Kleingruppen und Cluster (1)

Das HorizonT-Konzept

Ich hatte im letzten Post ein Cluster-Konzept aus Sheffield übersetzt, das ich interessant fand, weil wir bei uns – ohne den Begriff zu kennen – auch so etwas wie ein Cluster-Konzept entwickelt haben. Durch den Kommentar von Simon erfuhr ich jetzt von anderen Cluster-Erfahrungen und möchte nun noch einmal unser Konzept etwas deutlicher beschreiben.

Probleme mit Kleingruppen

Ausgangspunkt war bei uns die übliche Kleingruppen-Erfahrung: wachsende Kleingruppen werden irgendwann zu groß, und dann schrumpfen sie wieder oder wachsen wenigstens nicht mehr. Außerdem werden sie mit der Zeit unbeweglich. Der übliche Ratschlag für so eine Situation ist das Teilen der Gruppe: es entstehen zwei Gruppen, die dann wieder wachsen, bis sie so groß sind, dass sie wieder geteilt werden.
Manchmal funktioniert dieses Konzept wohl auch. Ich habe es jedenfalls jahrelang brav probiert. Wir hatten damit aber fast immer Probleme:

  • meistens lässt sich so eine Gruppenteilung nur mit einem gewissen Maß an Gewalt durchdrücken, weil Menschen an den Beziehungen in ihrer Kleingruppe hängen
  • bei solchen Teilungen verliert man fast immer Menschen (aus den verschiedensten Gründen)
  • die neuen Gruppen entwickeln schnell ein Eigenleben, und es ist schwer, sie dann punktuell wieder zusammen zu bekommen
  • es stehen nicht immer genügend neue Gruppenleiter zur Verfügung (mein ursprünglicher naiver Optimismus, dass Gott die schon schicken würde, hat den Praxistest nicht bestanden – vielleicht funktioniert das ja in anderen Umgebungen)
  • für die Gruppenleiter ist das dann notwendige Koordinierungstreffen eine weitere Terminbelastung – und sie sehen nicht unbedingt, was ihnen das bringt; ein individuelles Coachung ist bei solchen Treffen nicht immer möglich
  • wenn ich zusätzlich noch eine individuelle Betreuung der Leiter leisten soll, dann bin ich auch zeitlich überfordert

Als wir dann mit unserer Gruppe „HorizonT“ (eine Art Experimental-Gruppe auf der Suche nach neuen Möglichkeiten) die normale Kleingruppen-Größe überschritten, war für mich deshalb klar: keine weiteren Teilungsversuche. Aber was dann?
Als Antwort entwickelten wir so etwas wie ein Cluster-Modell.

Die Entstehung unseres Cluster-Modells

Als bei HorizonT eines Tages einige Bewohner einer nahegelegenen Einrichtung für psychisch Kranke auftauchten, war ziemlich schnell klar, dass sie die Gesamtgruppe gesprengt hätten, wenn sie dort den nötigen Raum bekommen hätten. Also machten wir eine Untergruppe mit einem angepassten Programm. Das half uns, flexibel mit dieser Situation umzugehen und brachte uns ins Nachdenken, ob wir das nicht ausbauen sollten.
Die Bewohner verließen uns nach einiger Zeit wieder (sie wechselten in andere Einrichtungen). Aber wir teilten nun die Gesamtgruppe in Untergruppen auf. Selbst diese Neuerung war für manche Gruppenmitglieder zuerst schwer zu akzeptieren. Deshalb experimentierten wir mit verschiedenen Abläufen, in denen sowohl die Gesamtgruppe als auch Untergruppen vorgesehen waren. Besonders gefiel uns die Flexibilität: so hatten wir lange Zeit (ohne jede grundsätzliche Erwägung) eine reine Männergruppe, die ganz nebenbei Männern den Einstieg in die (wie üblich frauenlastige) Gruppe erleichterte. Auch eine Aufteilung nach Generationen wäre möglich: dadurch könnte man ganz verschiedene Lebensalter doch unter einem gemeinsamen Dach verbinden. Das haben wir aber bisher noch nicht ernsthaft probiert.
Der konkrete Ablauf wechselt bis heute. Inzwischen sind die Untergruppen akzeptiert. Und innerhalb der Gesamtgruppe gibt es auch immer mal wieder Wechsel zwischen den Untergruppen. Am Anfang waren wir unsicher, was davon zu halten sei, inzwischen ermutigen wir zu so einem Wechsel.

Die konkrete Ausgestaltung heute

Horizont trifft sich wöchentlich (immer mittwoch abends). Der Abend beginnt mit einer gemeinsamen Gebets- und Lobpreiszeit, die von einigen musikalischen Gruppenmitgliedern vorbereitet wird. Es gibt einen kurzen biblischen Input (jeder darf, fast alle tun es inzwischen, sehr unterschiedlich, oft überraschend) und Gelegenheit zum gemeinsamen Gebet.
Anschließend ist (immer noch für alle) „Gemeinschaftsteil“: Ansagen, Verabredungen, auch persönliche Informationen von einiger Wichtigkeit, Austausch von Gebetsanliegen. Der Teil schließt ab mit einer kuzen Einführung in die Inhalte des Gruppen-Teils.
Danach gehen alle in die (z.Zt. drei oder meistens vier) Untergruppen. Die Gruppen beginnen in der Regel mit einer persönlichen Runde, an die sich gegenseitige Fürbitte anschließt. Die Gruppen sollen ein Ort der persönlichen Vertrautheit und Unterstützung sein. Konkret kommt da alles vor zwischen knapper Rückmeldung über das persönliche Befinden bis hin zu ausführlicher Seelsorge, die auch schon mal den folgenden inhaltlichen Teil kippen kann.
Der anschließende inhaltliche Gruppenteil ist sehr unterschiedlich. Wir haben ihn lange in allen Gruppen parallel gestaltet; seit Anfang des Jahres können Gruppen auch unterschiedliche Themen bearbeiten. So lesen wir z.Zt. in einer Gruppe das Markusevangelium, in einer ein Buch von Stasi & John Eldredge, eine weitere Gruppe konzentriert sich auf Musik. Wenn sich mindestens drei Leute mit einem gemeinsamen inhaltlichen Interesse zusammenfinden, können sie eine Gruppe dazu aufmachen. Diese Themenschwerpunkte werden immer für vier Monate festgelegt und danach neu ausgehandelt. Die Aufteilung auf die Gruppen geschieht in einer Mischung aus thematischem Interesse und persönlicher Verbundenheit.
Zum Abschluss trifft sich noch einmal die Gesamtgruppe zu einem kurzen Austausch und einem kurzen Gebet. Dann ist es meistens kurz nach 22 Uhr. Danach darf gehen, wer früh aufstehen muss; die anderen waschen noch die Teetassen ab, und das Team macht seine Nachbesprechung.

Charakteristika des Modells

Dieses Modell hat den Vorteil, dass nicht Gruppen künstlich zu einem Cluster zusammengefügt worden sind. Wir haben keine Addition von Gruppen und Cluster. Es gibt auch nur einen Termin in der Woche. Das Clustertreffen ist kein zusätzliches oder optionales Treffen, sondern man ist immer Mitglied einer Kleingruppe und eines Clusters, anders geht es gar nicht. Das Modell hat eine Struktur, die schätzungsweise bis zu 50 Personen aufnehmen kann (so viele haben wir leider längst noch nicht). Man kann zwar nicht alle Mitglieder so gut kennen wie in einer Kleingruppe, aber die emotionale Verbundenheit ist auch im Cluster groß.
Ein Problem ist natürlich der Raum. Unser Gemeindehaus kommt an seine Grenzen, je mehr Untergruppen es gibt. Wir weichen teilweise in die Pfarrwohnung aus. Trotzdem wäre das Treffen auch in einem größeren Einfamilienhaus denkbar. Schon jetzt geht eine Untergruppe in der Gruppenphase manchmal zu einem Mitglied, das an einigen Tagen ans Haus gebunden ist. Flexibilität ist alles, zur Not kämen wir auch ohne das (ohnehin kleine) Gemeindehaus aus. Das Raumproblem hat uns nie ernsthafte Schwierigkeiten bereitet.
Neu ist seit Jahresanfang 2007 die Möglichkeit, in den Gruppen ganz unterschiedliche Dinge zu machen. Diese Möglichkeit ist auch noch ausbaufähig: so arbeiten wir z.Zt. an der Planung einer Gruppe, die inhaltlich und praktisch auf den Klimawandel reagiert. Es ist denkbar, dass wir dann unter einem Dach sowohl Bibellektüre als auch politische Aktion haben. Wir wissen noch nicht, wie das genau gehen wird, aber es ist eigentlich eine sehr hoffnungsvolle Perspektive.

Cluster-Infrastruktur

Die Gruppe braucht natürlich über das Beschriebene hinaus eine Infrastruktur, also z.B. Leitung, missionarische Akzente usw. Außerdem gibt es einige gemeinsame Aktionen, die über das beschriebene Muster hinausgehen. Darüber werde ich in einem weiteren Post schreiben.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. simondevries

    Das klingt klasse – tolle Sache. Die besten Modelle sind vielleicht immer die, die aus der eigenen Situation/Notlage/Knappheit geboren werden und an dem Ort funktionieren und an anderen Orten dann vielleicht wieder anders. Ich bin gespannt auf die Fortsetzung.

  2. ebbelwain

    Toll. Ich hab deinen Post in einem atemlosen Zug gelesen. Sehr interessante Idee mit wachsenden Hauskreisen umzugehen. Wir haben das bisher auch immer mit Teilung(sschmerz) probiert, irgendwie unbefriedigt für alle. Von daher kann euer Modell ein wichtiger Ansatz auch für unsere Gemeinde sein. Lass mehr davon hören!

    Und Gottes Segen für Eure Arbeit!

  3. Marlin

    Sehr gut – danke für die Beschreibung. Ich bin auf die nächsten Artikel dazu gespannt. Ich schreibe selbst gerade darüber und finde das ein superinteressantes Feld.

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