der Machtgeschichte der Welt.

Für Paulus und seine Gefährten ist damit die Zeit des Rätselns über Gottes Absichten vorbei. Man spürt es immer noch aus den alten Texten, wie es ihnen auf einmal wie Schuppen von den Augen gefallen ist, wie Paulus die anderen vielleicht noch in der Nacht geweckt hat und ihnen seine Vision erzählt hat, und sie alle miteinander sagen: ok., das ist die Lösung des Rätsels – Mazedonien! Da sollen wir hin. Und gleich als es hell wird, gehen sie zum Hafen und finden ein Schiff, und der Wind steht so günstig, dass sie in zwei Tagen eine Strecke bewältigen, die bei anderem Wetter auch eine Woche dauern kann. Gott und die Menschen arbeiten zusammen, jeder tut das, wofür er zuständig ist, und die Bewegung geht voran.

In Europa angekommen gehen sie weiter auf der Via Egnatia, einer der wichtigsten Fernverkehrsadern der antiken Welt, eine römische Militärstraße. Sie führt von Rom durch Nordgriechenland in den Osten. Und so kommen sie nach Philippi. Dort hat 90 Jahre vorher die entscheidende Schlacht zwischen dem späteren Kaiser Augustus und den Mördern Cäsars, den Verteidigern der römischen Republik, stattgefunden. Augustus hat gesiegt und wurde bald darauf Kaiser. Und die Stadt, bei der er gesiegt hatte, die machte er später zu einer römischen Kolonie, wo er seine Soldaten ansiedelte, wenn sie aus dem Dienst ausschieden. Philippi war also geprägt von römischer Kultur und römischem Militär. Es war eine künstliche gepflanzte römische Insel in einer griechischen Umgebung.

Wenn Paulus sonst irgendwo hin kam, dann benutzte er die jüdische Synagoge als Anlaufpunkt. In den Synagogen wurde diskutiert, wurde nachgedacht, da gab es Menschen, die wenigstens die Fragen kannten, auf die Paulus die Antwort hatte. Aber in Philippi gab es kein jüdisches Gotteshaus. Nur draußen vor dem Tor, am Fluss, trafen sich am Sabbat einige Frauen, vielleicht Jüdinnen, die mit ihren römischen Männern hierher gekommen waren, oder als Sklavinnen.

Und Lydia war dabei, eine Geschäftsfrau die mit Purpur handelte. Purpur war kostbar – es war die Farbe der Könige und der Befehlshaber. Lydia kann nicht arm gewesen sein. Offensichtlich hatte sie ihr eigenes Geschäft, ihr »Haus«, wie man das damals nannte, und da gehörten Verwandte dazu, aber auch Angestellte und Sklaven. 50 Leute können das gewesen sein, und sie war der Chef. Vielleicht hatte sie auch Kinder, aber keinen Mann. Es kann sein, dass der früh gestorben war, und jetzt war sie etwas Seltenes, etwas, was in der Antike gar nicht vorgesehen war: eine unabhängige Frau. Wahrscheinlich ging das nur, weil sie auch eine Grenzgängerin war: sie kam aus Thyatira an der Westküste Kleinasiens, ungefähr aus der Gegend, wo Paulus ursprünglich hin wollte. Sie brachte Purpurfarbe nach Europa, Paulus das Evangelium. Sie lebte zwischen den Kulturen, gehörte wahrscheinlich zu keiner Großfamilie, zu keinem Clan, der sonst dafür gesorgt hätte, dass sie schnell wieder einen Mann bekam, der auf sie aufpassen konnte. Lydia lebte außerhalb aller Ordnungen, gesetzlos sozusagen, sie war unabhängig und verdiente gut. Und sie hatte keine Kultur, die ihr vorgab, wie sie zu denken hatte. Also musste sie selbst denken.

Versteht ihr, dass es kein Zufall war, dass das Evangelium in Europa ausgerechnet bei Lydia begann, bei einer unabhängigen Frau, die weder richtig Europäerin war noch richtig Asiatin? Es sind die Menschen, die nirgendwo so richtig zu Hause sind, die nicht erdverbunden und wohl eingebettet in einen festen Denkrahmen leben, sondern die herausgenommen sind aus der Normalität, die ihren Platz in der Welt selbst bestimmen müssen, weil sie sonst keinen eindeutigen Platz haben – da findet das Evangelium seine ersten Stützpunkte. Lydia hatte keine klare Heimat, da konnte sie sich den Luxus leisten, einfach nach der Wahrheit zu fragen.

Und wahrscheinlich hat sie von ihrer unabhängigen Position aus die Fragwürdigkeit des Heidentums sehr deutlich wahrgenommen. Und so hatte sie den Gott Israels entdeckt, seine Freiheit, seine Verbundenheit mit Menschen wie Abraham oder Mose, die nirgendwo richtig hingehörten außer zu Gott. Der war ihre Heimat geworden, und vielleicht waren es ihre Gebete, die Gott bewogen hatten, Paulus so deutlich in ihre Richtung zu lenken.

Und als die beiden aufeinander stoßen, am Fluss Angites vor den Toren Philippis, da war sie es, in deren Herzen die Worte des Paulus Wurzeln schlugen. Sie war der gute Boden aus dem Gleichnis, das wir vorhin in der Evangelienlesung gehört haben (Lukas 8,4-15). Gott tat ihr das Herz auf. Wieder ein perfektes Zusammenspiel zwischen Gott und Menschen. Gott bringt Paulus in die richtige Position und spielt ihm den Ball zu und Paulus schießt und trifft. Und so wie im Fußball ein Tor immer eine Gemeinschaftsleistung ist, so sind es auch Gott und Menschen gemeinsam, wenn jemand zum Glauben an Jesus als Herrn und König der Welt kommt.

Wir kommen aus einer langen Tradition, wo das gegeneinander gestellt wird, so als ob es nicht auf Menschen ankommen dürfte und Gott der Starspieler ist, der alle Tore schießt, aber wenn man es von der Bibel her sieht, dann ist das ein dummer Gegensatz. Paulus und die ersten Christen brachten ja gerade den Frieden zwischen Gott und Menschen, wo es nicht mehr um ein Gegeneinander oder um Konkurrenz geht, sondern wo beide zusammen in einer Mannschaft spielen. Gott und die Menschen, Männer und Frauen, Europäer und Asiaten, Juden und Heiden – das ist jetzt kein Gegeneinader mehr, sondern alle sind in einem neuen großen Bund miteinander verbunden.

Und dann wird das Haus der Lydia zum ersten Stützpunkt des Evangeliums in Europa. Das Evangelium breitet sich aus in den Nischen und Ritzen der Welt, da, wo keine Aufpasser sind. Man muss es nicht mühsam von der Kirche in den Alltag zu den Menschen bringen, weil es von Anfang an in den Häusern und im Alltag der Menschen präsent ist. Erst später ist es in die Sakralgebäude eingesperrt worden, und seit damals mussten Generationen von Predigern immer wieder beteuern, dass der Glaube nicht nur am Sonntag in der Kirche gilt, sondern auch am Montag in der Schule und bei der Arbeit. Aber ursprünglich lebte das Evangelium von vornherein im Alltag in den Häusern und nicht in Tempeln wie die heidnischen Religionen. Das war nicht ein Provisorium am Anfang, sondern so lange die Gemeinde Jesu so lebte, ging es ihr gut. Da waren die Menschen gewohnt, in ihrem Alltag auf Gott zu hören, ganz normal und alltäglich.

Wer die Apostelgeschichte weiterliest, der merkt, dass Paulus dann auch in Konflikte kommt mit den Mächten, die die Stadt Philippi kontrollieren. Und da wird es kompliziert. Aber hier spüren wir noch die Leichtigkeit des Anfangs: Gott hat alles vorbereitet, er schließt die Türen auf, er bringt Paulus an den richtigen Ort, der nutzt seine Chance, und – Treffer!

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